Vizekanzler Olaf Scholz bringt die Impf-Bazooka in Stellung. So oder ähnlich war es zu lesen, nachdem der SPD-Politiker am 7. März in der ZDF-Sendung "Berlin direkt" die mangelhafte Impfstoff-Versorgung des Landes quasi zur (Vize-)-Chefsache erklärt hat. "Ich sorge dafür, dass die Dinge getan werden, die getan werden müssen", erklärte Scholz selbstbewusst und kündigte eine Entspannung der Lage an, "in ganz wenigen Wochen" – auch dank seiner "harten Intervention".
Olaf Scholz kündigte "bis zu zehn Millionen" Impfdosen an
Scholz wagte bei seinem Auftritt zwei Voraussagen: "Am 28.3. nach den Berechnungen wäre so gegenwärtig bei den aktuellen Impfkapazitäten der Zeitpunkt, wo unsere heutigen Kapazitäten nicht mehr ausreichen", ist die eine. Mit ihr lag Olaf Scholz offenbar daneben.
Die Kapazität, allein der Impfzentren, wurde schon Mitte Februar von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung auf rund 200.000 Impfungen pro Tag geschätzt, Berechnungen des ZDF ergaben für die Woche von Scholz' "Berlin direkt"-Interview eine Kapazität von rund 354.290 Impfungen täglich. Der Rekord an täglich verabreichten Impfungen liegt laut Bundesgesundheitsministerium bei 339.267 und wurde am 26. März erreicht. In der vergangenen Woche wurden demnach durchschnittlich 287.317 Menschen pro Tag geimpft (Erst- und Zweitimpfungen).
Wie man es dreht und wendet: Es bleibt eine Lücke zwischen dem, was verimpft wird und dem, was in den Impfzentren möglich wäre. Die Kapazitäten reichen entgegen Scholz' Prophezeiung weiterhin aus, selbst wenn sie seit dem 7. März nicht weiter ausgebaut worden wären.
Dafür spricht auch, dass es in einigen Impfzentren reihenweise freie Termine gibt und sie mancherorts sogar über die Ostertage schließen wollen, weil nicht genug Impfstoff zur Verfügung steht.
Wie viele Coronavirus-Impfungen gibt es zurzeit?
In Erinnerung ist jedoch vor allem die zweite Voraussage von Scholz: "Im März, schon am Ende des Monats, im April, im Mai, im Juni: Es wird bis zu zehn Millionen Impfungen pro Woche geben. Und dass das jetzt gut vorbereitet wird, dafür hab' ich gesorgt."
Hier ist die Lage nur auf den ersten Blick vollkommen klar: Nein, Ende März sind von Biontech/Pfizer, Astrazeneca und Moderna keine zehn Millionen Impfdosen in einer Woche geliefert worden – und daran wird sich auch vorerst nichts ändern. Die aktuelle Lieferprognose liegt laut Bundesgesundheitsministerium bis Ende April zwischen 2.997.900 und 5.295.900 Impfdosen pro Woche, weit entfernt von Scholz' zehn Millionen. Auch die Zahl der Impfungen pro Woche, die der Finanzminister eigentlich in den Blick genommen hatte, liegt deutlich darunter (siehe oben).
Aber: Der Vizekanzler ließ sich bei seiner Aussage gleich zwei Hintertürchen offen. Zum einen sprach er von "bis zu zehn Millionen Impfungen", was genau genommen alles oder nichts bedeuten kann. Zum anderen stellte der frühere Erste Bürgermeister von Hamburg bei seiner Ankündigung nicht nur auf Ende März, sondern auch auf die folgenden drei Monate April, Mai und Juni ab.
Unsicherheiten bei künftiger Impfstoffmenge
Also zehn Millionen Impfdosen pro Woche bis Ende Juni? Für das zweite Quartal geht das Bundesgesundheitsministerium unter Vorbehalt von insgesamt 73,5 Millionen Dosen (also durchschnittlich 5,6 Millionen pro Woche) aus, im dritten soll die Zahl nach ZDF-Recherchen dann auf 126,6 , also rund 9,7 Millionen pro Woche, steigen – das dürfte dem allgemeinen Verständnis von "bis zu zehn Millionen" schon recht nahe kommen.
Das Haus von Olaf Scholz, das Bundesfinanzministerium, hat in einem Tweet das "Berlin direkt"-Interview seines Chefs kurz nach der Ausstrahlung aufgegriffen. "Ab Ende des Monats werden wir pro Woche Millionen Bürger*innen impfen können", zitiert die PR-Abteilung den Finanzminister – auch das ist nicht falsch, allerdings wurde der Zusatz "bis zu zehn Millionen" bewusst oder unbewusst nicht erwähnt.
Fazit: Hat Olaf Scholz also die Unwahrheit gesagt und unberechtigte Hoffnungen auf ein schnelleres Voranschreiten der Impfkampagne geweckt? Wie so oft, ist das eine Frage der Perspektive. Legt man seine Prognose zu seinen Ungunsten aus, ließe sich festhalten, dass es mitnichten zehn Millionen Impfungen pro Woche bis Ende März gegeben hat.
Umgekehrt, also nach dem Motto "Im Zweifel für den Angeklagten", lässt sich festhalten, dass die Zahl von knapp zehn Millionen wöchentlichen Impfungen Ende Juni erreicht werden könnte.
Allerdings, das zeigt die Erfahrung, ist beim Blick in die Glaskugel immer Vorsicht geboten: Werden tatsächlich alle Impfstoffkandidaten zugelassen? Können die Hersteller ihre Lieferzusagen einhalten? Gibt es neue unvorhergesehene Ereignisse wie den jüngsten Stopp der Impfungen mit dem Astrazenca-Serum für unter 60-Jährige? All das weiß niemand, auch nicht Olaf Scholz.
Seine Ansage in der "Berlin direkt"-Sendung ist daher optimistisch, vielleicht sogar mutig. Fest steht, dass sich Scholz missverständlich und reichlich unpräzise ausgedrückte – und sich als anpackender Macher positionieren wollte. Schließlich ist er nicht nur Vizekanzler und Finanzminister. Sondern auch Spitzenkandidat für die SPD bei der kommenden Bundestagswahl.