Handelsrouten Chinas "Neue Seidenstraße" wird zehn Jahre alt – doch die Feierstimmung in Peking ist trügerisch

Kamele halt! Rote Ampel auf der Seidenstraße in der chinesischen Provinz Gansu
Kamele halt! Rote Ampel auf der Seidenstraße in der chinesischen Provinz Gansu
© Alex Plavevski / EPA
Seit 2013 überzieht China den Erdball mit einem Netz aus Transport- und Handelsrouten. Zum zehnjährigen Jubiläum wird das Mammutprojekt in Peking gefeiert – doch Zwischentöne legen nahe, dass es künftig ein paar Nummern kleiner ausfallen dürfte.

Zehn Jahre alt wird die "Neue Seidenstraße" dieser Tage – und Chinas Staatsmedien feiern den runden Geburtstag mit überschwänglichem Jubel. Pekings gigantisches Infrastrukturprojekt sei herangereift zu einer "internationalen Kooperationsplattform, die offen, inklusiv und von allseitigem Vorteil ist", schreibt "Guangming Daily". "Eine helle Zukunft ist zu erwarten, während die Belt and Road Initiative die Wirtschafts- und Handelskooperation vertieft", heißt es in "China Net".

Von einer "Win-Win-Blaupause" für die globale Handelslandschaft schreibt das Wirtschaftsportal "Yicai"– und listet im Folgenden die imposant klingenden Rahmendaten des Infrastrukturprojekts auf: Seit 2013 habe Chinas Regierung mit 152 Ländern und 32 internationalen Organisationen mehr als 200 Kooperationsvereinbarungen geschlossen, das Handelsvolumen zwischen China und den beteiligten Regionen habe sich in diesem Zeitraum bei jährlichen Wachstumsraten von 8,6 Prozent von rund einer auf gut zwei Trillionen Dollar verdoppelt, chinesische Unternehmen hätten entlang der Seidenstraße knapp 60 Milliarden Dollar investiert und dabei gut 420.000 lokale Arbeitsplätze geschaffen.

Xi Jinpings "Jahrhundertprojekt"

Dabei war anfänglich war kaum zu erahnen, welche Dimensionen Xi Jinpings selbsterklärtes "Jahrhundertprojekt" einmal annehmen würde. Chinas Parteiführer war noch nicht lange im Amt, als er 2013 bei zwei dicht aufeinanderfolgenden Staatsbesuchen in Kasachstan und Indonesien erstmals die Idee eines globalen Handels-, Transport- und Infrastrukturnetzwerks unter chinesischer Federführung ins Spiel brachte. Seitdem hat China den eurasisch-afrikanischen Raum und seine angrenzenden Gewässer im Rekordtempo mit neuen Transportwegen überzogen, hat Schienen verlegt, Brücken gebaut, Autobahnen geteert, hat Flughäfen und Staudämme aus der Taufe gehoben, sich in Häfen eingekauft und im großen Stil Entwicklungskredite vergeben, um die halbe Welt an die "Neue Seidenstraße"anzuschließen. Zuletzt ließen sich die Infrastrukturprojekte kaum noch zählen, die weltweit unter dem chinesischen Label "Belt and Road Initiative"(BRI) firmierten – was auch daran lag, dass die Bezeichnung in den vergangenen Jahren so ziemlich jedem internationalen Entwicklungsprojekt mit chinesischer Beteiligung aufgedrückt wurde.

Vieles davon war für die beteiligten Länder unbestreitbar von Vorteil. Ohne Pekings Kredite wäre so manches Bauprojekt in der Dritten und Zweiten Welt wohl nie in Gang gekommen. Finanzklamme Staaten waren froh über die großzügigen Mittel aus China, die ihnen ungeahnte Möglichkeiten zum Ausbau ihrer Transportnetze verschafften – zumal an Pekings Gelder anders als bei westlicher Entwicklungshilfe keinerlei Demokratisierungsforderungen oder Mahnungen zur Einhaltung von Menschenrechten geknüpft waren. 

18 EU-Länder gehören zum Club der "Neuen Seidenstraße"

Selbst in Europa griff manche Regierung gerne zu: Insgesamt 18 von 27 EU-Ländern schlossen sich dem Belt and Road Club an. Manche profitierten erheblich. Der griechische Hafen von Piräus etwa dümpelte vor seiner mehrheitlichen Übernahme durch den chinesischen Staatslogistiker Cosco auf dem 93. Platz unter den weltweiten Containerhäfen. Als Außenposten von Chinas Seidenstraße stieg er in die Top 40 auf.  

Je flächendeckender Peking mit seinem merkantilen Kapillarsystem die Welt durchdrang, desto kritischer wurde Xis erklärtes Lieblingsprojekt allerdings im Westen gesehen. Denn bald zeichnete sich ab, dass China für seine Geldgaben zwar keine Wertepolitik nach westlichen Vorstellungen erwartete, aber durchaus Loyalität im eigenen Sinne. In Griechenland etwa blockierte nach der Cosco-Übernahme des Hafens von Piräus die damalige Regierung anfangs diverse China-kritische EU-Verlautbarungen.  

Bald kursierte zudem der Vorwurf von einer "Diplomatie der Schuldenfalle", mit der China verarmte Staaten gezielt in die Belt and Road Initiative locke, um im Falle absehbarer Zahlungsausfälle kritische Infrastruktur als Konkursmasse übernehmen zu können. So geschah es 2017 etwa mit dem Hafen von Hambantota in Sri Lanka, ähnliches droht einer Autobahntrasse in Montenegro. Obwohl wenig dafür spricht, dass China tatsächlich gezielt auf solche Pleiten von Kreditnehmern spekuliert, wuchs im Westen die Skepsis.  

