Der Mann, der einem John McCain erklären kann, lebt in Fort Walton Beach, Florida. In einer dieser langen, breiten, trostlosen Straßen, die den Ortskern amerikanischer Städte mit den Vororten verbinden. Hier liegt zwischen Tankstellen, Drogerien, Schnellimbissen und Outlets das Büro von Colonel George "Bud" Day. Es ist ein kleines, flaches Gebäude. Day kommt aus dem Hinterzimmer, er ist kleiner als erwartet. Der 83-Jährige ist der am höchsten dekorierte noch lebende Amerikaner. So einen Mann stellt man sich natürlich ganz groß vor. Day hat ein Buch über sein Leben als Soldat geschrieben. Es heißt: "Duty. Honor. Country." Auf dem Cover steht sein Name: Colonel George "Bud" Day, darunter: Krieger - Anwalt. Noch bevor man mit ihm gesprochen hat, kann man sich ausmalen, was für ein Mann Day ist.
John McCain und "Bud" Day sind seit fast 41 Jahren befreundet. Day, der Anwalt, hat für McCain die Scheidung von dessen erster Frau geregelt; Day, der Krieger, macht für McCain Wahlkampf. John McCain und "Bud" Day saßen in Vietnam gemeinsam in einer Zelle.
Day sagt: "Lassen Sie uns nach hinten gehen." Es ist ein kleiner Raum mit Holztisch und Plastikstühlen und sonst nichts. So kann man auch Verhöre führen. Day trinkt aus einem weißen Pappbecher Kaffee und bevor die erste Frage gestellt ist, sagt er: "Die Vietnamesen nannten John den Prinzen." Warum? "Na, weil er der Sohn eines großen Admirals war. Am Tag, als er abgeschossen wurde, kam einer unserer Peiniger zu mir und sagte: 'Ab heute wird sich keiner mehr um Dich kümmern, Du bist nur eine kleine Kartoffel, alle wollen wissen, wie es John McCain geht.'"
Absturz in Vietnam
Es ist der 26. Oktober 1967, als John McCain bei seinem 23. Flug im Vietnamkrieg vom Himmel fällt. Seine A-4-Skyhawk stürzt über Hanoi ab. Der junge Soldat bricht sich dabei beide Arme und ein Bein, er zieht sich eine Gehirnerschütterung zu. Er landet mit seinem Fallschirm in einem kleinen See mitten in Hanoi. Heute steht dort eine Statue, sie zeigt John McCain auf Knien, die Arme zum Himmel gestreckt, die Augen voller Angst, die Inschrift lautet: "McCain - famous air pirate". Als die Nord-Vietnamesen McCain aus dem Wasser fischen, bekommt er ein Bajonett in die Leiste gerammt. Einer der Soldaten bricht ihm mit dem Gewehr die Schulter. Sein rechtes Knie ist da schon vom Absturz um 90 Grad gekrümmt, die Schmerzen sind die Hölle. Und nach der Hölle kommt das "Hanoi Hilton", das berüchtigte Folterlager.
Nach einigen Wochen wird McCain zu einem der Kommandanten gebracht. Es soll ein PR-Coup werden, der Sohn des großen Admirals John McCain II., der oberste Kommandant aller Schiffe im Pazifik, soll vorzeitig freigelassen werden. Doch John McCain III. weigert sich. Der Kommandant wird wütend, er befiehlt den Wärtern, dem Gefangenen erneut die Arme zu brechen, dazu die Rippen und ihm die Zähne auszuschlagen. McCain wird in Einzelhaft gesperrt.
Sechs Wochen später bringen sie ihn zu "Bud" Day in die Zelle. Day erzählt: "Er sah aus wie ein KZ-Überlebender aus Dachau. Sie hatten ihn übel zugerichtet. Er sprach die ganze Nacht hindurch. Er vertraute mir in dieser Nacht alles an. Er wollte, dass ich das alles seiner Frau erzähle, wenn er sterben würde."
Gemeinsam im "Hanoi Hilton"
"Bud" Day und John McCain sitzen gemeinsam im Lager "The Plantation", später kommen sie ins "Hanoi Hilton". Day sagt: "John war ein großartiger Zellennachbar mit einem ungewöhnlichen Lebenswillen. John hat damals schon gezeigt, was für eine Führungspersönlichkeit er ist. Er war den Kameraden in diesem Camp Geistlicher, Erzieher und Entertainer zugleich."
McCain sorgt für gute Laune und vertreibt die Langeweile. Er hat Geschichte und Literatur studiert. Er erläutert die Kreuzzüge, erzählt Geschichten von Alfred Damon Runyon, einem Reporter aus den 20er Jahren, einem Mann, der gerne über die Außenseiter der Gesellschaft schrieb: Panzerknacker, Glücksspieler, Boxer und Bauernfänger. Er hat ein unfassbar gutes Gedächtnis, der junge John McCain. Zu Legenden werden die "Monday night at the movies": Einmal die Woche spielt er einen ganzen Film nach. In zwei seiner liebsten ist Marlon Brando der Hauptdarsteller, einer ist "Viva Zapata!", über den mexikanischen Revolutionsführer Emiliano Zapata, der am Ende alleine auf den Dorfplatz hinaustritt in den sicheren Tod. Der andere ist "One-Eyed Jacks", ein Western. Es geht um einen Banditen, es geht um Rache, Ehre, Verrat und natürlich gibt es am Ende einen Showdown. McCain liebt es, aus diesem Film ein Zitat besonders zu spielen: "You scum-sucking pig."
