Es gibt einen emotionalen Moment, ganz am Anfang des Gesprächs. Der TV-Journalist Heiner Bremer fragt Kurt Beck nach der Troika, die in einem Bonner Hotel verabredet wurde: Beck bleibt Parteivorsitzender, Frank Walter Steinmeier wird Kanzlerkandidat, Franz Müntefering soll den Wahlkampf managen. Ob Beck nicht geahnt habe, dass er in dieser Konstellation keine bedeutende Rolle mehr spielen könne? Beck, der auf dem Podium der rheinland-pfälzischen Landesvertretung sitzt, eher bleiern als erlöst, redet von den Hoffnungen die er auf Steinmeier gesetzt hat. Und sagt dann, es sei auch um das "Einbinden einer wichtigen Persönlichkeit der Sozialdemokraten" gegangen. Pause. Beck stockt, er muss Luft holen. Erst danach kann er den Namen aussprechen, das erste Mal an diesem Vormittag: Müntefering.
Eigentlich sollte ein anderer Name diesen Vormittag beherrschen: Kurt Beck. Er wollte in der Landesvertretung seine Autobiografie vorstellen, konzipiert als Erklärung in eigener Sache und politischer Wegweiser, der, so die ursprüngliche Hoffnung, die Dauerkritik am SPD-Vorsitzenden eindämmen würde. Doch dann grätschte das Wochenende am Schwielowsee in die Zeitläufte: Becks plötzlicher Rücktritt, Steinmeiers Ernennung zum Kanzlerkandidaten, Münteferings Berufung zum künftigen Parteivorsitzenden. Im Pendo-Verlag läuteten die Alarmglocken. "Der Drucker wollte am Montagfrüh auf den Knopf drücken, wir haben es gerade noch verhindert", sagt Verleger Christian Strasser. So konnte Beck noch einige Zeilen zu seinem Sturz einfügen. Und den geplanten Laudator, Altkanzler Gerhard Schröder, wieder ausladen. Damit habe er "Distanz zu den Ereignissen" schaffen wollen, sagt Beck, eine verkappte Anspielung darauf, dass Schröder an seiner Demission mitgefingert haben könnte, was Beck inzwischen aber offiziell dementiert. Nun sitzt er mit dem hektisch überarbeiteten Buch und Heiner Bremer auf dem Podium und kaut auf dem Namen Müntefering herum.
Beck beißt nicht
Die Erwartungen sind hoch, dass Beck diesen Moment nutzt, um aus der selbstverordneten Parteidisziplin auszubrechen. Also jene beißt, die ihn gebissen haben. Gründe gäbe es reichlich. Es ist kein Geheimnis, dass Beck und Müntefering erbitterte Rivalen waren. Es ist auch kein Geheimnis, dass die Strippenzieher, die Becks Sturz verursachten, vor allem im Lager Münteferings zu suchen sind. "Beck muss weg", hieß deren Devise. Und es ist kein Geheimnis, dass das Verhältnis zwischen Beck und Müntefering zerrüttet ist. Über ein Vier-Augen-Gespräch nach seinem Sturz sagte Beck dem stern: "Mehr als dass man miteinander anständig und ordentlich reden kann, hat es nicht gebracht."
Aber: Beck beißt nicht. Er sagt, er glaube nicht, dass sein Sturz von langer Hand geplant worden sei. Gleichwohl hätten die Vorgänge "intrigenhafte Züge". Verantwortlich seien Männer aus der zweiten Reihe. Im Übrigen werde er Steinmeier und Müntefering künftig unterstützen. "Ich habe respektvolle Empfindungen gegenüber Müntefering", sagt Beck. Härter kann ein gedemütigter Parteisoldat seine Disziplin nicht exekutieren.
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Foto aus der Wellness-Broschüre
So ist Beck nach seinem Sturz, so ist er auch an diesem Tag: Zutiefst verletzt, gekränkt, jemand, der sein Beleidigtsein zwischen den Zeilen artikuliert, aber die Wut abschneidet. Um der SPD nicht zu schaden - und um in der Öffentlichkeit sein Gesicht zu wahren. Diese emotionale Verknotung spiegelt auch das Cover seiner Autobiografie. "Kurt Beck. Ein Sozialdemokrat" lautet der Titel. Im Vorwort schreibt Beck, dass ihm der Untertitel "Ein Sozialdemokrat wie es viele gibt" noch besser gefunden hätte. Am liebsten hätte er sich also gleich für die vermeintliche Anmaßung entschuldigt, dass es ein Buch über seine Person gibt. Unter dem Titel steht ein elegantes Schwarz-Weiß-Foto, Beck lächelt, den Kopf sanft auf seine Hände gestützt, sein Blick geht nach links oben, zu einer Lichtquelle. Das Foto sieht aus, als wäre es einer Wellness-Broschüre entnommen, es strahlt Reinheit und Optimismus ab. Darunter aber steht auf rotem Grund ein Satz, der Entschuldigung und Anklage zugleich ist: "Ich will und werde es mir nicht einreden lassen, dass es ein Vorteil in der Politik sei, wenn man den Umgangsstil eines Wolfsrudels miteinander pflegt." Wieder einer dieser gequälten Sätze aus der Defensive. Zum Vergleich: Münteferings Buch soll "Macht Politik!" heißen.
Zum SPD-Sonderparteitag, auf dem Müntefering zum Parteivorsitzenden gewählt werden soll, will Beck nicht kommen, das bekräftigt er an diesem Vormittag. Dem stern sagte er, er wolle "geheuchelte" Fotos vermeiden, hier erklärt er, eine würdige Verabschiedung seiner Person sei kaum möglich, wenn die Kameras ihn ständig beobachteten, sobald Müntefering seine Rede halte. Aber: Auf den folgenden Parteitagen wolle er dabei sein. "Ich werde als Ministerpräsident nicht aus der Politik verschwinden, auch nicht aus der Bundespolitik." Aber er wird sie dann eben von Mainz aus begleiten, seiner Trutzburg. Die rheinland-pfälzischen Genossen haben ihn just mit einem sozialistischen Ergebnis im Amt des Landesvorsitzenden bestätigt.
Die Idee vom "good guy"
Beck erzählt auf dieser Präsentation noch viel über die Vergangenheit, über seinen Fehler, die neue Strategie im Umgang mit der Linkspartei zu früh zu verkünden, über das Bewusstsein, dass ihn dieser Fehler die Kanzlerkandidatur gekostet habe. Vor allem aber geht es um seinen Stil, Politik zu machen - offener, fairer und anständiger, als dies den Berliner Gebräuchen entspreche. Beck hängt an dieser Vorstellung, dass er der "good guy" gewesen sei - der Mann, der ohne Spindoktoren, Rabaukentum und politische Erpressungen die SPD zu führen versuchte. "Ich hatte gehofft, dass dieser andere Stil gewollt war", sagt er. Vielleicht war er das auch. Durchgesetzt haben sich andere.