In manche Geburtstags-Artikel der chinesischen Medien mischt sich derzeit deshalb eine defensive Note. Von "grundlosen Anschuldigungen" schreibt etwa das Parteiorgan "China Daily"– und unterstellt seinerseits westlichen Politikern Opportunismus: "Eine ganze Reihe von Oppositionsparteien in Ländern mit BRI-Beteiligung haben die Rhetorik der Schuldenfallen-Diplomatie als politisches Werkzeug in ihren Wahlkampagnen eingesetzt, um politische Rivalen herauszufordern und Wählerstimmen zu gewinnen. Aber sobald sie die Macht übernommen haben, haben sie sich flugs an China gewandt, um Kredite und Investitionen zu erhalten.“ 

Putin kommt zur Jubiläumsfeier

Schlagzeilen schreibt im Westen derzeit allerdings eher die umgekehrte Entwicklung: Italiens Premierministerin Giorgia Meloni kündigte lautstark die Belt-and-Road-Mitgliedschaft auf, die unter der Vorgängerregierung initiiert worden war. Dass die Seidenstraßenkarawane damit ausgerechnet ihr bisher einziges G7-Mitglied verliert, überschattet die Jubiläumsfeierlichkeiten in Peking. Ohnehin wird der große Belt-and-Road-Kongress dort im Oktober weitgehend ohne westliche Beteiligung über die Bühne gehen. Angekündigt hat sich als Stargast dagegen ein Mann, den Xi Jinping nach wie vor als seinen "guten Freund"bezeichnet: Russlands Staatschef und Kriegsherr Wladimir Putin.

Bei allem Geburtstagsjubel sind in letzter Zeit allerdings auch in China mitunter Zwischentöne zu vernehmen, die nahelegen, dass die Belt and Road Initiative in Zukunft ein paar Nummern kleiner ausfallen könnte. Xu Qinhua etwa, Vizerektor des Nationalen Instituts für Entwicklung und Strategie der Pekinger Renmin-Universität, äußerte in einem Interview mit dem chinesischen "21st Century Business Herald" neben viel demonstrativer Zuversicht auch ein paar verhaltene Bedenken. "Die ernste und komplexe innere Lage in manchen Ländern entlang der Belt-and-Road-Trasse", erklärte Xu, "könnte die Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft dieser Länder signifikant verringern und somit die Implementierung und Weiterentwicklung der Belt-and-Road-Bauprojekte behindern."  

Drohende Kreditausfälle

Xus Kommentar dürfte unter anderem darauf abzielen, dass die drohenden Kreditausfälle in manchen BRI-Ländern der Parteiführung zunehmend Kopfzerbrechen bereiten. "Auch innerchinesisch wird Belt and Road immer mehr in Frage gestellt“, sagt gegenüber dem stern Jörg Wuttke, ehemaliger Vorsitzender der Europäischen Handelskammer in China. Angesichts eingetrübter Wachstumsaussichten und milliardenschwerer Pandemie-Ausgaben frage sich mancher Chinese: "Warum finanzieren wir die Pakistanis, warum hauen wir so viel Geld in Montenegro rein?"

Xi selbst gab bereits 2021 eine Art neuen Kurs für die Seidenstraße vor, als er von "kleinen, aber feinen" Projekten sprach, die künftig entlang der Handelsrouten umgesetzt werden sollten. In Parteiverlautbarungen ist seitdem viel die Rede von einer "digitalen" oder auch einer "grünen" Belt-and-Road-Entwicklung. Statt den gigantischen Infrastrukturinvestitionen der Vergangenheit könnten in Zukunft also überschaubarere Projekte im Vordergrund stehen: kleiner, aber profitabler, mit weniger Ausfallrisiko und geringeren Reputationsschäden. Abgehakt ist Belt and Road damit noch lange nicht, aber Peking könnte seinen weltumspannenden Gürtel künftig etwas enger schnallen.  

Westliches Konkurrenz-Projekt IMEC

Derweil formiert sich im Westen pünktlich zum Belt-and-Road-Geburtstag ein Konkurrenzprojekt: Der sogenannte "Indien-Nahost-Europa-Korridor"(IMEC) soll als kombinierte Land-und-Wasser-Handelsroute von Mumbai über Saudi-Arabien und Israel bis nach Südeuropa führen. Seine Gründung gaben beim G20-Treffen in Neu-Delhi Anfang September US-Präsident Joe Biden, Indiens Premier Narendra Modi und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bekannt – zusammen mit Italiens Premierministerin Giorgia Meloni, die kurz zuvor den Belt-and-Road-Ausstieg ihres Landes in Aussicht gestellt hatte. 

Die Zeit wird zeigen, ob dieser neuerliche Anlauf zu einer westlich geführten Seidenstraßen-Alternative mehr Erfolg haben wird als seine diversen gescheiterten Vorläuferpläne. In China wurde vor allem ein Detail des IMEC-Projekts hämisch kommentiert: Der griechische Endpunkt der Handelsroute liegt ausgerechnet im Athener Hafen von Piräus – und der gehört, siehe oben, mehrheitlich der chinesischen Staatsreederei Cosco.

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