Der Untersuchungsausschuss zur Cum-Ex-Affäre von Olaf Scholz in Hamburg streitet weiter um zwei Laptops aus NRW. Die Geräte mit heiklen Emails aus Cum-Ex-Ermittlungsverfahren soll der von der SPD benannte Chefermittler des Ausschusses ohne Rücksprache mit der Opposition an sich genommen haben. Eine Stellungnahme des Ausschussvorsitzenden zu dem Vorfall wirft nun neue Fragen zum Einfluss der SPD im Ausschuss auf.
Der Vorsitzende des Ausschusses, der Hamburger SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Mathias Petersen, hat eingeräumt, den von der SPD berufenen Leiter des Arbeitsstabs angewiesen zu haben, die beiden Geräte aus dem eigentlich für heikle Unterlagen vorgesehenen Aktenraum zu entfernen. Der Parteifreund habe die Laptops anschließend knapp drei Wochen in einem Schrank in seinem Büro gelagert, erklärte er. Vertreter der Opposition wurden von den beiden SPD-Männer erst darüber informiert, als stern und „WAZ“ den Vorgang vor drei Wochen öffentlich machten.
Auf den Laptops befinden sich mehr als 731.000 Mails, unter anderem aus den elektronischen Postfächern von Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), zahlreichen hochrangigen Hamburger Beamten und der langjährigen Büroleiterin von Olaf Scholz. Die Postfächer hatte die Staatsanwaltschaft Köln im Rahmen der Ermittlungen gegen eine Hamburger Finanzbeamtin und zwei ehemalige hochrangige SPD-Politiker aus der Stadt beschlagnahmt.
Anfang Oktober waren die Daten von NRW nach Hamburg geliefert worden, damit der dortige Parlamentarische Untersuchungsausschuss sie auswerten kann. Doch wenig später wunderten sich Oppositionsabgeordnete: Die Laptops befanden sich nicht mehr im eigentlich für hochsensible Daten vorgesehenen Tresor. Seither eskaliert die Stimmung im Ausschuss.
CDU-Obmann droht mit Klage
Am heutigen Freitag will der Ausschuss in einer Sondersitzung über „Umgang mit Laptops und Asservaten“ debattieren. Die rot-grüne Mehrheit möchte verhindern, dass Ausschussmitglieder Einblick in die Mails bekommen. Stattdessen soll der SPD-Chefaufklärer Steffen Jänicke einige Mitarbeiter aus seinem Arbeitsstab benennen, die aus dem Konvolut von Emails jene herausfiltern und vorsortieren sollen, die sich dann auch die Abgeordneten anschauen dürfen.
CDU-Obmann Richard Seelmaecker will diesen Plan verhindern. „Es ist unsere verfassungsgemäße Aufgabe, die Sichtung auch selbst vorzunehmen“, sagt Seelmaecker. „Wenn uns das von der rot-grünen Mehrheit verwehrt wird, werde ich klagen.“
Die Debatte um die Asservate ist heikel, weil sie ein Schlaglicht auf die Rolle der SPD in dem Ausschuss wirft. Obwohl in die Affäre zahlreiche aktive und ehemalige Hamburger SPD-Politiker verwickelt sind, stellt die SPD aufgrund der Regularien für Untersuchungsausschüsse in Hamburg sowohl den Ausschussvorsitzenden als auch den Leiter und den Stellvertreter des Arbeitsstabs, der für die Abgeordneten viele Ermittlungsaufgaben übernimmt oder vorbereitet.
Die Staatsanwaltschaft Köln geht in ihrem Verfahren der Frage nach, warum das Finanzamt in Hamburg 2016 zunächst darauf verzichtete, eine Millionen-Beute aus mutmaßlichen Cum-Ex-Geschäften von der Hamburger Privatbank M.M. Warburg zurückzufordern – und welchen Einfluss die beiden Politiker hatten, die in dieser Zeit die Bank eng berieten.
