Der ukrainische Oppositionsführer Viktor Juschtschenko ist während des Präsidentschaftswahlkampfs in seinem Heimatland mit Dioxin vergiftet worden. Dies gaben seine behandelnden Ärzte in Wien nach neuen Tests am Samstag bekannt.
Mit der Veröffentlichung des Untersuchungsergebnisses bestätigten die Ärzte Michael Zimpfer und Nikolai Korpan vor Journalisten einen entsprechenden Bericht der Londoner Tageszeitung "The Times" in dieser Woche. Juschtschenko war am Freitagabend überraschend in der Privatklinik Rudolfinerhaus eingetroffen, wo er bereits im September und Oktober wegen seiner mysteriösen Erkrankung behandelt worden war. Zimpfer und Korpan hatten eine endgültige Diagnose von abschließenden Tests in Wien abhängig gemacht. In der Ukraine lief die heiße Phase des Wahlkampfes zur Stichwahl um das Präsidentenamt am 26. Dezember zunächst ohne Juschtschenko an.
Tausendfache Dioxin-Dosis im Blut
"Wir schließen ab mit der Zusatzdiagnose 'Verdacht auf Fremdverschulden'", sagte Zimpfer. Weitere Ermittlungen seien nun Sache der zuständigen Behörden. In Blut und Gewebe des Patienten habe man "mindestens das Tausendfache der normalen Konzentration" an Dioxin gefunden. "Das entspricht einer Dosierung im Milligramm-Bereich beziehungsweise im unteren Gramm-Bereich". Das Gift lasse sich zum Beispiel leicht in einer mit Sahne abgebundenen Suppe "verpacken".
Juschtschenko hatte von Anfang an den Verdacht geäußert, er sei vergiftet worden, um ihn politisch auszuschalten. Er war am 10. September in die Wiener Klinik gebracht worden, wo er mehr als drei Wochen unter strengen Sicherheitsvorkehrungen behandelt wurde. Sein Gesicht ist seither von Narben entstellt.
Erkrankung nach Treffen mit Geheimdienstchef
Die Ehefrau des Kandidaten, Katarina Juschtschenko, hatte nach eigenen Worten schon vor der endgültigen Diagnose "keine Zweifel", dass ihr Mann - vermutlich von politischen Gegnern - vergiftet worden sei. Bereits vor der Veröffentlichung der Diagnose sagte sie vor Journalisten, ihr Mann habe schon vor seiner Erkrankung im September Drohungen erhalten und "erhält sie weiterhin", "weil es viele Leute gibt, die meinen Mann und die Veränderungen, die er der Ukraine bringen würde, als eine große persönliche Bedrohung sehen". "In der Nacht, in der mein Mann nach Haus kam, fühlte ich, dass an seinem Atem etwas komisch war. Wir haben erst später gemerkt, dass ich Recht hatte", sagte sie. Der Oppositionspolitiker selbst hat erklärt, er sei unmittelbar nach einem Treffen mit dem ukrainischen Geheimdienstchef krank geworden.
Der beurlaubte ukrainische Ministerpräsident Viktor Janukowitsch traf am Samstag Wähler in seinen Hochburgen im Osten des Landes. Auch Juschtschenko werde sich nach seiner Rückkehr auf die Ostukraine konzentrieren, sagte die Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko der Kiewer Wochenzeitung "Serkalo Nedeli". "Er wird in die Gebiete im Osten und Süden reisen, in denen es (bei der letzten Abstimmung am 21. November) die schlimmsten Fälschungen gab", sagte Timoschenko.
Falls es bei einem Wahlsieg von Janukowitsch erneut begründeten Verdacht auf Wahlbetrug geben sollte, werde die Opposition wieder zu Massendemonstrationen aufrufen, sagte Timoschenko. "In diesem Fall wird die Reaktion des ukrainischen Volkes noch heißer, geradezu rotglühend sein."
Der amtierende ukrainische Präsident Leonid Kutschma sagte dem US-Diplomaten Richard Holbrooke, er tue alles für einen Erfolg der Wahl am 26. Dezember. "Die Macht wird sofort nach Bekanntgabe des Resultats friedlich übergeben" sagte er. Juschtschenko stellte in einem Interview der "Financial Times" ein Programm für eine schrittweise Annäherung der Ukraine an die Europäische Union (EU) bis hin zu einer Mitgliedschaft vor.