Cliff Albright sitzt auf der Bühne eines tristen Konferenzzentrums und blickt in die Zuschauermenge. Er kann nicht glauben, wie viele Menschen in diesem Augenblick aufstehen. Wer Angehörige oder Freunde habe, die im Herbst nicht für Joe Biden stimmen wollen oder wer selbst noch überlegt, soll sich erheben, hatte die Moderatorin der Podiumsdiskussion eben gesagt. Von den etwa 100 Gästen bleibt nur ein kleiner Teil sitzen. "Wir hören immer wieder, dass jede Präsidentschaftswahl die wichtigste ist, die wir je erlebt haben", sagt Aktivist Albright. "Aber diesmal ist es wirklich so." Anders als die Mehrheit der Veranstaltungsbesucher hier will er im Herbst sicher für Joe Biden stimmen und eine weitere Amtszeit von Donald Trump verhindern. Doch in Charleston im US-Bundestaat South Carolina trifft Albright auf Landsleute, die Zweifel haben – große Zweifel an Joe Biden.
Fast alle, die an dem Bürgergespräch teilnehmen, sind schwarz. Ein paar Tage vor der ersten offiziellen Vorwahl der Demokraten haben sie sich versammelt, um darüber zu diskutieren, welche Rolle die Black Community im anstehenden Wahlkampf spielen soll. Albright hat die Organisation "Black Voters Matter" gegründet. Er will darauf aufmerksam machen, welche Themen die schwarze Bevölkerung umtreiben. Und sicherstellen, dass möglichst viele von ihnen zur Wahl gehen. "Joe Biden kann ohne uns nicht gewinnen", sagt Albright. "2020 ist er nur aufgrund der Schwarzen in South Carolina Präsident gewonnen."

Tatsächlich hatte Joe Biden vor vier Jahren in dem Südstaat eine Art politische Wiederauferstehung erlebt. Die ersten beiden Vorwahlen in Iowa und New Hampshire verlor Biden damals haushoch gegen Bernie Sanders, ihm drohte eine Blamage und das Ende seiner politischen Karriere. Doch in South Carolina holte er mit Hilfe der Schwarzen fast 50 Prozent der Stimmen. Danach versammelten sich die moderaten Demokraten um ihn, Biden wurde erst der Kandidat seiner Partei und schließlich Präsident. Es stimmt, die Schwarzen haben Joe Biden damals gerettet.
In diesem Wahljahr ist er wieder in Not und braucht erneut ein starkes "Black Vote". 92 Prozent der Schwarzen haben 2020 für Biden gestimmt, doch der Enthusiasmus von damals ist verflogen. Joe Biden weiß, dass ihm ein schweres Wahljahr bevorsteht. Als amtierender Präsident geht er gegen bedeutungslose innerparteiliche Konkurrenten in die Vorwahlen. Am Samstag dürfte er die erste offizielle Primary seiner Partei deutlich gewinnen. Nur wie schafft er es, die schwarze Wählerschaft wieder für sich zu begeistern, damit sie im November in großer Zahl für ihn stimmt? Das ist die die eigentliche Frage, auf die Biden eine Antwort sucht.
"Es reicht nicht, nur über die Gefahren zu sprechen, die Trump darstellt"
Auch beim Bürgergespräch in Charleston kommen viele kritische Fragen auf:
Was hat Biden für uns getan?
Wieso sollten wir für ihn stimmen, obwohl er einseitig Israel unterstützt?
Was bietet er für die Zukunft an?
Je mehr Fragen gestellt werden, desto hitziger wird die Stimmung im Saal. Die Menschen sollen die Demokratie gegen Trump verteidigen, sehen in Biden aber immer weniger ihren Präsidenten. Diese Lethargie ist gefährlich für Biden und könnte Trump zurück ins Weiße Haus bringen.
Albright führt solche Diskussionen wie in Charleston häufiger. "Es reicht nicht, nur über die Gefahren zu sprechen, die Trump darstellt", sagt der Bürgerrechtler. "Wir müssen über die Themen sprechen, die schwarze Menschen umtreiben" – allen voran über Polizei- und Waffengewalt, die Kosten für Wohnraum, Lebensmittel, Benzin und Medikamente.