Genau mit dieser Frage beschäftigt sich seit drei Jahren auch ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Hamburg. Dabei steht die Rolle des heutigen Bundeskanzlers und damaligen Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz im Fokus, der sich mehrfach mit den Bankiers traf und über das Verfahren sprach, kurz bevor die Finanzverwaltung die umstrittene Entscheidung traf.
Ausschusschef soll auch in den Emails auftauchen
Bemerkenswert ist: Der Ausschussvorsitzende Petersen und SPD-Obmann Milan Pein sind selbst indirekt in die Affäre verstrickt. Unternehmen aus dem Umfeld der Bank hatten im Jahr nach der für die Bank positiven Entscheidung insgesamt 45.500 Euro an die Hamburger SPD gespendet. In dem Parteigremium, das über die Annahme der Spenden entschied, saßen auch Mathias Petersen und Milan Pein.
Zum Zeitpunkt der Spenden war längst öffentlich bekannt, dass gegen die Inhaber und Manager der Warburg-Bank wegen schwerer Steuerhinterziehung ermittelt wird. Dennoch hatte das SPD-Gremium keine Bedenken, das Geld anzunehmen. Als die Geschichte 2020 aufflog und später kurz Thema im Untersuchungsausschuss war, behaupteten Pein und Petersen, sie hätten nicht gewusst, dass die Spenderfirmen zum Unternehmensgeflecht von Warburg gehören.
Der Ausschussvorsitzende Petersen rückt nach Information von stern und WAZ nun noch durch einen anderen Vorgang ins Zentrum der Affäre. Sein Name soll mehrfach in den Asservaten auf den beiden Laptops auftauchen, die auf seine Weisung hin sein Parteifreund Jänicke an sich genommen hatte. Bei mindestens einer der Mails, in der Petersen als Adressat auftaucht und die auch an Olaf Scholz und Peter Tschentscher weitergeleitet wurde, geht es um den Verkauf der früheren Landesbank. Wie die Warburg-Bank war auch die HSH Nordbank tief in Cum-Ex-Geschäften verwickelt. Die Skandalbank hat der Stadt Hamburg ein Milliardendefizit beschert.
Das Auftauchen von Petersen und weiteren SPD-Politikern in den sichergestellten Emails ist aus mehreren Gründen pikant. Im November vergangenen Jahres wurde gegen Widerstände der SPD der Aufklärungsauftrag des Untersuchungsausschusses um das Thema HSH Nordbank erweitert.
Dass nun ausgerechnet die SPD-Politiker im Ausschuss in den besagten Emails vorkommen, könnte sich für die Partei zu einem zusätzlichen Problem entwickeln. „Niemand darf Richter in eigener Sache sein“, sagt CDU-Obmann Seelmaecker. „Sofern der Ausschussvorsitzende oder andere SPD-Abgeordnete des Ausschusses selbst in die Cum-Ex-Skandale verstrickt sein sollten oder durch den Inhalt der Laptops auch nur die Besorgnis der Befangenheit entsteht, müssen die Betroffenen ihre Tätigkeit im Untersuchungsausschuss sofort beenden.“
Und auf einmal waren die Laptops weg
Wie stern und WAZ vor drei Wochen berichtet hatten, durften die Laptops mit den brisanten Daten von den Abgeordneten Mitte Oktober eingesehen werden – nachdem die Opposition zuvor ein Jahr lang dafür gekämpft hatte. Am Freitag, den 13. Oktober, schauten erstmals die Mitarbeiter diverser Abgeordneter in die Mails.
SPD-Obmann Milan Pein beschwerte sich anschließend bei seinem Parteifreund und Ausschussvorsitzenden Petersen, in den Postfächern befänden sich Mails ohne Bezug zum Untersuchungsauftrag. Es handele sich um vertrauliche politische Korrespondenz, es seien persönliche Daten betroffen. Die Einsichtnahme sei rechtswidrig, möglicherweise sogar strafbar.
