Nach einer stundenlangen Zitterpartie hat sich Romano Prodi von der italienischen Mitte-Links-Allianz am Dienstag zum Sieger der Parlamentswahl erklärt. "Wir haben gewonnen", sagte Prodi am frühen Morgen vor jubelnden Anhängern in Rom.
Angesichts einer sich abzeichnenden Mehrheit in beiden Parlamentskammern rechnet er mit einer vergleichsweise stabilen Regierung seines Mitte-Links-Bündnisses. "Wir haben eine Mehrheit in der Abgeordnetenkammer und im Senat erzielt, die es uns erlaubt, mit unserer Koalition fünf Jahre lang zu regieren", sagte er vor Journalisten. Er sehe sich als neuer Ministerpräsident.
Für den Senat stand auch fast 24 Stunden nach Schließung der Wahllokale noch immer kein endgültiges Ergebnis fest, und das vorläufige offizielle Ergebnis ist so knapp, dass die Mitte-Rechts-Allianz von Ministerpräsident Silvio Berlusconi umgehend eine Überprüfung forderte und dem Land nun die politische Lähmung droht. Bei der Abstimmung zum Abgeordnetenhaus entfielen auf Prodis Bündnis 49,80 Prozent der Stimmen, Berlusconi erhielt 49,73 Prozent. Die Differenz beträgt 25.000 Stimmen bei 47 Millionen Wahlberechtigten.
Der italienische Senat
Der italienische Senat ist der Abgeordnetenkammer verfassungsrechtlich gleichgestellt: Alle Gesetze müssen auch vom Senat verabschiedet werden. Damit hat der römische Senat größere Bedeutung als etwa der deutsche Bundesrat, der lediglich bei so genannten zustimmungspflichtigen Gesetzen mitzureden hat. Ein italienischer Ministerpräsident benötigt die Zustimmung beider Kammern.
Bisher gab es in der italienischen Nachkriegsgeschichte keine "gespaltene Mehrheit" zwischen Senat und Abgeordnetenkammer. Die italienische Verfassung sieht für einen solchen Fall auch kein Schlichtungsverfahren vor, wie es etwa eines in Deutschland gibt.
Der römische Senat ist keine Länderkammer wie der Bundesrat, die 315 Senatoren werden aber auf regionaler Basis gewählt. Das aktive Wahlrecht für den Senat liegt bei 25 Jahren (Kammer: 18 Jahre), das passive Wahlrecht bei 40 Jahren (Kammer: 25 Jahre).
Zu den 315 gewählten Senatoren kann der Staatspräsident fünf Bürger zu Senatoren auf Lebenszeit benennen, die auf sozialem, wissenschaftlichem oder künstlerischem Gebiet Hervorragendes geleistet haben. Derzeit sind dies unter anderem Ex-Ministerpräsident Giulio Andreotti und die Nobelpreisträgerin für Medizin, Rita Levi Montalcini.
Auch ehemalige Staatspräsidenten haben Anspruch auf einen Senatorensitz auf Lebenszeit, derzeit gibt es zwei Ex-Staatspräsidenten im Senat, Francesco Cossiga und Oscar Luigi Scalfaro.
Berlusconis Lager will auch eine gründliche Überprüfung von bis zu einer halben Million Stimmen, die Berichten zufolge ungültig sind oder annulliert wurden. "Das kann nicht toleriert werden", sagte Industrieminister Claudio Scajola von Berlusconis Partei Forza Italia. "Was ist das?" fragte er, "ein Staatsstreich? Das erinnert mich an Südamerika." Eine möglicherweise langwierige Kontroll-Auszählung lässt Erinnerungen an das Debakel bei den Präsidentschaftswahlen in den USA von 2000 aufkommen, als im Bundesstaat Florida erbittert Stimmen nachgezählt wurden.
Italiener rechnen mit kurzer Regierungsdauer
Der hauchdünne Wahlausgang in Italien zeigt die Zerrissenheit der Wähler. "Gespaltenes Land" und "Kopf an Kopf" titelten denn auch die meisten Zeitungen des Landes. Der Wahlausgang gilt als einer der knappsten in der Geschichte des Landes, in dem die Regierungen im Schnitt nicht länger als ein Jahr gehalten haben.
Unter den jetzigen Bedingungen geben einige Italiener der Regierung aber nicht einmal die Chance auf eine halb so lange Lebensdauer. "Ich denke, wir werden eine Regierung haben, die sechs Monate halten wird", sagte Pietro Bianchi, ein Bankangestellter aus Mailand. "Dann wird das Parlament auseinanderbrechen und wir müssen neu wählen."
Italiener im Ausland entschieden im Senat
Mit ihrem Vorsprung im Abgeordnetenhaus erhält Prodis Koalition eine Mehrheit von 340 der 630 Sitze. Das neue Wahlrecht Italiens sieht die automatische Vergabe dieser 340 Sitze an den Sieger vor, wie klein sein Vorsprung auch sein mag. Auch im Senat wurde dem Prodi-Lager eine Mehrheit vorausgesagt, allerdings ebenfalls hauchdünn. Zunächst entfielen von den Senatssitzen sogar nur 154 auf Prodis Parteienbündnis, 155 gingen an Berlusconi. Doch sechs Sitze, über die italienischen Wähler im Ausland entscheiden, waren noch nicht vergeben. Prodis Mitte-Links-Bündnis rechnet mit vier dieser Sitze.
Instabilität erwartet
Während Berlusconi bis zum Dienstagmorgen noch nicht persönlich zu den Ergebnissen geäußert hatte, triumphierte Prodi. "Es stand auf des Messers Schneide", sagt der 66-jährige ehemalige EU-Kommissionspräsident. "Aber zum Schluss haben wir gewonnen, und nun ist es an der Zeit für Italien, eine neue Seite aufzuschlagen."
Wenn sich das Ergebnis bestätigen sollte, wäre dies nach 1996 das zweite Mal, dass Prodi Berlusconi aus dem Amt des Ministerpräsidenten verdrängt. Doch eine derart hauchdünne Mehrheit für das Mitte-Links-Bündnis ließe auch eine chronische Instabilität für die nächsten Monate erwarten, zumal in Italien für jedes Gesetz die Zustimmung beider Kammern - also von Abgeordnetenhaus und Senat - notwendig ist.
Prodi hat seinen Anhängern, die von Katholiken der politischen Mitte bis zu überzeugten Kommunisten reichen, unter anderem mehr Unterstützung für Familien mit Kindern, geringere Lohnsteuern, die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer und einen entschlossenen Kampf gegen Steuerflucht versprochen. Bis zur Amtsübernahme einer neuen Regierung wird es voraussichtlich noch mindestens einen Monat dauern. Der im Mai scheidende Präsident Carlo Azeglio Ciampi will nämlich die Ernennung des neuen Ministerpräsidenten seinem Amtsnachfolger überlassen.