Die langen ergebnislosen Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine könnten nach Einschätzung des Militärexperten Carlo Masala durch den Plan für ein Referendum vorankommen. Eine solche Entscheidung des Volkes hatte Präsident Wolodomyr Selenskyj für den Fall angekündigt, dass es zu einer Vereinbarung zwischen beiden Seiten kommt.
"Das ist der Versuch, eine größtmögliche Legitimität eines möglichen Friedensschlusses herzustellen", sagte Masala im stern-Podcast "Ukraine – die Lage" am Dienstag. Es gehe um territoriale Zugeständnisse mit Blick auf die Krim oder die Souveränität der Gebiete im Osten des Landes – also um Forderungen, die die Ukraine bislang strikt abgelehnt hatte.
Solche Zugeständnisse der Bevölkerung zur Abstimmung vorzulegen, sei allerdings "ein enormes Risiko". Denn nach diesem Krieg könne man nicht einfach davon ausgehen, dass die Mehrheit zustimmt. Zudem sei eine Abstimmung in dem vom Krieg gezeichneten Land eine logistische Herausforderung. 3,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger seien ins Ausland geflohen, weitere Millionen hätten ihre Heimatorte verlassen. "Momentan ist es schwer vorstellbar, in diesem Land ein Referendum abzuhalten", sagte der Politikprofessor von der Bundeswehruniversität München.
Russland würde Zivilbevölkerung in der Ukraine weiter unter Druck setzen
Masala erwartet, dass es in den russisch kontrollierten Landesteilen weiter zu Zusammenstößen zwischen Besatzern und Widerständlern kommen wird. "Russland wird repressiv gegen diese Menschen vorgehen", sagte er. Es würden Richter für Schnellgerichte gesucht, um Aufständische abzuurteilen. "Das ist das, was die Bevölkerung erwarten kann, nachdem die Städte erobert sind."
Er rechnet damit, dass die russischen Streitkräfte die Landwirtschaft behindern und die Wirtschaft lahmlegen. Auch außerhalb der belagerten Städte werde damit die Not der Menschen zu einem Mittel in dieser Auseinandersetzung.
Zugleich sei immer weniger erkennbar, wie der Krieg konkret verlaufe und wer welche Erfolge erziele oder Niederlage erleide. "Es wird immer schwieriger ein klares Bild über den militärischen Verlauf dieses Konflikts zu haben." Ähnliches gelte für die politischen Entwicklungen, da nur wenig aus Verhandlungen nach außen dringe. "Der Nebel des Krieges wird immer dichter für diejenigen, die diesen Krieg von außen betrachten", sagte Masala.