Plant die Ukraine mit US-Unterstützung Gasangriffe auf pro-russische Kämpfer im Donbass? Gibt es in Washington sogar heimliche Vorbereitungen für einen Atomkrieg? In russischen Medien oder Online-Netzwerken werden nach Angaben von EU-Experten zunehmend schrille Töne gegen die Ukraine und ihre westlichen Partner laut. Eine europäische Arbeitsgruppe soll für Aufklärung sorgen. Der Kampf um die Wahrheit hat allerdings Tücken.
"Die Rhetorik hat sich verschärft", sagt eine Expertin des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD), die anonym bleiben will. Sie arbeitet für die Arbeitsgruppe East StratCom, die 2015 nach der Annexion der ukrainischen Krim-Halbinsel durch Russland ins Leben gerufen wurde und unter anderem gezielte Desinformation über die Ukraine aufdecken soll. Unterstellt ist sie der Abteilung für Strategische Kommunikation unter Leitung des deutschen EU-Beamten Lutz Güllner.
Mehr als ein Drittel der Fake News zur Ukraine
In den vergangenen Jahren haben die EU-Experten nach eigenen Angaben rund 13.500 Fälle von "ausländischer Informations-Manipulation" identifiziert, von denen fast 40 Prozent die Ukraine betreffen. Dahinter sehen die Experten nicht nur die russische Regierung, sondern auch andere Pro-Kreml-Akteure, die zum Teil unter falscher Identität wirken.
Russland weiht "Kirche des Sieges" ein - mit viel Symbolik aber ohne Mosaik von Putin

Diese Aufklärung lässt sich die EU einiges kosten: Im vergangenen Jahr flossen mehr als elf Millionen Euro in die Abteilung für Strategische Kommunikation, die rund 40 Experten für Politik oder Sprachen beschäftigt. "Wir sind nicht das Ministerium für Wahrheit", betont ein Mitarbeiter unter Anspielung auf George Orwells Roman "1984", in dem das sogenannte Wahrheits-Ministerium selbst für Propaganda und Geschichtsverfälschung verantwortlich war.
Russlands Desinformationspolitik hat ein Ziel
Die russische Desinformationspolitik verfolge klare Ziele, sagt eine EU-Expertin: Einen Keil zwischen die westlichen Alliierten zu treiben, von den wahren Absichten Moskaus abzulenken und Russland als mächtigen Akteur zu zeigen.
Die Arbeitsgruppe East StratCom veröffentlicht ihre Erkenntnisse auf der Webseite "EU vs Disinfo", die selbst zu plakativen Mitteln greift. Ein Text zu russischen Falschangaben im Ukraine-Konflikt ist mit einer Pinocchio-Figur illustriert, die eine russische Militärmütze trägt. In einer Analyse ist von einer "steigenden Paranoia in den Korridoren des Kreml" die Rede. Die russische Forderung nach Sicherheitsgarantien der Nato und der USA wird zum "Olivenzweig, der aus einem Pistolenlauf wächst".
Frankreich hat Ministerium gegen Fake News
In der EU gibt es Befürchtungen, dass ein Informationskrieg einem echten Angriff vorausgehen könnte – ähnlich wie 2014 vor der Annexion der Krim. Womöglich deshalb rüstet auch die EU sprachlich auf, zumindest auf ihrer Webseite zur Desinformation.
Die Verfechter des Kreml nehmen den Brüsseler Angaben zufolge nicht nur die Ukraine ins Visier, sondern auch große EU-Länder wie Deutschland und Frankreich. In Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron deshalb eine eigene Behörde namens Viginum ins Leben gerufen, die im laufenden Präsidentschaftswahlkampf gegen Fake News kämpfen soll. Vor seiner Wahl 2017 sah sich Macron im Internet Gerüchten und Falschaussagen ausgesetzt, hinter denen er Moskau vermutete.

Ukraine auch Teil des Problems
In Deutschland ging die Medienaufsicht zuletzt gegen Ausstrahlungsversuche des russischen Fernsehsenders "RT DE" vor, der als Propaganda-Instrument des Kreml gilt. Im Internet ist RT in Deutschland wie Frankreich allerdings längst aktiv.
Erschwert wird die Aufklärungsarbeit auch durch die Ukraine selbst: Reporter ohne Grenzen (RoG) kritisierte erst am Montag, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Reihe von Medien verboten hat, die als prorussisch gelten.
"Die Ukraine ist ohne Zweifel Ziel massiver Desinformationskampagnen aus Russland, in denen tendenziöse Berichte, bewusste Verzerrungen, ja sogar offene Falschmeldungen eingesetzt werden", sagt RoG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. Aber die Maßnahmen aus Kiew dürften "nicht als Vorwand dienen, um gegen die Opposition vorzugehen oder unabhängige Berichterstattung und Meinungspluralismus einzuschränken."