Für Adolf Elf ist es wie gestern. Er ist stolz. Gleich wird ihm der Verteidigungsminister die Hand schütteln und ihm seine Ernennungsurkunde überreichen. Elf ist 35 Jahre alt und ein Mann der ersten Stunde. Ein Ausschuss hat sein Verhalten als Soldat im Nazi-Regime überprüft und ihn für diese große Aufgabe ausgesucht: Er soll mit weiteren 100 Männern die Bundeswehr aufbauen. Der Marine-Offizier fühlt sich geehrt, die See-Streitkraft "und damit auch die Bundesrepublik" mitgestalten zu dürfen. Das war am 12. November 1955.
Kaserne voller Flüchtlinge
Während Elf schwört, die Bundesrepublik tapfer zu verteidigen, sind etliche Soldaten des Zweiten Weltkriegs entsetzt über die Wiederbewaffnung Deutschlands. Sie können es nicht fassen, dass dieses Land bereits zehn Jahre nach Kriegsende mit all dem Leid über unzählige Menschen wieder eine Armee bekommen soll. Während Elf mit der Rekrutierung von Soldaten beginnt, kommen Spätheimkehrer aus langer sowjetischer Gefangenschaft zurück. Und in der Kaserne, die die Marine in Wilhelmshaven bezog, wohnen noch Flüchtlinge.
Elf wollte nie etwas anderes, als auf See zu sein und für die Marine zu arbeiten. "Meine Kameraden und ich waren begeisterte Seefahrer. Das blaue Tuch und die goldenen Knöpfe lagen uns am Herzen", sagt der heute 85-jährige Kapitän zur See a.D. In seinem Haus in Emden zeigen ein Bild vom Alten Fritz, dem Preußenkönig, ein Modellschiff und Bilder von seiner Familie seine Welt: die strenge Erziehung seiner Eltern zu preußischer Pflichterfüllung, seine Leidenschaft für die Seefahrt, und die Liebe zu seiner Familie.
Teuerster Blinddarm der Welt
Gar nicht preußisch ging es aber auf einer seiner Überseefahrten 400 Meilen vor den Azoren zu, als ein Matrose einen Blinddarmdurchbruch hatte und der Schiffsarzt ein Orthopäde war. Ein zu Hilfe gerufenes portugiesisches Ärzteteam kenterte mit dem Flugboot bei der Landung. Die Mannschaft wurde aber von Elfs Leuten gerettet und der Patient wenig später in der Offiziersmesse operiert. Es war der wohl teuerste Blinddarm der Welt: Die Aktion kostete eine Million Mark.
Elfs Ansicht nach konnte Bundeskanzler Konrad Adenauer gar nicht anders als für den Aufbau der Bundeswehr auf Wehrmachtsoldaten zurückzugreifen. "Außer uns war ja niemand da, der von Streitkräften etwas verstanden hätte." Die Auswahlkriterien, nach denen er 1955 für den Aufbau der Marine ausgesucht wurde, waren überraschend simpel. Gesucht wurde aus Paritätsgründen noch ein "katholischer Offizier, der kein Bayer war." Denn einen evangelischen, bayerischen Offizier hatte Adenauer schon gefunden. Die psychologischen Tests in Bonn bestand Elf ohne Probleme. Die Prüfer waren alte Bekannte. "Das waren auch alles Offiziere aus dem Krieg." Die Gesinnung sei kein Thema gewesen. "Wir waren vor allem froh, dass wir wieder eine Arbeit hatten und unsere Familien ernähren konnten. Und wir waren im Krieg keine Nazis."
Elf sagt, er hatte einen Schutzengel, dass er den Krieg überlebt hat. Gleich im ersten Kriegsmonat wurde er 19-jährig eingezogen. Von 1941 bis 1944 war er Kommandant eines Minensuchbootes im Englischen Kanal. 1944 wurde sein Schiff von den Engländern versenkt. Er überlebte unverletzt. Kurz vor Kriegsende wurde er zum Transport von Flüchtlingen eingesetzt. "Das war schlimmer als der Krieg. Manche Frauen schnitten sich bei russischen Luftangriffen aus Angst vor Bombardierung die Pulsadern auf." Später hat Elf den Kalten Krieg erlebt. 600.000 Soldaten waren zu seiner Zeit unter Waffen. Zehn Jahre bevor die Mauer fiel, ist er in den Ruhestand gegangen.

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"Das geht nicht gut an Bord mit den Männern"
Die Bundeswehr heute ist ihm fremd. Es stört ihn, dass ein Kriegsdienstverweigerer Wehrbeauftragter des Bundestags werden kann, und dass Frauen nicht nur Sanitätsdienst leisten, sondern auch zur See fahren dürfen. "Das geht nicht gut an Bord mit den Männern", meint Elf. Aber er betont: "Ich verneige mich vor den Auslandseinsätzen der Bundeswehr." Das sei Friedensdienst. Dennoch - er spüre heute weniger Kameradschaft, dafür mehr Ellenbogengesellschaft auch in der Armee. Selbstironisch fügt er aber hinzu: "Das erzählen wir Ehemaligen uns so am Stammtisch." Von den Männern der ersten Stunde leben noch 17.