Herr Biskamp, die AfD feiert ihr zehnjähriges Bestehen. Wie nah steht die Partei ihrem Ursprung noch?
Die Partei war am Anfang keine rechtsextreme Partei, heute ist sie das. Diesen offenen Rechtsextremismus gab es immer schon in Elementen. Die Gründer:innen der AfD haben immer wieder geglaubt, sie könnten das für sich nutzen, um über die Fünf-Prozent-Hürde zu gelangen. Aber ob Lucke, Petry oder Meuthen – alle mussten lernen, dass sie das nicht kontrollieren können. Deswegen ist die Partei heute eine andere als vor zehn Jahren.
Welchen Eindruck haben Sie von der derzeitigen Europawahlversammlung?
Der Parteitag an den letzten beiden Wochenenden zeigt, dass die Partei noch einmal deutlich nach rechts gerückt ist. Dinge wie die Verschwörungstheorie vom großen Austausch, die Forderung, Millionen Menschen aus Deutschland rauszuwerfen, extremer Nationalismus oder Queer-Feindlichkeit wurden auch vorher schon in der Partei geäußert. Was aber neu ist, ist, dass es diesmal keinen Widerspruch dagegen gibt.
Von niemandem?
Gestern gab es eine einzige Person. Aber das war mit Sylvia Limmer eine, die noch in der Woche vorher versucht hat, sich wählen zu lassen. Das kann man nicht als ernsthaften Widerspruch werten, finde ich. Die Gewählten haben in ihren Reden immer das Gleiche gesagt: Hass auf Migrant:innen, Abwertung von Queers, Hass auf die Grünen, Hass auf die EU. Wer besonders drastisch wurde, bekam besonders lauten Applaus. Diese Homogenität und dieser Ton, das war neu.
Was ist mit den Menschen passiert, die vorher widersprochen haben? Ist für sie kein Platz mehr in der AfD?
Entweder die Leute sind gegangen oder sie haben ihren Frieden damit gemacht. Bei den Kandidaten für die Europawahl sind eindeutige Aktivisten dabei, die von Anfang an Flügel-Positionen hatten. Aber es sind auch Leute dabei, die nichts mehr dagegen sagen. Man kann nur spekulieren, ob die ihre Meinung geändert haben oder einfach nur opportunistisch sind.
Was sollten die Wählerinnen und Wähler über die Leute wissen, die die AfD gerade für die Europawahl nominiert?
Das sind Menschen, die glauben, dass wir nicht in einer Demokratie leben. Die sich offen dazu bekennen, dass sie Millionen von Menschen aus dem Land hinauswerfen wollen. Die natürlich auch wissen, dass das nur mit massiver Gewalt gehen würde. Und es sind Politiker, die versuchen, mit Angst Politik zu machen und Hass zu säen. Die glauben, sie leben in einer Diktatur und hätten ein Recht auf Widerstand.
Da wird auch noch viel über die Corona-Maßnahmen gesprochen, als Beispiel dafür, dass Demokratie ausgehebelt worden sei. Das finde ich einigermaßen überraschend im Jahr 2023. Dagegen will man etwas ganz anderes setzen. Was das sein soll, wird inhaltlich nicht erklärt. Es wird nur gesagt, dass es keine Klimapolitik und möglichst keine Migration geben soll.
Am Sonntag wird über das Europawahlprogramm beraten. Welche Pläne hat die AfD?
Die AfD hat schon vor zwei Jahren zur Bundestagswahl beschlossen, dass sie für den Dexit steht, also den Austritt Deutschlands aus der EU. Im Vorfeld dieses Programmparteitags war etwa umstritten, ob man möchte, dass die Europäische Union geordnet abgewickelt werden soll. Wenn man sich aber die Redebeiträge der letzten Tage anhört, ist die Einigkeit relativ groß, dass es die Europäische Union in ihrer jetzigen Form nicht mehr geben soll, sondern allenfalls sowas wie eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft mit einem gemeinsamen Binnenmarkt, in dem die Staaten sehr viel unabhängiger sein sollen. Wie genau das ohne große wirtschaftliche Verwerfungen vonstattengehen soll, kann niemand sagen. Das wissen die eindeutig selbst nicht.

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Von Euro-Gegnern zum Fall für den Verfassungsschutz: Wie die AfD seit Jahren immer radikaler wird

