Susanne Osthoff "Die Entführer hielten mich wohl für eine Agentin"

Ein Jahr nach ihrer Befreiung aus der Geiselhaft im Irak erzählt Susanne Osthoff über ihr neues Leben und die seltsame Rolle des BND bei ihrer Entführung.

Frau Osthoff, konnten Sie dieses Jahr Weihnachten mit Ihrer Tochter feiern?

Ja, bei Freunden in Oberbayern, die mich aufgenommen haben.

Und was haben Sie Tarfa geschenkt?

Ein Bett, das war ihr Hauptwunsch. Sie hat schon vorher wochenlang Möbelkataloge gewälzt, die Modellnamen konnte sie im Schlaf aufsagen.

Ein ungewöhnlicher Wunsch.

Wir haben uns immer orientalisch eingerichtet, mit Matten und Matratzen, und sie wollte nun eben ein richtiges Bett. Sicher auch ein Ausdruck ihrer Sehnsucht nach Normalität.

Hätten Sie auch gern mehr Normalität?

Ich hätte jedenfalls gern eine Wohnung, in der ich mein eigener Herr bin. Ich will mich auch meinen Freunden nicht länger zumuten. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, bald was zu finden, obwohl ich ja kein geregeltes Einkommen habe.

Vor gut einem Jahr kamen Sie nach 24 Tagen Geiselhaft im Irak frei. Hat sich die Bundesregierung mal bei Ihnen gemeldet und gefragt, wie es Ihnen geht?

Das Auswärtige Amt hat sich gemeldet. Am 23. November, kurz vor dem Jahrestag der Entführung, bekam ich ein Einschreiben. Aber darin ging es nicht um mein Befinden.

Sondern?

Um Geld. In dem Brief sind feinsäuberlich die Fördermittel aufgelistet, die ich für ein Wiederaufbauprojekt erhalten hatte, die Restaurierung einer Karawanserei in Mosul. Abzüglich der Kosten, die ich abgerechnet hatte, bleiben 2720,10 US-Dollar, für die ich keinen Beleg einreichen konnte.

Und warum haben Sie keine Quittung?

Weil mir die Entführer keine ausgestellt haben. Das Geld hatte ich von der Bank geholt, um den Arbeitern in Mosul ihren Lohn zu zahlen. Darum bin ich im November 2005 überhaupt nach Bagdad gefahren. Mit meinen anderen Sachen haben mir die Verbrecher auch dieses Geld abgenommen.

Aber bei Ihnen soll doch ein Teil des Lösegelds gefunden worden sein.

Was heißt gefunden? Da ist hier einiges schief berichtet worden. Die insgesamt 4600 US-Dollar, die mir ein Entführer bei meiner Freilassung in einem Plastikbeutel in die Hand drückte, sollten wohl eine Entschädigung sein für das, was mir gestohlen wurde. Bargeld, Digitalkamera, Kleidung, Handy und eine goldene Uhr, ein Hochzeitsgeschenk. Dass diese Dollar aus dem Lösegeld stammen, habe ich erst erfahren, als ich es dem deutschen Botschafter zeigte.

Das wäre genug gewesen, die fehlende Summe zu ersetzen.

Die Dinge, die man mir gestohlen hat, waren mehr wert als 4600 Dollar.

Und was wurde aus dem Projekt in Mosul?

Das ist seit November eingestellt. Derzeit zu gefährlich. Im Februar fand die letzte Auszahlung für die Arbeiter statt.

Sie waren dazu wieder im Irak?

Nur im Nordirak, in Arbil. Wenn ich etwas anfange, bringe ich es auch zu Ende. Der kurdische Norden ist nicht gefährlich, der ist seit 1991 autonomes Gebiet, da ist die Lage ganz anders als im übrigen Irak, das kann auch das Auswärtige Amt bestätigen.

Was hat Ihnen das Jahr sonst gebracht?

Schmerzen. Zunächst musste ich Zähne und Zahnwurzeln behandeln lassen. Die Entführer hatten mich geknebelt und mir im Mund rumgebastelt. Sie hatten mich ins Kampfgebiet verschleppt, an wechselnde Orte, und jedes Mal wenn ihr Lager unter Beschuss kam oder ein Hubschrauber darüber kreiste, dachten sie, ich hätte irgendwo einen Sender versteckt, mit dem man meine Position orten kann. Sie suchten auch in meinen Zähnen unter einer provisorischen Brücke. Mehrmals musste ich mich einer Leibesvisitation unterziehen. Das war schlimmer als auspeitschen. Sie dachten, ich sei eine Spionin. Dauernd wurde ich verhört.

