Katastrophe am Dnipro Akw Saporischschja liegt 140 Kilometer vom zerstörten Staudamm – Atomenergiebehörde äußert sich zur Lage

Wassermassen schieben sich nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine gen Westen
Wassermassen schieben sich nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine gen Westen
© Ukrainian Presidential Office / AP / DPA
Die Internationale Atomenergiebehörde sieht nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms zurzeit keine "unmittelbare" Gefahr für das Atomkraftwerk Saporischschja. Die Betriebssituation dort ist aber ohnehin heikel.

Noch ist nicht klar, was hinter der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine steckt. Noch ist auch unklar, welche Folgen der offenkundig mutwillig herbeigeführte Bruch des Bauwerks am Dnipro für die Regionen flussabwärts haben wird – dort liegt auch die ehemalige Großstadt Cherson, die im vergangenen November von der ukrainischen Armee befreit wurde. Es gibt unter anderem die Sorge vor großflächigen Überschwemmungen durch die Wassermassen des rund 18 Milliarden Kubikmeter fassenden Kachowkla-Stausees.

Atomkraftwerk Saporischschja liegt auch am Dnipro

Sorgen bereitet auch die Lage rund 140 Kilometer flussaufwärts. Dort liegt das Atomkraftwerk Saporischschja, mit seinen sechs Reaktorblöcken das leistungsstärkste in ganz Europa. Es wurde bereits kurz nach dem Überfall der Ukraine durch russische Truppen besetzt. Durch den Ausfall der Stromversorgung gab es bereits mehrfach heikle Situationen, hinzu kamen ausgelaugtes Personal und immer wieder gefährliche militärische Zwischenfälle an der Anlage.

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) ist seit September mit eigenen Leuten im Atomkraftwerk Saporischschja vor Ort, um mit Expertise zu unterstützen und die Lage beurteilen zu können. Auch eine Fernüberwachung der Reaktoren ist grundsätzlich möglich. Die Wiener Behörde äußerte sich am Dienstagvormittag zur neuen Situation an dem Kraftwerk – und gab vorsichtige Entwarnung. "Der IAEA sind die Schäden am Kachowka-Staudamm in der Ukraine bekannt", hieß es zunächst in einer via Twitter verbreiteten Erklärung. "IAEA-Experten im Kernkraftwerk Saporischschja beobachten die Lage genau. Kein unmittelbares Risiko für die nukleare Sicherheit im Kraftwerk."

IAEA-Chef Rafael Grossi wandte sich zudem an die Weltöffentlichkeit. Das Wasser des Dnipro werde zur Kühlwasserversorgung der Reaktoren benötigt, erklärte der Argentinier. Sinke der Pegel des Reservoirs unter 12,7 Meter könne das Wasser nicht mehr abgepumpt werden. Um 8 Uhr morgens hab der Pegel bei 16,40 Meter gelegen. Er sinke um etwa fünf Zentimeter pro Stunde und das Wasser reiche noch für "einige Tage". Das Personal des Kraftwerks unternehme alle Anstrengungen, so viel Wasser wie möglich zu bunkern und den Wasserverbrauch der Anlage zu reduzieren.

Allerdings gebe es weitere Wasserquellen. Direkt an neben den Reaktoren befinde sich zum Beispiel ein Wasserbecken, dessen Vorräte voraussichtlich einige Monate reichten, erklärte Grossi. "Daher ist es wichtig, dass dieses Kühlbecken intakt bleibt. Es darf nichts unternommen werden, was seine Unversehrtheit potenziell gefährden könnte", betonte er. "Ich appelliere an alle Seiten, dafür zu sorgen, dass nichts unternommen wird, was diese gefährdet." Der IAEA-Chef kündigte eine Reise nach Saporischschja in der kommenden Woche an. Diese sei "unerlässlich".

Rosenergoatom warnte vor Bruch von Kachowka-Staudamm

Der russische Atomkonzern Rosenergoatom hält das Kraftwerk laut Nachrichtenagentur DPA nicht von der Zerstörung des Staudamms betroffen.

Die Ukraine sieht nach der Zerstörung des Damms die Welt dagegen "wieder einmal am Rande einer nuklearen Katastrophe", erklärte Präsidentenberater Michailo Podoljak. Die Gefahr wachse "rapide".

Die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Köln, spezialisiert auf die Bewertung und Verbesserung der Sicherheit von Atomanlagen, wies noch am Montag darauf hin, dass das Kernkraftwerk Saporischschja nur noch durch einen einzige Leitung mit dem Landesnetz verbinden ist. Ein Ausfall dieser Leitung könnte die Nachkühlung nach einer Abschaltung des Kraftwerks gefährden – bei bisherigen Zwischenfällen konnte der Energiebedarf laut GRS jedoch immer durch den eigenen Strom (sog. Lastabwurf auf Eigenbedarf) oder Dieselgeneratoren zuverlässig gestillt werden.

Hinweis der Redaktion: In einer ersten Version dieses Artikels war von einer Warnung russischer Behörden vor möglichen Gefahren für das Kraftwerk bei einem Bruch des Staudamms aus dem Mai die Rede. Diese bezog sich jedoch auf einen anderen Damm oberhalb von Saporischschja. Wir haben die Passage daher entfernt.