Das Jahr war keine 24 Stunden alt, da sorgte die stellvertretende AfD-Vorsitzende Beatrix von Storch für ihren ersten Aufreger. Nachdem die Kölner Polizei in mehreren Sprachen - darunter auch auf Arabisch - Neujahrsgrüße veröffentlicht hatte, ließ von Storch ihrem Ärger freien Lauf: "Was zur Hölle ist in diesem Land los? Wieso twittert eine offizielle Polizeiseite aus NRW auf Arabisch. Meinen Sie, die barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden so zu besänftigen?", schrieb die AfD-Spitzenfrau bei Twitter.
Die Folgen des Tweets: Twitter sperrte von Storchs Account mehrere Stunden, der Beitrag ist inzwischen nicht mehr sichtbar, möglicherweise als Folge des umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), das soziale Netzwerke dazu verpflichtet, offensichtlich rechtswidrige Inhalte binnen 24 Stunden zu entfernen.
Hunderte Anzeigen gegen AfD-Politikerin
Die Kölner Polizei erstattete Anzeige wegen des Verdachts der Volksverhetzung gegen von Storch, hunderte weitere Strafanzeigen seien bei den Behörden eingegangen, so die Staatsanwaltschaft in der Rheinmetropole. Von Storch erhielt Solidaritätsbekundungen aus den Reihen der AfD, unter anderem von den Bundestagsfraktionsvorsitzenden Alice Weidel ("importierte, marodierende, grapschende, prügelnde, Messer stechende Migrantenmobs") und Alexander Gauland.
Welches Kalkül wohl hinter den Beiträgen steckt, zeigte der stern am Dienstag auf: Die AfD habe sich damit in die Rolle manövriert, die ihr am besten gefalle: die Opferrolle, eine Partei im Fadenkreuz der Zensur.
Auch Kommentatoren anderer deutschen Medien sehen eine Strategie hinter den provozierenden Tweets. Die Presseschau:
Der Berliner "Tagesspiegel" schreibt: "Die AfD testet schon lange die Grenzen dessen aus, was sagbar ist. Sie will sie erweitern und wird dabei immer schärfer in ihren Aussagen. Fraktionschefin Alice Weidel schrieb in einem 'Solidaritätstweet' gleich noch einmal von 'marodierenden, grapschenden Migrantenmobs'. Das Schlimme ist: Je öfter AfD-Funktionäre solche Dinge sagen, desto schneller setzt eine Normalisierung ein. Die Aufregung nutzt sich ab. Irgendwann wird es keinen Aufschrei mehr geben über Aussagen wie diese jüngste von Beatrix von Storch. Die Aufgabe ist nun, sich gegen die Gewöhnung zu stemmen. Sonst wird Hetze salonfähig."
"Meinungsfreiheit kein Freibrief für Verleumder"
Die "Braunschweiger Zeitung" glaubt, dass die Aktion für die AfD nach hinten los geht: "Festzuhalten ist: Die Meinungsfreiheit, die die AfD zurecht einfordert, ist kein Freibrief für Verleumder. Die AfD könnte sich mit konkreten Vorschlägen zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit um unser Land verdient machen. Doch davon ist wenig zu sehen. Falls die Partei versuchen sollte, ihre politische Ladehemmung mit demagogischen Ausbrüchen zu überspielen, würde sie die Bürger unterschätzen. Die wählen in Deutschland traditionell nicht Meister des Kraftausdrucks, sondern kompetente Macher."
Auch die "Wirtschaftswoche" vermutet die Opfer-Strategie als Motivation hinter den provozierenden Tweets: "(...) nicht alles, was an gravierendem Unfug durch die sozialen Medien geistert, ist auch justiziabel und fällt unter das NetzDG. Das Ende der Meinungsfreiheit auszurufen, ist deshalb nichts anderes als purer Populismus. Die AfD versucht auf diese Weise einmal mehr, sich als Opfer darzustellen. Mit dem Ziel, ihre Anhängerschaft gegen Facebook, Twitter & Co. zu mobilisieren."

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"Gauland zeichnet ein Zerrbild der Gegenwart"
Deutlich wird auch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung": "(...) wer sich, wie der AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Gauland, nach der Löschung mutmaßlich volksverhetzender Aussagen auf Facebook und Twitter an Stasi-Methoden erinnert fühlt, der stellt nicht nur seiner eigenen Geschichtskenntnis ein schlechtes Zeugnis aus. Er zeichnet auch ein Zerrbild der Gegenwart.
In der Bundesrepublik ist Meinungsfreiheit als Grundrecht durch die Verfassung geschützt, in der DDR mit ihrer Vorab-Zensur war sie es nie. Doch gilt dieses Recht nicht schrankenlos, vor allem nicht in den Kommunikationsräumen, die sich als 'neue Plattformen des öffentlichen Diskurses' (Facebook-Gründer Mark Zuckerberg) etabliert haben."
Die "Schwäbische Zeitung" aus Ravensburg meint: "Die Worte und den Zeitpunkt (...) haben von Storch und Parteichef Alexander Gauland taktisch gewählt. Die Nachricht der Politikerin war scharf genug, um von der Plattform Twitter sicher gesperrt zu werden – damit Gauland dies als Steilvorlage nutzen kann. Denn nun möchten sich die Rechten wieder als Vorkämpfer für die Meinungsfreiheit stilisieren. Auch wissen die AfD-Oberen genau, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, mit dem soziale Netzwerke Hassbotschaften leichter löschen können, Kommentare der Partei und ihrer Klientel im Internet gefährlich werden kann. Diese beschränken sich oft genug auf Hetze und Parolen.
Mit 'Zensur', wie Gauland es nennt, hat das Gesetz nichts zu tun. Vielmehr soll es es die Diskussionskultur im Netz auf eine sachliche Ebene führen – von der die AfD eher nicht profitieren dürfte."