Taurus-Leaks Abgehörte Gespräche deutscher Militärs: Ein Moment des Fremdschämens

Kanzler Scholz, Verteidigungsminister Pistorius: Brisante Schalte zu Taurus
Kanzler Scholz, Verteidigungsminister Pistorius: Brisante Schalte zu Taurus
© Michael Kappeler / DPA
Die Russen haben eine Konversation hochrangiger deutscher Militärs zum Marschflugkörper Taurus abgehört und veröffentlicht. Das größte Problem ist dabei nicht der Inhalt. 

Es sind 38 Minuten zum Fremdschämen. Eine Gruppe hochrangiger deutscher Militärs hat sich zu einem Video-Gespräch verabredet. Erst tauscht man Alltagsfloskeln in kleiner Runde aus ("Ciao Kakao"), dann spricht man ernsthafter in erweiterter Runde verschiedene Szenarien durch, wie der Einsatz von deutschen Taurus-Raketen in und durch die Ukraine laufen könnte. Mit dabei: der Inspekteur der Luftwaffe, Ingo Gerhartz.

Dumm nur: Die Russen haben die Konversation abgehört und dann über ihren Propagandasender "Russia Today" veröffentlicht. Nun kann sie jeder im Netz finden.

Das Peinliche ist dabei weniger der Inhalt. Auch wenn die Militärs darüber klagen, dass die Blockade des Bundeskanzlers bei Taurus absurde Spekulationen befeuerte und auch wenn teilweise sehr detailliert besprochen wird, wie Taurus einsetzbar wäre, so handelt es sich bei all dem doch um mehr oder weniger bekannte Informationen. Seit Wochen wird darüber in der Öffentlichkeit gesprochen.

Taurus-Leaks: Naivität oder technische Ahnungslosigkeit?

Nein, das Brisante ist der Vorgang an sich. Die Bundeswehrführung hat es offenbar versäumt, sicherzustellen, dass solche Gespräche nur über abhörsichere Kanäle stattfinden. Ob das Naivität, Nachlässigkeit oder technische Ahnungslosigkeit war, wird jetzt schnell zu klären sein. 

Für den Moment kann man nur hoffen, dass der russischen Spionage ein Zufallstreffer gelungen ist und sie nicht auch Gespräche mitgeschnitten hat, deren Inhalt wirklich sicherheitsrelevant ist. 

Für die Opposition ist das abgehörte Taurus-Gespräch ein gefundenes Fressen

Für die Opposition ist der Vorfall gefundenes Fressen. Sowohl AfD- als auch Linke-Politiker haben angekündigt, Anzeige wegen der "Vorbereitung eines Angriffskrieges" zu erstatten. Rings und lechts, in Momenten wie diesen lässt sich das mal wieder schwer auseinander halten. 

Der Vorwurf selbst ist absurd: Im Gespräch ging es nicht darum, dass Deutschland russische Ziele angreift. Sondern darum, dass die Ukraine mit den von Deutschland gelieferten Taurus-Raketen russische Ziele attackieren würde. An einer Stelle etwa wird angemerkt, dass bei den Szenarien auch die Gefahr von zivilien Kollateralschäden berücksichtigt werden müsse. Etwa, wenn mit Taurus ein Kindergarten getroffen werden würde. Ein berechtigter Hinweis.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Nicht nur Taurus-Leaks: Eine schlechte Woche für Deutschland

Doch der Imageschaden ist enorm. Nicht nur für die Bundeswehr. Der Abhörskandal steht am Ende einer Woche, die für Deutschland verheerend gelaufen ist. Erst erteilte Scholz ohne jedes kommunikative Feingespür der Taurus-Lieferung auf einer Chefredakteurstagung eine Absage. Dann stritt er sich mit dem französischen Präsident Emmanuel Macron in aller Öffentlichkeit über den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine. Und jetzt entsteht auch noch der Eindruck, dass ausgerechnet im Land des Datenschutz-Fetischismus die Bundeswehr nicht einmal die Grundstandards digitaler Sicherheit beherrscht.

Das alles geschieht in einer Zeit, in der es angesichts einer möglichen zweiten Amtszeit von Donald Trump mehr denn je darauf ankommt, dass sich Europa geschlossen und verteidigungsfähig zeigt.

Fast könnte man meinen, dass sich Kreml-Chef Wladimir Putin nur mit Popcorn zurücklehnen und zusehen muss, wie sich Europa zerlegt. Bevor er dann sein schmutziges Geschäft in der Ukraine zu Ende bringt.

Diesen Gefallen dürfen wir ihm nicht tun. Noch ist es nicht zu spät, diesen Vorfall als Weckruf zu nehmen. Für Vorschriften im Verteidigungsministerium, die garantieren, dass vertrauliche Gespräche nur über abhörsichere Kommunikationssysteme stattfinden. 

Für mehr europäische Geschlossenheit im Kampf gegen Putin. Und für mehr strategische Ambiguität in der deutschen Ukrainepolitik, die Russland stärker im Unklaren lässt, wie weit Deutschland bereit wäre zu gehen.