Ukraine-Krieg Geländegewinne, zerstörte Leopards: Die Gegenoffensive hat wohl begonnen

Ukraine, Bachmut: Ukrainische Soldaten feuern eine Kanone auf russische Stellungen an der Frontlinie in der Nähe von Bachmut
Die Region Bachmut ist wieder umkämpft 
© LIBKOS / DPA
Offiziell schweigt die Ukraine noch darüber, ob sie mit ihrer langerwarteten Gegenoffensive begonnen hat. Doch offenbar nehmen die Kämpfe deutlich zu, auch Leopard-Panzer sollen bereits zerstört worden sein. Ein Blick an die Front.

Offenbar ist nun angelaufen, die lange angekündigte ukrainische Gegenoffensive. Seit Tagen schon mehren sich Meldungen über kleinere und größere Kämpfe entlang der Grenze zu russisch besetzten Gebieten. Der gut informierte, eher proukrainische US-Thinktank "Institut for the Study of War" (ISW) schreibt in seinem Tagesbericht von rund sieben größeren Gefechten – mit für die Ukraine bislang durchwachsenen Ergebnissen. So hätten ukrainische Einheiten rund um Bachmut Gelände zurückerobert. Weiter südlich jedoch, etwa bei Krasnohoriwka und Marjinka, scheinen die Angriffe bislang nicht erfolgreich gewesen zu sein.

Berichte bekannter russischer Militärblogs zufolge seien angeblich deutsche Leopard-Kampfpanzer zerstört worden. Die Angaben können bislang nicht verifiziert werden. Experten mahnen aber, dass es noch zu früh sei, um über Erfolg und Misserfolg der Offensive zu urteilen, zumal auch Verluste in einem Krieg normal sind. 

Das sagt die Ukraine

Von ukrainischer Seite gibt es bislang keine offizielle Bestätigung für den Beginn einer Großoffensive. Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar teilte auf Telegram mit, dass Kämpfe im südlichen Donbass-Gebiet nahe Wuhledar anhielten. "Im Gebiet Saporischschja führt der Feind im Gebiet Orechiw eine aktive Verteidigung."

Das sagt Russland

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu spricht von vier ukrainischen Angriffsversuchen im südlichen Gebiet Saporischschja, die die eigene Armee aber angeblich alle zurückgeschlagen habe. Wie alle Angaben lässt sich dies nicht unabhängig überprüfen.

Russland setzt Raketenbeschuss fort

Bei neuen Angriffen auf die Ukraine hat Russland das Land mit Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen angegriffen. Insgesamt seien zehn von 16 Drohnen und vier Marschflugkörper abgeschossen worden, teilten die Luftstreitkräfte in Kiew mit. Im ganzen Land hatte es zuvor Luftalarm gegeben. In der Stadt Uman im zentralukrainischen Gebiet Tscherkassy schlugen laut Behörden zwei Raketen in ein Industrieobjekt und eine Autowaschanlage ein. Acht Menschen seien verletzt worden, zwei von ihnen schwer, hieß es.

In der Region Dnipropetrowsk beschädigten Trümmer abgeschossener Drohnen und Raketen zwei Wohnhäuser, eine Gasleitung und ein Auto, wie der Militärgouverneur des Gebiets, Serhij Lyssak, mitteilte. Es gebe keine Verletzten, sagte er. Russland überzieht die Ukraine immer wieder mit Drohnen- und Raketenangriffen.

Militärische Lage nach dem Dammbruch

Auf den militärischen Verlauf dürfte die Zerstörung des Kachowka-Staudamms wenig unmittelbaren Einfluss haben glaubt der Militäranalyst Niklas Masuhr, von Universität ETH in Zürich. Der Staudamm liegt am Fluss Dnipro und es sei "eher unwahrscheinlich, dass die Ukraine eine Überquerung des Dnipro als gewichtige Offensivachse vorgesehen hatte", so Masuhr. Dies hänge vor allem mit den hohen Risiken einer solchen Überquerungsoperation gegen vorbereitete russische Kräfte zusammen.

Weil ukrainische Gegenangriffe auf von Russland besetztes Gebiet im Südsektor durch die Überschwemmungen zunächst schwieriger wären, könne Russland womöglich Truppen abziehen und an andere kritische Frontabschnitte verlegen, sagt Masuhr. Das gleiche gelte aber grundsätzlich für die Ukraine. Unklar sei zudem, wie viel russische Ausrüstung auf der tiefer gelegenen Ostseite des Dnipro durch die Überschwemmungen verloren gehen wird.

Angriffe auf Evakuierungsgebiete

"Russische Terroristen versuchen, die Situation, die sie mit ihrem Ökozid verursacht haben, noch zu verschlimmern", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der derzeit in den Flutgebieten unterwegs ist. Russische Truppen beschössen Rettungskräfte und Evakuierungspunkte, so Selenskyj. Er wirft Moskau zudem vor, die im von Russland besetzten Teil des überfluteten südukrainischen Gebiets Cherson lebenden Menschen im Stich zu lassen.

Russlands Präsident Wladimir Putin hat im Gegensatz zu Selenskyj die Hochwassergebiete noch nicht besucht und erst zwei Tage nach dem Dammbruch öffentlich Anweisungen gegeben, Hilfe in die Region zu schicken. Allerdings inspizierte mit dem Vizechef der Präsidialverwaltung, Sergej Kirijenko, bereits ein hochrangiger Kremlbeamter das Krisengebiet.

Die Vereinten Nationen bemühen sich in die Flutgebiete unter russischer Besatzung zu gelangen. Bislang kann das Nothilfebüro einen UN-Einsatz in der Region nicht bestätigen, sagte ein Sprecher. Ukrainischen Angaben warten die Vereinten Nationen auf russische Zugangs- und Sicherheitsgarantien.

Lage am Akw Saporischschja

Der Chef des Wasserkraftwerkbetreibers Ukrhidroenergo, Ihor Syrota, warnt davor, dass bald er "tote Punkt" des auslaufenden Stausees erreicht sein werde – und dass dann kein Wasser mehr für die Trinkwasserversorgung der Ortschaften rundherum und die Kühlung des Kernkraftwerks Saporischschja entnommen werden könne. "Das Niveau liegt schon bei 12,50 Meter, das ist unterhalb des toten Punkts von 12,70 Meter", sagte im ukrainischen Fernsehen. Laut Syrota fällt der Wasserspiegel im Stausee täglich um etwa einen Meter.

Quellen: DPA, AFP, ISW auf Twitter