Die einen haben sich in Bierzelte gesetzt und waren Zeugen der Reden ihres Wirtschaftsministers Karl-Theodor zu Guttenberg mitsamt seiner bayrischen Trinkfestigkeit. Andere haben Wahlveranstaltungen in Schwerin besucht, um Angela Merkels Beliebtheit im Osten Deutschlands auszuloten. Und ein Reporter der Sonntagszeitung "Observer" ließ sich ihre Beliebtheit von deutschen Kindergärtnerinnen und Müttern erklären, die Angela Merkel für die Einführung des Elterngeldes lobten. Die Deutschland-Korrespondenten der britischen Zeitungen bemühen sich redlich, ihren Lesern die Wahlstrategie der deutschen Kanzlerin zu erklären. Und tun sich schwer damit.
"Der schützende Staat ist wieder in Mode"
Denn für britische Verhältnisse scheint Deutschland ins politische Koma gefallen zu sein. In Großbritannien wird Wahlkampf über Schlagzeilen in den Medien geführt. Wer seinen Wählern etwas zu sagen hat, tut dies laut und deutlich und so oft wie möglich. In den Morgensendungen der Radiostationen beharken sich Journalisten und Politiker – und das, obwohl bisher noch nicht einmal der Termin für die Wahl in Großbritannien im nächsten Jahr festgelegt worden ist.
Die Briten bewerten die Fähigkeiten ihrer Politiker nach rhetorischem Geschick. Der Premier Gordon Brown hat es schwer, weil er bei seinen Auftritten wirkt, als habe jemand eine Puppe aufgezogen und ihr ein paar Textbausteine auf den Sprach-Chip gespielt. Dass in Deutschland eine Kanzlerin mit Umfragewerten von über 60 Prozent einen "zutiefst uninspirierten" Wahlkampf führt, wie es die Zeitschrift "Economist" beschreibt, wäre in Großbritannien nicht auszudenken.
Der Deutschland-Korrespondent Damien McElroy bilanziert für die Tageszeitung "Daily Telegraph" fast schon erstaunt: "Merkels Zuhörer werden instruiert, nicht inspiriert." Die deutsche Kanzlerin rüttele nicht auf, sondern beruhige: "Ihre Kampagne gibt das Motto aus: Ich beschütze euch." Es ist dieser Wunsch der Wähler nach den "alten Sicherheiten", der die Briten verwundert, wie es der Kolumnist Gideon Rachmann in der "Financial Times" schreibt: "Der schützende, eingreifende Staat ist wieder in Mode in Deutschland."
Merkel ist keine Maggie
Nun ist es ausgerechnet Angela Merkel, die als eine Art Mutter der Nation diesen Wunsch nach Wohlfühl-Politik bedient. Als sie vor vier Jahren an die Macht kam, zogen viele Briten Parallelen zum Aufstieg Margaret Thatchers: Merkels unkonventioneller Politik-Stil, ihre Direktheit, erinnerten an die Frau, die Großbritannien grundlegend und gegen jeden Widerstand reformierte. Doch "Frau Merkel ist keine Maggie", erklärte Großbritanniens ehemaliger Botschafter in Berlin, Sir Peter Torry, seinen Landsleuten.
Anstelle von Thatchers Mut zu unbeliebten Reformen entdecken vor allem wirtschaftsliberale Journalisten in der deutschen Politik "eine gefährliche Selbstgefälligkeit", wie es die Zeitschrift "Economist" in ihrem Leitartikel in dieser Woche schreibt. Die Redaktion gibt gleich danach eine Wahlempfehlung an Deutschland aus: Der "Economist" würde FDP wählen, um eine schwarz-gelbe Koalition in Berlin zu erzwingen, die in Deutschland weitere Sozial- und Steuerreformen vorantreiben könnte. Auf dem Titelbild hat die Zeitschrift die Bundeskanzlerin in einen Vogelkäfig gesetzt, der die Große Koalition darstellen soll. Daneben steht die Schlagzeile: "Befreit Angela Merkel!"
Deutschland verdient Merkel
Gordon Brown und sein konservativer Rivale David Cameron streiten sich in diesen Tagen darum, wer die besseren und klügeren Haushaltskürzungen vornehmen wird nach der Wahl. Den Briten wird dabei um die Ohren gehauen, dass die nächsten Jahre hart werden. Egal, ob die Labour-Partei oder die Konservativen an die Macht kommen: Bildungsetats müssen zusammengestrichen, Steuern erhöht, Renten gekürzt, Bauprojekte eingemottet und Museen und Schwimmbäder geschlossen werden.
In Deutschland dagegen, so notieren es die Korrespondenten, wollen die Menschen keine radikalen Lösungen. Tatsächlich wollen sie überhaupt keine Änderungen – und das, obwohl die deutschen Banken "kränker sind, als ihre Vorstände zugeben", es immer noch zu hohe Steuern, zu komplizierte Wirtschaftsregeln, zu viel Staatshilfen, eine zu hohe Sparrate und eine zu alte Bevölkerung gebe. Die CDU sei im Grunde nichts anderes als eine "sozialdemokratische Partei für Büro-Angestellte", schreibt Sir Peter Torry in der Tageszeitung "Times". Und Merkel deren perfekte, vorsichtige Verkörperung.
Oder, wie es Damien McElroy im "Daily Telegraph" schreibt: "Deutschland verdient Merkel."