Rot In Hell (Verrotte in der Hölle), We Got Him (Wir haben ihn erwischt): Die Schlagzeilen der amerikanischen Boulevardblätter sind emotional eindeutig. Es ist das Triumphgeheul einer gedemütigten Nation, die unverhohlene Freude über den Tod des Erzfeindes Osama bin Laden, Genugtuung über die Vergeltung der Anschläge vom 11. September. Und Angela Merkel, die deutsche Kanzlerin, schloss sich dieser Gefühlslage kurzerhand an. "Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten", sagte sie in einer Stellungnahme. Prompt hagelte es Kritik, auch aus den eigenen Reihen. Am schärfsten äußerte sich Siegfried Kauder (CDU), Chef des Rechtsausschusses des Bundestages: "Ich hätte es so nicht formuliert. Das sind Rachegedanken, die man nicht hegen sollte. Das ist Mittelalter."
Führt uns die Kanzlerin ins Mittelalter? Am Mittwoch schickte sie den Profi aus der Abteilung Faltenglättung und Weichzeichnung vor die Presse. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, Merkel habe Verständnis dafür, dass "das Zusammenwirkung der Worte Tod und Freude in einem Satz als unpassend empfunden" werden könne. Die Kanzlerin habe ihrer Freude Ausdruck geben wollen, dass von diesem Mann keine Gefahr mehr ausgehe und die Welt hoffentlich ein Stückchen sicherer werde. Damit hob Seibert Merkels Äußerung ins Politische, formte daraus einen Glückwunsch zur gelungenen Terrorbekämpfung, und radierte das Anstößige, Unmoralische aus: Die Freude über die Tötung eines Menschen.
Exakt dieser Punkt war es, der christlich denkende, vor allem katholische Mitglieder der Union auf die Palme gebracht hatte. "Man darf sich darüber freuen, dass einer, der so unglaublich viele Menschen auf dem Gewissen hat, nicht mehr als Anführer und Mythos zur Verfügung steht", sagt Alois Glück, (CSU), Chef des Zentralratkomitees der deutschen Katholiken zu stern.de. "Aber ich freue mich gewiss nicht über seinen Tod." Ebenso argumentiert Martin Lohmann, Sprecher des Arbeitskreises engagierter Katholiken in der CDU. Das Recht auf Leben sei unteilbar, Merkels Wortwahl unpassend. "Diese Äußerung hat etwas schlicht gewirkt, war unglücklich und wohl auch unüberlegt."
Die Katholiken irritiert, dass Merkel just bei dieser elementaren Frage von Leben und Tod offenbar keinen christlichen Reflex verspürt hat - sonst wäre ihr dieser Satz nicht herausgerutscht. So aber lieferte Merkel weiteren Stoff für die These, dass sie das "C" im Parteinamen nicht sonderlich ernst nimmt. 2005 spielte sie die Radikalreformerin und versündigte sich an der katholischen Soziallehre, 2009 kritisierte sie den Papst, 2010 beruhigte sie die Katholiken mit ihrem Votum für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik, 2011 kommt sie mit diesem Satz über den Tod Osama bin Ladens auf den Markt. "Das christliche Koordinatensystem ist offenbar nicht immer zur Gänze vorhanden", sagt Lohmann vorsichtig. Weniger bedächtige Kritiker sprechen von Zickzack-Kurs, Opportunismus und Berechnung. Wäre es nicht auch möglich, dass Merkel, die sich in der Regel jedes Wort genauestens überlegt, einfach mal eine Stimmung abreiten wollte? "Ich nehme zu ihren Gunsten an, dass es nicht populistisch gemeint war", sagt Lohmann zu stern.de. "Alles andere wäre fatal."
Bei der Opposition sind die religiösen Bauchschmerzen weniger ausgeprägt, dafür aber die politischen. Merkels Stellungnahme wird als Solidaritätsadresse für einen höchst zweifelhaften Einsatz der Amerikaner gesehen. "Es wird immer wahrscheinlicher, dass das Ziel der Operation 'Geronimo' in der pakistanischen Stadt Abbottabad nicht die Festnahme von Osama bin Landen durch die US-Spezialeinheit Navy Seals war, sondern dessen Tötung", schreibt der Grüne Hans-Christian Ströbele. "Dafür sprechen nicht nur Meldungen von CNN vom 2. Mai unter Berufung auf US-Offizielle, es habe sich um eine 'Kill-Mission' gehandelt. Vor allem spricht dafür die neue Erklärung des Sprechers des Weißen Hauses vom gestrigen Abend, Osama bin Laden sei doch unbewaffnet gewesen." Ströbele vermutet, dass es sich um eine Art Hinrichtung gehandelt habe.
In der Fragestunde im Bundestag am 11. Mai will er von Merkel wissen, wie sie sich darüber freuen könne. Schließlich stehe im Paragraph 1 des Grundgesetzes, die Würde des Menschen sei unantastbar. Und die Todesstrafe sei in Deutschland doch auch längst abgeschafft.