Erinnerung, Aufklärung, Gerechtigkeit und vor allem Konsequenzen – das fordern die Hinterbliebenen des rassistischen Anschlags von Hanau. Deshalb legten die Opferfamilien laut der "Initiative 19. Februar Hanau" Dienstaufsichtsbeschwerde gegen das Land Hessen ein.
Die Familien der Opfer des Attentats von Hanau gehen juristisch gegen das Land Hessen vor. Sie reichten eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein und werfen den "Polizeikräften und Polizeibehörden in Hessen vor, die Mordtaten des Täters in Hanau durch amtspflichtwidrige Versäumnisse begünstigt bzw. nicht verhindert zu haben". Insbesondere geht es um einen verschlossenen Notausgang am zweiten Tatort sowie den unterbesetzten Notruf der Polizei.
Am 19. Februar 2020 tötete der rechtsextreme Tobias R. neun Bürger aus Hanau, anschließend erschoss er zu Hause mutmaßlich seine Mutter und sich selbst. Auf seiner Internetseite hatte der Täter vorher ein "Manifest" veröffentlicht, in dem er rassistische Aussagen und Verschwörungstheorien verbreitete.
Unterstützung haben die Familien von renommierten Juristen: Der ehemalige hessische Justizminister, Rechtsanwalt Rupert von Plottnitz, und der Staatsrechtler Prof. Dr. Dr. Günter Frankenberg reichten am Montag ein Aufforderungsschreiben beim Hessischen Innenministerium ein.
Die Vorwürfe sind vielfältig: Durch einen verschlossenen Notausgang, von dem die Polizei gewusst habe, sei eine Flucht für die Opfer kaum möglich gewesen. Zudem war der Notruf der Polizei zur Zeit des Anschlags unterbesetzt. Zeugen und auch einer der Toten, Vili Viorel Păun, hatten mehrfach versucht, den Notruf zu wählen und die Polizei zu verständigen. Das belegen auch Anrufprotokolle, wie eine Recherche des Hessischen Rundfunks ergab. Doch die Anrufer kamen bei der Polizei nicht durch, da statt der üblichen zwei Beamten nur ein Beamter Anrufe entgegen nahm – dringend benötigte Notrufe konnten also nicht abgesetzt werden. Ein weiterer Vorwurf der Initiative lautet, dass durch die Polizei nicht überprüft worden sei, ob eines der Opfer noch lebe.
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Insbesondere geht es den hinterbliebenen Verwandten und Freunden aber um das Verhalten der Behörden nach der Tat. Die Familien sprachen in der Vergangenheit mehrfach davon, dass sie als Hinterbliebene selbst rassistischem Verhalten durch Polizeibeamte ausgesetzt waren. Des weiteren erfuhren die Angehörigen teils erst durch die Medien von den Toten. Auch sei "die postmortale Würde der Verstorbenen verletzt" worden, indem ohne Rücksprache mit den Familien Obduktionen durchgeführt worden seien.
Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) sprach Anfang Februar bereits von Engpässen beim Polizei-Notruf. Sagte dabei aber auch, dass die Beamten innerhalb von ein bis zwei Minuten am Tatort gewesen seien, berichtete die Hessenschau. Den Vorwürfen, dass der Notausgang mit Kenntnis der Polizei verschlossen gewesen sei, widersprach er: "Die hessische Polizei würde niemals Anweisungen erteilen, die den Gesetzen zuwiderlaufen." Darüber hinaus debattierte der hessische Landtag letzte Woche zu den Konsequenzen des Anschlags – CDU und FDP forderten eine unabhängige Kommission.
Die Anwälte setzten den Behörden eine Frist bis zum 23. April, um zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen: "Entgegen den Behauptungen des Innenministers gab es aus unserer Sicht gravierende Versäumnisse und Fehlleistungen von Behörden, für die das Land Hessen verantwortlich ist."
Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Auch Armin Kurtović, der Vater des toten Hamza Kurtović, sprach für die Familien der Opfer: "Sollte das Innenministerium sich erneut weigern, auf die von unseren Rechtsanwälten dargelegten Versagenspunkte einzugehen, werden wir beim zuständigen Gericht eine Amtshaftungsklage einreichen."