Genau das probiert Biden nun. Fast ein ganzes Wochenende hat sich der Präsident kürzlich Zeit genommen, um bei der Bevölkerung von South Carolina für sich zu werben, insbesondere bei den Schwarzen, die dort immerhin zwei Drittel der demokratischen Wählerschaft ausmachen.
Nach der Landung in der Haupstadt Columbia wird der Präsident zu einem Friseurladen gefahren. Biden trägt einen blauen Pullover über seinem Hemd, Sakko und Krawatte lässt er weg. Der 81-Jährige will volksnah rüberkommen. Ein Agent des Secret Service bittet einen der Friseure, der gerade den Kopf eines Kunden rasiert, sein Messer wegzulegen. Der Mann schaut kurz verdutzt, sieht dann den Präsidenten und lässt seine Arbeit ruhen. Volksnähe mit dem mächtigsten Mann der Welt hat eben gewisse Grenzen. Biden schüttet die Hände, erkundigt sich, wie das Geschäft läuft, macht Bilder, weiter geht‘s.
Biden nennt Trump einen "Loser"
Am Abend hält der Präsident eine knapp 25-minütige Rede – und gewährt einen Einblick, wie er Donald Trump am 4. November schlagen will. Biden berichtet über seine Erfolge, die er in den vergangenen drei Jahren aus seiner Sicht erzielen konnte: die Pandemie bewältigt, die Wirtschaft angekurbelt und große Investitionspakete aufgelegt, mit denen er das Land modernisieren will. "Promise made, promise kept", ruft Biden immer wieder. Versprechen abgegeben, Versprechen gehalten. Der Saal applaudiert frenetisch. Das ist allerdings keine Überraschung. Die Rede findet im Rahmen eines Spenden-Dinners statt. Wer hier im Publikum sitzt, hat mindestens 150 Dollar gezahlt, um den Präsidenten reden zu hören.
Auch Donald Trump spricht er an – und stellt ihn in eine Reihe mit Herbert Hoover, den 31. Präsidenten der USA, der von 1929 bis 1933 im Amt war. Am Ende von dessen Präsidentschaft stand unter dem Strich ein großer Verlust von Arbeitsplätzen aufgrund der Weltwirtschaftskrise. Biden verspottet Trump, weil der der einzige Präsident nach Hoover gewesen sei, bei dem mehr Jobs verloren gingen als geschaffen wurden. "Donald Hoover Trump", ruft er in die Menge, die grölt. Später nennt Biden seinen Amtsvorgänger einen "Loser".
Wenn es um Trump geht, ist Biden angriffslustig und schreit mitunter ins Mikro. In anderen Teilen der Rede spricht er so leise und undeutlich, dass er kaum zu verstehen ist. An einer Stelle bezeichnet er Trump als "amtierenden Präsidenten" (sitting president) und bemerkt seinen Fehler nicht. In den sozialen Netzwerken machen sich einige anonyme Accounts über den Patzer lustig. Biden hat Glück, der Fehler geht nicht viral.
Bidens Zukunftsvision: bislang viele Fragen, wenige Antworten
Was an dem Abend offen bleibt, ist sein Plan für eine weitere Amtszeit. Biden kündigt an, dass er die Preise für Insulin und andere Medikamente weiter senken und teure Studienkredite erlassen möchte. Wichtige Punkte, gewiss, nach einer großen Agenda klingt das bislang aber nicht. Auch für die großen Themen, die beim Bürgerforum in Charleston diskutiert wurden, hat Biden keine Antworten. Was will er tun, damit die Preise für Lebensmittel wieder erträglich werden? Was ist seine Antwort auf exorbitante Mieten in den Metropolen? Wie lässt sich die Waffengewalt eindämmen?
Es sind große Fragen. Joe Biden bleiben neun Monate Zeit, um Antworten darauf zu finden.