Petersen räumt nun in einer Stellungnahme ein, noch am Abend des 13. Oktober den Arbeitsstableiter Jänicke angewiesen zu haben, die Laptops an sich zu nehmen. Drei Tage später habe er die Obleute der Parteien über die Datenschutzbedenken informiert. Gemeinsam mit der Opposition sei beschlossen worden, Mitarbeitern und Abgeordneten keinen Zugang mehr zu den Laptops zu gewähren. Zunächst solle ein Gutachten von Jänicke und zwei weiteren Mitarbeitern des Arbeitsstabs erstellt werden, wie die Daten genutzt werden können.
Petersen und Jänicke informierten die Abgeordneten und die Arbeitsstabmitarbeiter allerdings nicht darüber, dass sie die Laptops an sich genommen hatten. Erst später bemerkten mehrere Mitarbeiter des Arbeitsstabs und Abgeordnete, dass die Laptops nicht mehr im Sicherheitsbereich des Arbeitsstabs lagen. Auch auf Nachfragen wurden sie nicht über den Verbleib informiert. So hatte CDU-Obmann Richard Seelmaecker das Fehlen der Geräte bemerkt und sich beim Arbeitsstableiter über den Verbleib erkundigt, allerdings nur die Information erhalten, sie befänden sich an einem sicheren Ort.
Insgesamt herrschte 20 Tage Unklarheit über den Verbleib der Laptops. Darüber empörten sich vor drei Wochen die Oppositionspolitiker gegenüber stern und WAZ: „Die Laptops wurden ohne Rücksprache aus dem Safe entfernt. Wir wissen nicht, ob sie zwischenzeitlich manipuliert oder ausgelesen wurden“, erklärte CDU-Obmann Richard Seelmaecker. „Wir sind höchst verwundert über diesen Umgang mit den sensiblen Daten“, sagt Linken-Obmann Norbert Hackbusch.
Noch am Tag der Veröffentlichung im stern und der WAZ keilte Ausschusschef Mathias Petersen öffentlich zurück: Er sprach gegenüber der Nachrichtenagentur dpa von „völligem Blödsinn“ und einem „Sturm im Wasserglas“. In einer Sitzung der Obleute wurde es laut, nach übereinstimmenden Berichten von Teilnehmern brüllte SPD-Obmann Milan Pein die Oppositionsabgeordneten an. Er reagierte auf eine Anfrage nicht.
SPD-Mann geht juristische gegen den stern vor
Steffen Jänicke, der inzwischen nicht mehr als Arbeitsstabsleiter tätig ist, geht juristisch gegen die Berichterstattung vor. Er hat beim Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung erwirkt. Der STERN hat hiergegen bereits Rechtsmittel eingelegt.
Die Berichterstattung über das Fehlen der Laptops sorgte bundesweit für Aufsehen. Die CSU forderte einen Sonderermittler, um die Missstände im Hamburger Untersuchungsausschuss unter die Lupe zu nehmen. In der vergangenen Woche debattierte der Bundestag in einer Aktuellen Stunde über die Vorgänge.
Harte Kritik gab es auch im Bundestag von der Union: „Da ist nicht der Bock, sondern da sind gleich viele Böcke zum Gärtner gemacht worden“, sagte Mechthilde Wittmann (CSU) über den Umstand, dass im Hamburger Untersuchungsausschuss sämtliche Schlüsselpositionen mit SPD-Männern besetzt sind. „Palermo liegt an der Alster.“
Kritik gab es aber auch aus Reihen der Ampel. Die Beteiligten hätten „sich selbst und der Politik einen Bärendienst erwiesen“, als sie die Laptops eigenmächtig an sich nahmen, sagte Markus Herbrand (FDP). Es sei ein „verheerender Eindruck“ entstanden. Es stehe außer Frage, dass „nur durch eine objektive Prüfung von außen versucht werden kann, verlorengegangenes Vertrauen wiederzugewinnen.“
Die Union hatte im April die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Bundestag beantragt, die SPD hat dies zusammen mit der FDP und den Grünen verhindert. Die Union will sich das nicht gefallen lassen – und beschritt auch in dieser Angelegenheit den Weg nach Karlsruhe. Die 89-seitige Klageschrift liegt beim Bundesverfassungsgericht.