In einer vertraulichen Botschaft an den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai hat die britische Regierung weit deutlicher und klarer als je zuvor eine Machtbeteiligung der Taliban gefordert. Laut dem Papier, das stern.de vorliegt, sollen dabei nicht nur die "Fußsoldaten" und ihre lokalen Kommandeure amnestiert werden, wie früher schon gefordert, sondern auch die oberen Befehlshaber und "Schatten-Gouverneure", die die Taliban bereits für fast alle Provinzen aufgestellt haben. Darüber hinaus erkennt die britische Regierung die Existenz der sogenannten "Quetta Schura" an, den obersten Führungszirkel der Taliban - und fordert eine "reconciliation", eine Versöhnung und einen Friedensschluss mit der Taliban-Führung.
Dabei soll der afghanische Geheimdienst NDS den Taliban-Kommandeuren ein Ende der Kampfhandlungen wie gegenwärtig in Helmand anbieten, wenn die Taliban im Gegenzug die Waffen schweigen lassen. Einziges Ausschlusskriterium der Versöhnung seien Verbindungen zu al Kaida. Allerdings hatte die Taliban-Führung in den vergangenen Monaten sich ohnehin begonnen, sich von dem Terrornetzwerk zu distanzieren.
Weitreichendes Vetorecht für Pakistan
Auch Pakistan soll in den Kurswechsel mit einbezogen werden: Bislang wurde versucht, Pakistan mit einer Mischung aus Zuckerbrot (Milliardenhilfe vor allem aus den USA) und Peitsche (Drohnenangriffe) davon abzuhalten, sich in Afghanistan einzumischen und die Taliban dort zu fördern. Laut des britischen Papiers soll Pakistan nun ein weitreichendes Vetorecht für afghanische Belange eingeräumt werden: Stabilität in Afghanistan werde sich nur erreichen lassen, "wenn Afghanistans Nachbarn die Gewissheit haben, dass Afghanistan sich nicht mit einem ihrer Feinde verbünden wird", heißt es. Damit dürfte Indien gemeint sein, Pakistans Erzfeind. Staatschef Karsai hat in den vergangenen Jahren damit begonnen, intensive Beziehungen zu Indien aufzubauen.
Das Regierungspapier enthält zwar auch bereits bekannte Positionen, etwa die, die Taliban zu "schwächen" und zu "spalten" - doch das dürfte kaum noch funktionieren, wenn selbst deren Führung nun als Verhandlungspartner anerkannt wird. Der neue Ansatz ist auf einen Zeitraum von zwei Jahren angelegt, er sieht zudem Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption und Drogenhandel sowie zur Wirtschaftsförderung vor. Für das Ziel, eine Verhandlungslösung mit der obersten Talibanführung zu erreichen, ist dagegen keine Frist genannt.
Tod britischer Soldaten erhöht Druck auf Brown
Die angesehene Kabuler Tageszeitung "Haschte Sob" hat bereits von der Existenz des britischen Vorstoßes berichtet, ohne allerdings daraus zu zitieren. Auf Anfrage wollten weder das Büro des Präsidentenpalastes, noch die britische Botschaft das Schreiben kommentieren.
Ein westlicher Diplomat, der nicht namentlich genannt werden mochte, dementierte gegenüber stern.de, dass der britische Vorstoß mit der Erschießung von fünf britischen Soldaten am 3. November durch einen afghanischen Polizisten zu tun hatte, der zuvor monatelang von den Briten trainiert worden war. Aber der Vorfall habe sicherlich den Druck auf Gordon Browns Regierung verschärft, angesichts fallender öffentlicher Zustimmung nach einer Auswegsstrategie zu suchen.
Angesichts des Desasters der afghanischen Präsidentenwahlen ist die internationale Hilfsgemeinschaft nun um Schadensbegrenzung bemüht. Die Wahl wurde von den westlichen Regierungen erst als Meilenstein des erfolgreichen Aufbaus verkauft, endete aber in massiven Wahlfälschungen. Diese einzuräumen aber verweigerte Karsai sich zwei Monate lang - eine blamable Hängepartie. In seiner Antrittsrede am 19. November soll Hamid Karsai nun aufrichtig die Bekämpfung von Korruption versprechen. Das Versprechen dürfte ihm leicht fallen, immerhin hat er ähnliches schon mehrfach getan, ohne dass sich an dem Problem Entscheidendes geändert hätte.
Wo sind die integeren Minister?
Weitaus schwieriger dürfte es dem Staatschef fallen, die geforderten integren Minister für sein Kabinett zu finden. Karsai hatte sich die Unterstützung der zahlreichen Warlords gesichert, indem er ihnen mehrere Ministerposten versprochen hatte. Unter den zweifelhaften Anwärtern ist etwa der neue Vizepräsident Mohammed Mohaqiq, der öffentlich fünf Posten für seine Leute fordert. Drei Ministerämter für seine Gefolgsleute will der zweite Vizepräsident Mohammed Kasim Fahim haben. Fahim aber ist wegen Massakern und Unterschlagung von öffentlichen Geldern und Grundstücken in gigantischem Stil international geächtet. Auch Raschid Dostum, der usbekische Milizführer, der Ende 2001 mehrere tausende Taliban ermorden ließ, die sich bereits ergeben hatten, ist aus dem Exil wieder nach Kabul zurückgekehrt. Seine Anhänger vor allem in Nordwestafghanistan fordern lautstark einen wichtigen Posten für ihn: "Er sollte Innenminister werden, damit hat er die meiste Erfahrung", sagt ein Funktionär seiner Dschumbesch-Partei in Dostums Heimatprovinz Schebarghan.
Wie in das bereits auf 20 Ministerien aufgeblähte Kabinett überhaupt noch vertrauenswürdige Minister berufen werden können, erscheint schwierig angesichts von Karsais zahlreichen Versprechen - zumal selbst ein solcher Hoffnungsträger wie der aktuelle Innenminister Hanif Atmar im Verlauf der Wahlen mit zahlreichen Vorstößen auffiel, Karsais Wiederwahl mit Wahlfälschungen zu erleichtern.