Geheime Dokumente Datenleak im Netz: USA sollen Selenskyj ausspioniert haben, Russland findet Dokumente "einigermaßen interessant"

Wolodymyr Selenskyj offenbar von den USA ausspioniert
Wolodymyr Selenskyj offenbar von den USA ausspioniert
© Christoph Soeder / DPA
Kiew und Moskau haben sich zu dem Datenleak von US-Dokumenten geäußert. Die Ukraine ist verärgert – und Russland interessiert.

Nach dem Durchsickern geheimer Dokumente unter anderem zur westlichen Unterstützung für die Ukraine  ist die Führung in Kiew verärgert. Das Land hat deshalb einige seiner militärischen Pläne geändert, berichtete der Sender CNN unter Berufung auf das Umfeld des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Zuletzt waren nach und nach eine Reihe geheimer Regierungsdokumente auf Online-Plattformen wie Twitter, Telegram oder Discord und weiteren Plattformen aufgetaucht. Darunter waren laut einem Bericht der "New York Times" vom Donnerstag geheime Dokumente zu Plänen der USA und der Nato für die Unterstützung der Ukraine bei der Vorbereitung einer Frühlingsoffensive gegen Russland

Die Dokumente sollen der Zeitung zufolge Details über Waffenlieferungen, Bataillonsstärken und andere sensible Informationen enthalten. Ein Dokument fasse die Ausbildungspläne von zwölf ukrainischen Kampfbrigaden zusammen. Am Samstag hatte das US-Justizministerium eine Untersuchung zu den im Internet verbreiteten Geheimdokumenten eingeleitet.

Es tauchen immer wieder neue Dokumente auf – unter anderem mit Informationen, die nicht nur die Ukraine und Russland betreffen, sondern auch hochsensible Einschätzungen von US-Verbündeten. So sollen einige Dokumente laut "New York Times" offenbar Informationen über interne Debatten in Regierungen von US-Bündnispartnern enthalten – etwa Diskussionen über die Frage, ob Südkorea den USA Artilleriegeschosse für den Einsatz in der Ukraine zur Verfügung stellen sollte.

USA um Datenleak besorgt

In Washington hat die Veröffentlichung der geheimen US-Dokumente im Internet große Besorgnis ausgelöst. Das Pentagon prüfe zwar noch die Echtheit der abfotografierten Dokumente, doch schienen diese "sensibles und streng geheimes Material zu enthalten", erklärte die stellvertretende Sprecherin des Verteidigungsministeriums, Sabrina Singh, am Sonntag in Washington. Nach Informationen der "New York Times" enthielten sie unter anderem Informationen zu Plänen der USA und der Nato zur Unterstützung einer ukrainischen Militäroffensive im Frühjahr gegen Russland.

Das Pentagon und das US-Justizministerium prüften unter Hochdruck mögliche Folgen des Vorfalls für "die nationale Sicherheit", sagte die Sprecherin. Dafür sei eine "behördenübergreifende Arbeitsgruppe" eingerichtet worden. Diese konzentriere sich darauf, die Auswirkungen "auf die nationale Sicherheit der USA sowie auf unsere Verbündeten und Partner zu bewerten". 

USA sollen Selenskyj ausspioniert haben

Nach Berichten zahlreicher US-Medien belegen die Dokumente auch, wie tief die Geheimdienste Washingtons auch ihre Verbündeten durchleuchten. Ein Dokument zeigt demnach, dass die USA auch Selenskyj ausspioniert hätten. Die Tatsache an sich sei keine Überraschung, aber ukrainische Beamte seien zutiefst frustriert über das Datenleck, schrieb CNN unter Berufung auf eine Selenskyj nahe stehende Person.

Die "New York Times" etwa berichtete unter Berufung auf die Dokumente über Schwächen der ukrainischen Flugabwehr. Diese müsse verstärkt werden, um den russischen Angriffen standzuhalten. Die Ukraine fordert seit langem mehr Munition und Waffen für den Krieg gegen Russland. Russland sieht die veröffentlichten Dokumente als weiteren Beleg für die Verwicklung der USA und der Nato in den Krieg in der Ukraine.

Unklar ist aber weiter, wer die Unterlagen unter anderem der US-Geheimdienste veröffentlicht hat und ob sie tatsächlich alle echt sind. Die Dokumente wurden laut der "New York Times" über pro-russische Kanäle verbreitet. US-Regierungsmitarbeiter sagten der "Washington Post", einige der Unterlagen seien offenbar manipuliert worden. Allerdings stünden viele andere Dokumente im Einklang mit den Berichten des US-Auslandsgeheimdienstes CIA zur internationalen Lage, die für Führungsebenen des Weißen Hauses, des Pentagons sowie Außenministeriums bestimmt seien.

