Professor Fukuyama, drei Jahre nach der US-Invasion im Irak schlittert das Land in den Bürgerkrieg. Doch unverdrossen propagiert George W. Bush den Sieg. Wie weit ist dieser Präsident von der Wirklichkeit entfernt?
Er hat ja gar keinen Ausweg mehr: Sein politisches Erbe wird am Irak-Krieg gemessen. Dennoch ist es erstaunlich, wie sehr man sich das alles immer noch schönredet. Viele Neokonservative können das Desaster einfach nicht zugeben. Es ist die Folge einer in hohem Maße militarisierten Außenpolitik, die nahezu zwangsläufig in diesen Krieg mündete.
Sie gelten doch selbst als Neokonservativer, der Krieg für die Demokratie unterstützt.
Nein. Ich habe diesen Krieg nie befürwortet. Im Gegenteil: Im Januar 2003 hatte mich Paul Wolfowitz mit einer Studie für das Pentagon beauftragt ...
Wolfowitz war damals stellvertretender Verteidigungsminister, Ihr Mentor und ein entschiedener Befürworter des "Regime Change" im Irak.
Ich sollte eine langfristige Strategie für den Krieg gegen den Terror entwickeln. Und dabei wurde mir klar: Terrorismus ist nicht mit Krieg zu bekämpfen. Er ist ein politisches Problem, das eine politische Lösung braucht. Der Irak-Krieg musste in einer gigantischen Katastrophe enden. Selbst wenn wir noch mehr Truppen stationiert hätten.
Warum?
Weil die Realität komplizierter ist als irgendwelche Wunschvorstellungen, das gilt besonders für Veränderungen im Nahen Osten. Man kann Demokratie nicht von außen aufzwingen.
Aber genau das wurde versucht.
Man war fest davon überzeugt: Die Macht der USA, auch militärische Macht, kann für moralische Ziele eingesetzt werden. Das war das Herzstück der neokonservativen Ideologie. Die Republikaner und später Präsident Bush haben sich diese Denkweise zu Eigen gemacht. Die Bush-Regierung wurde leninistisch.
Wie bitte?
Ja, sie wurde revolutionär. Sie glaubte, den Gang der Geschichte durch militärische Interventionen beschleunigen zu können.
Konservativer Vordenker
Francis Fukuyama gilt als einer der bedeutendsten konservativen Politikwissenschaftler der USA. Der Professor an der Johns-Hopkins-Universität in Washington wurde durch seinen Bestseller "Das Ende der Geschichte" berühmt. Darin beschrieb er 1992 nach dem Zusammenbruch des Ostblocks die westliche Demokratie als das Ideal, nach dem die gesamte Menschheit strebe. Jetzt rechnet der 53-Jährige mit den Neokonservativen im Umfeld von US-Präsident Bush ab. Viele von ihnen, darunter Ex-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz, waren seine Uni-Kollegen und politischen Freunde. Fukuyamas neues Buch, "Scheitert Amerika? Supermacht am Scheideweg", erscheint jetzt auf Deutsch (Propyläen Verlag 20 Euro).
Wie gefährlich ist diese Denkweise?
Die Neokonservativen sprechen gern von der "wohlwollenden und gütigen Hegemonie" der USA. Sie glauben fest an unseren "Exzeptionalismus" ...
... demzufolge die USA ein "Sonderfall" sind. Ein Land des Neubeginns, stets zu Großem, Gutem berufen.
Sicher, amerikanische Hegemonie ist immer noch besser als sowjetische oder die der Nazis. Und wir haben unsere militärische Macht auch früher für moralische Ziele eingesetzt, wie etwa unter Bill Clinton in Bosnien oder im Kosovo. Doch die generelle Annahme, dass die USA stets im Interesse der ganzen Welt handeln, ist falsch und gefährlich. Die Nationale Sicherheitsdoktrin von Präsident Bush sagt ja letztlich: Wenn wir, die USA, nur glauben, dass es richtig sei, werden wir Präventivkriege führen. Man stelle sich vor, ein anderes Land hätte diesen Anspruch. Deutschland etwa. Das hätten die USA nie akzeptiert. Die Folge ist ein tiefer Antiamerikanismus in der ganzen Welt. Alle sind gegen uns.
Und das ist Präsident Bush nicht klar?
Nun ja, er ist offenbar kein besonders nachdenklicher Typ. Ich habe Bekannte, die dem Präsidenten nach einem Einsatz in Afghanistan und im Irak Bericht erstatten sollten. Sie sagten, er habe die ganze Zeit geredet und keine einzige Frage gestellt.
Aber Cheney müsste doch wissen, was läuft?
Vizepräsident Dick Cheney war der wichtigste Befürworter des Krieges. Auch er war überzeugt, dass nach Saddams Sturz im Irak die Demokratie erblühen würde wie die Wüste nach einem Regen. Schließlich hatte es 1989 ja auch in Osteuropa funktioniert. Die Neokonservativen waren allen Ernstes davon überzeugt, dass der letzte US-Soldat den Irak innerhalb eines Jahres verlassen würde. Jede Kritik wurde abgebügelt. Einfach wahnwitzig.