Sie sagten in einem Interview, die gesamte Partei sei heute da, wo der Thüringer Landesverband vor zwei bis drei Jahren war. Dort war der sogenannte Flügel um Björn Höcke präsent. Welche Konsequenzen hat das?
Es gab in der AfD immer Leute, die sich etwas wie die CDU der 80er Jahre mit Kohl und Dregger gewünscht hätten und die auch bereit gewesen wären, als Juniorpartner in einer Koalition mit der CDU zu stehen. Das ist vorbei.
Maximilian Krah ist der AfD-Spitzenkandidat bei der Europwahl. Politiker wie er wollen nicht mehr mit der CDU zu regieren. Deren Ziel ist es, die CDU zu zerstören. Die AfD ist keine Partei mehr, die im demokratischen System mitspielen will. Die wollen das gesellschaftliche System von Deutschland und Europa ganz grundsätzlich angreifen und umstürzen. Das sagen sie relativ offen.
Wie sollten die anderen Parteien mit dieser AfD umgehen?
Die CDU steht gerade in Ostdeutschland vor einem Dilemma. In Thüringen muss sie entscheiden, ob sie entweder die linke Regierung unter Bodo Ramelow stützen soll, oder ob sie mit der AfD kooperiert. Das ist für die CDU keine leichte Entscheidung, zwischen der Linkspartei und der CDU bestehen große inhaltliche Unterschiede.
Sie musss sich zwischen einer demokratischen und einer antidemokratischen Partei entscheiden.
Das stimmt. Aber man sollte es sich bei der Kritik an der CDU nicht zu einfach machen. So wie es für die Linkspartei schmerzhaft ist, die CDU zu unterstützen wenn nötig, ist es umgekehrt ebenso schmerzhaft. Aber die Thüringer Linke will demokratische Politik machen, während die AfD das politische System grundsätzlich ablehnt. Deshalb kann es mit ihr eigentlich keine Zusammenarbeit geben. Ein einfaches Rezept, wie die CDU reagieren soll, habe ich dehalb trotzdem nicht.
AfD-Chefin Weidel sagte am vergangenen Samstag auch, dass die Partei die sogenannte Brandmauer nur einmal im Osten destabilisieren müsse, dann würde man den Durchbruch schaffen. Stimmen Sie ihr zu?
Ich glaube, sie ist zu optimistisch. Dass es keinen Automatismus gibt, sieht man an der Kooperation zwischen SPD und Linkspartei. Zwischen denen gibt es in östlichen Ländern und Bremen Koalitionen, im Bund will die SPD das aber nicht. Wo Alice Weidel Recht hat, ist, dass in den ostdeutschen Bundesländern die Wahrscheinlichkeit am größten ist, dass diese Kooperationssperre umgangen wird. Insbesondere dort, wo im kommenden Jahr gewählt wird – Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt.
Wie sich die Wahlergebnisse dort auswirken werden, hängt auch maßgeblich von der Zivilgesellschaft ab. Als in Thüringen der FDP-Politiker Thomas Kemmerich vor drei Jahren mit Unterstützung der AfD gewählt worden ist, war durchaus relevant, dass in ganz Deutschland vor den Parteibüros demonstriert wurde. Das beeindruckt die Parteien. Und diese Reaktion der Zivilgesellschaft wird ihren Teil dazu beigetragen haben, dass diese Entscheidung schnell revidiert worden ist.
Die AfD erreicht Umfragewerte wie noch nie. Ist ihr politischer Kurs vielleicht doch das Erfolgsrezept?
Diese Radikalisierung steht ihr zumindest bisher nicht sehr im Weg. Zugleich gehe ich nicht davon aus, dass alle 20 bis 23 Prozent, die in den Umfragen jetzt die AfD angeben, wirklich von all ihren inhaltlichen Punkten überzeugt sind. Die würden wahrscheinlich auch eine Petry-AfD oder eine Meuthen-AfD wählen. Das ist schlimm genug, aber nicht alle wollen diese rechtsextreme AfD. Wenn die AfD eine rechtsradikale Partei wäre wie in den Niederlanden oder sonstigen Ländern, würde sie nicht unbedingt schlechter abschneiden.
Eine kleine Einschränkung: In Ostdeutschland scheint ihr diese Radikalisierung nicht zu schaden, in Westdeutschland dagegen ein kleines bisschen. Da sieht man, dass diese Stigmatisierung für rechtsextreme Parteien in Ostdeutschland wesentlich schwächer ausgeprägt ist als im Westen. Das lässt sich auch in den Umfragedaten ablesen.

Sie AfD hat Schwesterparteien mit rechtsextremen Tendenzen in anderen Ländern. Halten Sie die AfD für gefährlicher als andere Parteien in Europa?
Es ist bemerkenswert, dass viele dieser Parteien in den letzten Jahren ihren Ton eher gemildert haben. Wenn man die jetzige Führung des französischen Rassemblement National mit der alten Führung um Jean-Marie Le Pen vergleicht, ist die Partei viel staatstragender und weniger extremistisch geworden. Die AfD entwickelt sich in die entgegengesetzte Richtung. Das macht sie schon gefährlicher.
Einige Parteien wollen mit der AfD auch nicht mehr unbedingt zusammenarbeiten. Als diese vor zwei Jahren ihren Dexit-Beschluss getroffen hat, wurde sie zu einigen internationalen Kooperationstreffen nicht mehr eingeladen. In Polen zum Beispiel hat man zwar eine rechtsradikale Regierung. Aber die sind überhaupt nicht begeistert, wenn Rechtsextreme in Deutschland nationalistische Phantasien hegen, weil Polen damit eine sehr schmerzhafte Geschichte hat.
Zeigt sich das auch bei der aktuellen Europawahlversammlung?
Ja, es gab mehrere Gastredner internationaler Parteien. Aber da war niemand aus Italien oder Frankreich dabei. Das sind derzeit die größten und wichtigsten Parteien in diesem Spektrum. Das kann sich aber ändern, wenn die AfD nächstes Jahr wirklich mit 20 Prozent oder mehr ins Europäische Parlament einziehen sollte. Gewinner sind immer beliebt.
Prof. Floris Biskamp ist Politikwissenschaftler und Rechtsextremismusforscher an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.