Der russische Präsident Wladimir Putin hat nach Einschätzung des Sicherheitsexperten Christian Mölling alle seine Kriegsziele in der Ukraine bislang verfehlt. Um sein Amt fürchten müsse er derzeit dennoch nicht, sagte Mölling am Montag im stern-Podcast "Ukraine – die Lage". Der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik fragte, wie Putin seinem Volk erklären wolle, "dass er im Grunde genommen die ganze Geschichte vergeigt hat". Keines der bei Kriegsbeginn genannten Ziele sei erreicht worden. Mölling hielt es für möglich, dass Putin angesichts dieser Bilanz seine Absichten neu formuliert – möglicherweise schon am Dienstag, wenn in Russland an den Sieg über Nazi-Deutschland im Mai 1945 erinnert wird. "Er könnte eine neue Erzählung präsentieren – etwa, dass es eigentlich darum gehe, den Westens abzuwehren, was Vorrang vor allem anderen habe", sagte Mölling.
Mölling: Putins Machtposition noch nicht in Gefahr
Trotz der schlechten Bilanz sieht der Experte die Machtposition Putins derzeit nicht in Gefahr – auch nicht durch die Auseinandersetzungen zwischen der Militärführung und dem Söldnerchef Jewgeni Prigoschin oder den Ambitionen des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow. Mölling sagte dazu: "Das ist alles noch nichts, was dieses Regime zum Wanken bringt. Das wäre die Fähigkeit der Bevölkerung, einen Aufstand zu organisieren. Oder wenn sich die wesentlichen Akteure von Putin abwenden. Aber die sicherheitspolitischen Eliten in Moskau sehen keine Alternative zu Putin, die ihre Interessen wahrt. So weit sind die noch nicht. Auch Prigoschin hat bislang noch nie Putin selbst angegriffen." Nach Möllings Einschätzung ist es Prigoschin nicht gelungen, "die politische Dimension seiner Macht zu konsolidieren". Er bleibe vom Präsidenten abhängig.
Wieviel Erfolg die Offensive der Ukraine in den russisch besetzten Gebieten haben wird, lasse sich nicht seriös vorhersagen. Man könne aber "nicht davon ausgehen, dass Moskau in der Lage ist, diese Offensive einfach zurückzuschlagen. Niemand weiß, wie bombastisch das wird und wie effektiv es wird." Mölling geht davon aus, dass wie im Westen auch in Moskau ganz unterschiedliche Szenarien für den Verlauf der Offensive durchgespielt werden. "Von der kann ja das politische Überleben des einen oder anderen abhängen. Klar ist man da nervös."