Wie groß ist die Gefahr des radikalen Islamismus heute?
Wir haben es mit einem ernsten politischen Problem zu tun. Die Bedrohung wird von Monat zu Monat größer. Vor allem in Europa. Im Moment, fürchte ich, droht tatsächlich ein "Kampf der Kulturen".
Verursacht durch Bushs Feldzug?
Nicht allein. Dieser Kampf hat viele Ursachen. Zum Beispiel auch die mangelnde Integration von Muslimen in Europa. Darum hätte sich Frankreich schon lange kümmern müssen. Der radikale Islamismus ist ein Nebenprodukt der Modernisierung. Eine Reaktion auf die Entfremdung vieler Muslime in den modernen Gesellschaften. Mit unserem Angriff auf ein arabisches Land haben wir die Radikalisierung dieser Menschen ziemlich befördert. Er sieht ja auch wirklich aus wie ein Angriff des Westens auf den Islam.
Was sollte der Westen jetzt tun?
Wir müssen verstehen: Diese Auseinandersetzung werden wir jahrzehntelang führen, zunehmend auch in Westeuropa. Über Generationen. Diesen Kampf kann man nicht gewinnen - oder verlieren - wie einen Krieg. Und deswegen ist auch der so genannte Krieg gegen den Terror eine irreführende Metapher. Wie kann man nur auf die Idee kommen, dass man Demokratie mit militärischen Mitteln erzwingen kann?
Dabei haben Sie selbst Demokratie als ultimatives Ziel beschrieben. Nach dem Zerfall der Sowjetunion verkündeten Sie das "Ende der Geschichte". Haben Sie sich geirrt?
Nein. Menschen wollen Fortschritt, sie möchten in einer modernen Gesellschaft leben, mit entsprechender Technik, angemessenem Lebensstandard und Zugang zum Rest der Welt. Mit ein bisschen Glück und vor allem Zeit entwickeln sich daraus demokratische Gesellschaften. Demokratische Systeme können Probleme besser lösen als totalitäre. Doch Demokratisierung führt nicht automatisch zu einer besseren Welt. Mehr Demokratie führt heute zu zunehmender Radikalisierung.
Wenn etwa Radikale die Wahlen gewinnen wie die Hamas in Palästina ...
Ja. Demokratisierung führt leider auch zu mehr Terrorismus. Die Lage wird eskalieren, bis die Menschen in den arabischen Ländern verstehen, dass Islamismus ihre Probleme nicht löst. Doch das wird lange dauern.
Aber in der Ukraine oder im Libanon hat es funktioniert mit den friedlichen Revolutionen.
Demokratisierung muss von innen kommen. Solche Prozesse können unterstützt werden. In der Ukraine wäre es ohne Hilfe von außen nie zur orangen Revolution gekommen. Die Idee der Demokratieförderung ist ja eigentlich gut, doch so wie sich Bush und seine Regierung dieser Ideen bemächtigt haben, sind sie jetzt vollkommen vergiftet. Man will damit nichts mehr zu tun haben. Noch nicht einmal mehr die Demokraten in Amerika. Im Nahen Osten, in Europa ist unsere Autorität völlig dahin.
Wie soll die verlorene Glaubwürdigkeit wiedergewonnen werden?
Wir brauchen ein neues Team, eine neue Politik. Und einen neuen politischen Realismus. Wir dürfen dabei aber nicht auf die Idee kommen, uns zurückzuziehen. Dazu ist Amerika zu groß und zu mächtig. Und ich glaube immer noch, dass unsere Stärke auch Gutes bewirken kann. Außerdem brauchen wir stärkere, verlässlichere internationale Organisationen. Heute leben wir in einer unipolaren Welt. Und die Fehler der Bush-Regierung sind dann eben die Fehler der einzigen Supermacht der Welt. Diese Fehler legen die verhängnisvolle Schwachstelle im Innersten einer Weltordnung bloß, die auf der wohlwollenden Hegemonie der USA beruht.
Aber nun will Präsident Bush seine "Freiheitsagenda" offenbar auch im Iran durchsetzen. Man müsse das Land destabilisieren, heißt es bei den Neokonservativen.
Das sind Fantasien.
Doch selbst Demokraten wie Hillary Clinton reden von militärischen Optionen angesichts eines nuklearen Iran.
Diese Option muss man sich immer offen halten. Aber jeder Angriff würde die Situation nur verschlimmern. Jede Bombe auf eine nukleare Einrichtung würde dazu führen, dass sich das ganze Land augenblicklich hinter das Regime stellt. Und eine groß angelegte Invasion wie im Irak schaffen wir gar nicht. Ich glaube nicht, dass wir eine militärische Option für den Iran haben.
Interview: Katja Gloger, Hans-Hermann Klare