"John war furchtlos, unerschrocken", sagt Day. "Bis zum letzten Tag hat er den Kommunisten widerstanden." 1973 wird McCain freigelassen.
McCain - ein Mann aus Stahl
Was macht diese Erfahrung mit einem? "Bud" Day überlegt keine Sekunde und antwortet: "Es hat aus einem Mann aus Eisen einen aus Stahl gemacht. Und er dachte in diesen Jahren ständig darüber nach, wie man unser Land führen müsste. Wir waren ja entsetzt über unsere Politiker, die uns im Stich gelassen hatten. Vietnam wird John nie loslassen, egal, was er tut oder was er zu entscheiden hat."
Als John McCain einige Jahre später seinen Kumpel aufsucht und ihm erzählt, er wolle Politiker werden, rät dieser ihm ab. Day sagt: "Politik ist am Ende immer reiner Kompromiss, und John hatte null Kompromissbereitschaft. Ich sagte zu ihm: 'Politik ist wie Prostitution. Ich kann mir Dich da nicht vorstellen'." Day half ihm trotzdem, in den Senat von Arizona und später in den von Washington gewählt zu werden.
Hat sich McCain verkauft?
Und hat sich auch der Politiker John McCain verkauft? "Bud" Day sagt: "Er hat einen Kompromiss mit sich selbst gefunden: Es gibt Themen, da ist er kompromissbereit, und es gibt Themen wie dem Irakkrieg, da bleibt er eisern bei seiner Meinung. Ich glaube, er meistert das ganz gut."
Es gibt kein Thema, bei dem die Wunden des Verrats in McCain so brennen wie beim Thema Irak. John McCain führt dort seinen eigenen Krieg weiter, den von Vietnam. Als Präsident will er die Truppen im Irak notfalls noch 100 Jahre stationiert lassen. Er sagt: "Ich bringe unsere Soldaten nach Hause, aber mit Ehre und voller Stolz." An seinem rechten Handgelenk trägt McCain ein schwarzes Band mit dem Namen des Soldaten Matthew Stanley, dessen Antlitz und dem Tag seines Todes. Stanley, 22, war im Dezember 2006 im Irak von einer Bombe getötet worden. McCain hat das Band von Stanleys Mutter erhalten, sie trug an ihrem Handgelenk während des Vietnamkriegs ein silbernes in Gedenken an die gefangenen Soldaten. McCain hat der Frau versprochen, dass ihr Sohn und die anderen 4000 Amerikaner nicht vergebens gestorben sind. Er hat ihr gesagt: "Wir werden im Irak siegen."
"Bud" Day wirbt für McCain
Day ist in diesem Jahr wieder für McCain unterwegs, vor ein paar Wochen hat er eine Wahlkampfrede in New Mexiko gehalten, und vor kurzem hat er McCain in seinem Washingtoner Büro besucht, drei Stunden lang haben sie sich beraten. McCains Strategie in diesem Wahlkampf wird von Tag zu Tag offensichtlicher. Day sagt: "Wir müssen dem Land erklären, was für ein Mann John McCain ist, was für eine Geschichte John hat, und was für ein Mann Obama ist." Day zählt alles auf, was für seinen Freund spricht, 15 lange Minuten. Und dann sagt er über Obama: "Ich bin sehr besorgt über diesen Mann. Er ist ein fesselnder Redner. Adolf Hitler war auch ein fesselnder Redner. Er schaffte es, dass die Deutschen ihm alles glaubten. Winston Churchill war ein fesselnder Redner. Die Engländer glaubten ihm alles. Franklin Roosevelt war in unserem Land ein fesselnder Redner. Man sollte also sehr vorsichtig sein, mit was für einer Art von fesselndem Redner man es zu tun hat. Es gibt welche, die Gutes wollen, und andere, die Böses vorhaben. Und nach all dem, was wir wissen, scheint mir dieser Typ nicht einer von den Guten zu sein."
"Bud" Day wird alles dafür tun, dass die Menschen in den USA alles Schlechte über den Kandidaten der Demokraten erfahren. Er hat da seine Erfahrungen. Day gehörte 2004 einer Gruppe von Vietnam-Veteranen an, die den damaligen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten John Kerry heftigst attackierten mit der sogenannten "Swift Boat"-Affäre. Sie beschuldigten Kerry, sich als Kriegsheld feiern zu lassen, dabei sei er ein Feigling und Verräter gewesen. Die Vorwürfe wurden nie richtig bewiesen, Kerry lag weit vorne in den Umfragen, aber am Ende verlor er die Wahl gegen Bush.
"Bud" Day sagt jetzt: "Wir Republikaner wissen, wie man etwas herausfindet. Wir haben noch Zeit bis zu den Wahlen. Und wenn es irgendetwas gibt, was die Wähler über Obama wissen sollten oder über Michelle, seine Frau, die ja aussieht wie eine zornige, schwarze Frau, ich weiß ja nicht, ob sie das wirklich ist, aber wenn sie es ist, und wenn es irgendetwas gegen Obama gibt, dann werden wir das herausfinden und die Leute wissen lassen."
"Bud" Day schenkt einem am Ende sein Buch, er steht dann auf, zieht die Hose hoch, viel zu weit über den Bauch, was ihn noch kleiner wirken lässt. Er bringt einen zur Tür, er winkt zum Abschied. Ein freundlicher, alter Krieger.