Fraglich, ob geleakte Dokumente echt sind

Experten warnten, dass einige der Dokumente im Rahmen einer russischen Desinformationskampagne gezielt verfälscht worden sein könnten. So seien höhere Todesopfer unter den ukrainischen Truppen und die russischen Verluste niedriger angegeben worden.

Der Sender CNN berichtete unter Berufung auf ein Dokument, dass während des Krieges bisher 43.000 russische Soldaten getötet worden sein sollen. Auf ukrainischer Seite liege die Zahl der Toten bei 17.500, hieß es. In den manipulierten Versionen der Dokumente, die in russischen Kanälen auftauchten, war Experten zufolge die Zahl der getöteten Russen nur halb so hoch, die Zahl der getöteten Ukraine dagegen höher als in der ursprünglichen Fassung.

Laut CNN konnte die US-Aufklärung zudem Pläne der russischen Seite für Angriffe gegen die von den Nato-Staaten gelieferten Panzer aufdecken. Mehrere US-Medien berichteten, dass Russland wegen der abgefangenen Informationen nun Kommunikationswege ändern könnte, um seine Pläne zu verdecken. US-Stellen befürchten demnach auch, dass Informationsgeber in den russischen Reihen in Gefahr sein könnten.

Abgefangene Informationen auf ukrainischer Seite könnten laut CNN dazu geführt haben, dass die USA dem Land keine Raketen mit größerer Reichweite liefern, um etwa Angriffe Kiews auf russisches Staatsgebiet zu verhindern. Demnach soll Selenskyj laut einem Dokument vorgeschlagen haben, russische Stellungen im Gebiet Rostow zu beschießen. Dabei sollten Drohnen eingesetzt werden.

Kreml: "Die Leaks sind einigermaßen interessant"

Der Kreml in Moskau verfolgt die Veröffentlichung der geheimen US-Dokumente unter anderem zum Krieg in der Ukraine mit Interesse. "Die Leaks sind einigermaßen interessant, alle studieren, analysieren und erörtern sie breit", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag. US-Medien hatten zuvor über die Inhalte aus den in sozialen Netzwerken veröffentlichten Dokumenten berichtet. Dabei gibt es auch Informationen von US-Geheimdiensten zur ukrainischen Kriegsführung.

Auf die Frage zu einer möglichen Beteiligung russischer Stellen an der Veröffentlichung sagte der Kremlsprecher, dass er das nicht kommentieren könne. "Wir alle wissen doch, dass es hier wieder um diese Tendenz geht, Russland für alles, immer und überall zu beschuldigen und alles Russland anzuhängen", sagte Peskow. Diese Schuldzuweisung sei eine "verbreitete Krankheit", weshalb es da nichts zu kommentieren gebe.

Am Freitag hatte Peskow nach der Veröffentlichung der ersten Leaks gesagt, dass die Unterlagen zeigten, wie tief die USA und die Nato-Staaten in den Krieg in der Ukraine verwickelt seien.

Peskow äußerte sich zu Berichten, dass auch Selenskyj von den US-Stellen ausspioniert worden sei. "Das kann man nicht ausschließen", sagte er. Schon in der Vergangenheit seien Fälle bekannt geworden, in denen die USA verschiedene Staats- und Regierungschefs vor allem in den europäischen Hauptstädten ausspioniert hätten, was dann zu Skandalen geführt habe. 2013 etwa hatte sich die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel empört gezeigt, weil ein US-Geheimdienst ihr Handy abgehört hatte.

Erinnerungen an Irak- und Afghanistan-Enthüllungen

Der Vorfall weckt auch Erinnerungen an die Enthüllung von rund 700.000 vertraulichen Dokumenten zu Aktivitäten des US-Militärs im Irak und in Afghanistan durch die Onlineplattform Wikileaks im Jahr 2010. Darunter befanden sich auch brisante Informationen zur Tötung von Zivilisten und Misshandlung von Gefangenen.

Die USA fordern wegen der Enthüllungen die Auslieferung des 51-jährigen australischen Wikileaks-Gründers Julian Assange, der in London in einem Hochsicherheitsgefängnis sitzt.

DPA
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