Wir hätten dazu auch noch ein paar Fragen.

Bitte, wenn's sein muss.

Sie haben Ihr Verhältnis zum BND stets heruntergespielt. Im stern-Interview vor einem Jahr sagten Sie, Sie hätten bei Agenten des deutschen Auslandsgeheimdienstes in Bagdad nur mal vorbeigeschaut, um Bayerisch zu reden und Knödel zu essen.

Das haben wir auch gemacht.

Aber nun ist ein Foto aufgetaucht ...

Ich weiß.

Ist das auf dem Bild Scheich Dschamal al-Duleimi, der Hauptverdächtige Ihrer Entführung, zusammen mit zwei Bagdader BND-Männern? Das Foto machten Sie.

Das stimmt. Mir haben sich die Herren aber als Mitarbeiter der Handelsvertretung für die deutsche Wirtschaft vorgestellt - was ich nie glaubte.

Wie haben sich BND-Leute und Ihr mutmaßlicher Entführer überhaupt kennengelernt?

Durch mich. Manchmal musste ich vom Nordirak nach Bagdad. Ein deutscher Geschäftsmann vermittelte mir für diese Fälle ein Zimmer bei Scheich Dschamal al-Duleimi, da sei ich sicher.

Aber da sind Sie wieder ausgezogen.

Die Frau des Scheichs schnüffelte in meinen Koffern rum. Neben dem Zimmer dröhnte der Generator, mir wurde schlecht von dem Abgasgeruch, und schließlich wurden mir auch einige Vorgänge ums Haus herum suspekt. Der Scheich spielte offenbar eine Rolle im Widerstand. Als ich die beiden BND-Männer zufällig traf, boten Sie mir an, in ihrem Haus zu übernachten, der Ex-Residenz des deutschen Botschafters. Die Sicherheitslage in Bagdad war extrem an-gespannt, also nahm ich das Angebot an, bei meinen wenigen Besuchen dort zu nächtigen.

Wie kamen Scheich und BND zusammen?

Die BNDler begleiteten mich zu Dschamal al-Duleimi, um meine Sachen abzuholen. Als ich sie dem Scheich vorstellte, fanden sie es interessant, einen Stammesführer kennenzulernen. Die beiden luden ihn gleich zu sich ein und wollten den Kontakt ausbauen. Es kam aber nichts dabei raus. Sie wollten immer wissen, wie es denn um die Bewaffnung der Aufständischen bestellt sei, wie ihre Taktik aussehe et cetera. Worauf Dschamal ausweichend antwortete. Aber jedes Mal hat er den beiden BNDlern gesagt, dass die Wachen in ihrem Quartier Penner seien und dass er ihnen bessere besorgen könne.

Der wollte da einen Fuß in die Tür bringen?

Einmal fragte Y. den Scheich, ob er ihm für 800 US-Dollar ein Spezial-MG besorgen könne, um es auf dem Dach zu postieren. Und beim vorletzten Besuch, ein paar Tage vor meiner Entführung, beschwerte sich Scheich Dschamal, er sei kurz vor der Residenz an einem Checkpoint der USArmee aufgehalten worden. Das MG zu besorgen sei kein Problem, aber der Transport werde schwierig. Y. kam auf die Idee, den Scheich zum "Chief Security Adviser" zu machen, und fotografierte ihn mit einer Kamera, wie sie für die Bilder von Ausweisen verwandt werden.

Und wie kamen Sie dazu, eines der Treffen zu fotografieren?

Es war ein Abschiedsfoto, am Abend vor meiner Abreise aus Bagdad, beziehungsweise vor meiner Entführung, wie sich dann herausstellen sollte.

Weshalb waren Sie überhaupt dabei, als die BND-Männer den Scheich trafen?

Ich übernachtete ja im Sicherheitsbereich. Und der Scheich kannte mich, es hätte den Gesetzen arabischer Höflichkeit widersprochen, mich da still zu verdrücken. Schon war ich in der Rolle der Übersetzerin, die Deutschen sprachen ja kein Arabisch.

Sie haben alles übersetzt?

Ich fühlte mich den Männern verpflichtet, sie hatten mich aufgenommen...

... und Sie gleich wieder in Gefahr gebracht. Warum haben Sie nicht früher über die BND-Aktivitäten gesprochen?

Der Scheich kannte meine Situation. Außerdem war einiges auch so grotesk, dass selbst der Krieg mit seinen Schrecken in den Hintergrund trat. So bekam Y. einen Tag vor meiner Entführung eine Order, er möge sich um die Ansteckungsgefahren der Vogelgrippe in Bagdad kümmern. Ich musste mit ihm fünf Stunden lang durch die Stadt fahren, zum Gesundheitszentrum, dann zu einem Tierhändler mit Privatzoo in Adhamiya, dem gefährlichsten Viertel Bagdads, auf der Suche nach Informationen über eine bestimmte Rattenart, die auf Dattelpalmen lebt und als Überträger infrage kommen könnte. Als er seinen Bericht abgeschickt hatte, teilten ihm die Kollegen mit, das Ganze sei nur ein Scherz gewesen.

Und auf den Schutz solcher Leute haben Sie vertraut?

Die waren eher auf meinen Schutz angewiesen, weil sie sich sehr auffällig benommen haben.

Noch einmal: Sie sprechen die Sprache, Sie kennen sich aus im Irak. Warum sind Sie in den Wagen gestiegen, in dem Sie schließlich entführt wurden, zu dem Fahrer, den Ihnen Scheich Dschamal besorgt hatte?

Das hab ich nun oft genug erzählt. Bis dahin war auf den Scheich Verlass gewesen, ich war immer wohlbehalten im Nordirak angekommen. Und bei der letzten Fahrt hatte ich keine Wahl. Ich wollte raus aus dem Land. Ich musste im Norden den Flieger kriegen, um rechtzeitig zum Geburtstag meiner Tochter Anfang Dezember in Bayern zu sein. Heute ist mir einiges klarer. Der Scheich dürfte vermutet haben, dass ich für den Geheimdienst arbeite. Für einen Hinweis darüber an die Leute im Widerstand gibt es sicherlich Geld. Er hat mich wohl schlicht und einfach an die Terroristen verkauft. Ausgerechnet so einem haben die BNDler einen Ausweis ausgestellt. Das ist ziemlich dilettantisch.

Wann haben Sie danach Ihre Tochter wiedergesehen?

Anfang Januar 2006 bei der Beckmann-Talkshow in Hamburg.

Dann haben Sie sich wieder in den Nahen Osten zurückgezogen, warum?

Ich hatte nach Hamburg ein Rückflugticket bekommen und nutzte es, um dem Rummel in Deutschland zu entfliehen.

Ihre Tochter sollte dann zu Ihnen kommen, hat das geklappt?

Wir haben alle ihre Ferien im Orient verbracht, überwiegend in Jordanien.

Bei Tarfas Vater, der stammt doch von dort?

Nein, nicht bei ihm, aber bei Verwandten, bei den Schammar-Beduinen, Menschen, die meine Tochter seit frühester Kindheit kennt. Bei Freunden, die sie aufgenommen hätten, wenn ich die Geiselnahme nicht überlebt hätte. Sie kam in Begleitung meiner Freundin aus Deutschland. Wir sind auf Eseln und Kamelen geritten, viel gewandert und haben historische Stätten besucht.

Welche denn?

Zum Beispiel Petra, die berühmte Felsenstadt an der Weihrauchstraße, die Kreuzritterburg Kerak oder Madaba, von wo Moses das Gelobte Land geschaut hat.

Sie haben bestimmt auch ein paar Ausgrabungsstätten inspiziert, oder?

Nein, ich hatte genug zu tun. In Jordanien entstand eine Rohfassung des Buches über meine Entführung.

Wann wird das erscheinen?

Das kann ich nicht sagen. Ich habe zunächst auf einen vereinbarten Termin hingearbeitet. Aber diesen Zeitdruck will ich nicht mehr. Ich will in Ruhe die Vergangenheit aufarbeiten. Gott sei Dank habe ich mit Michael Scheele in München einen erfahrenen Anwalt gefunden, der mich berät. Wenn ich mir anschaue, was in der Vergangenheit alles über mich berichtet wurde - das werde ich nicht mehr zulassen.

Seit wann sind Sie zurück in Deutschland?

Seit Ende Juni.

Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie?

Nein. Aber meine Mutter und meine Geschwister wissen, wo ich bin.

Haben Sie Pläne für nächstes Jahr?

Die Menschen im Irak brauchen Hilfe. Bei den Anschlägen werden ja täglich Hunderte schwer verletzt. Ich habe die Verbindungen, Medikamente hinzuschaffen. Darum will ich mich kümmern. Die Logistik steht nach wie vor, die Transporte zu drei Kliniken in Bagdad und Mosul werden durch Stammesangehörige abgesichert. Und wenn mein Buch fertig ist, werde ich für Geschäftsleute, Wissenschaftler oder Arabien-Interessierte Reisen organisieren.

Auch in den Irak?

Nur in sichere Gegenden. Da scheidet der Irak derzeit aus.

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Interview: Peter Meroth, Christoph Reuter