Arbeitsmarktpolitik Reformpaket: Schröders Kampf an vielen Fronten

Die "Agenda 2010" des Bundeskanzlers steht weiter unter Beschuss von vielen Seiten. Mühsam werden um Kompromisse mit den Kritikern gerungen. SPD-Fraktionschef Müntefering indes sieht die Koalition in Gefahr.

Trotz scharfer Angriffe von Gewerkschaftern und SPD-Linken hat Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) einer neuen Vermögensteuer eine klare Absage erteilt. Man sei "gut beraten", diese Steuer gegenwärtig nicht zu thematisieren, sagte der Minister am Freitagabend im Fernsehsender "Phoenix". Er verwies auf die Konkurrenz zu den Nachbarländern, die eine Besteuerung des Vermögens in Deutschland nicht sinnvoll erscheinen lasse.

"Sehr ernste Auseinandersetzung"

Zur Gewerkschaftsschelte an den Reformplänen der Regierung und zum Streit der SPD-Spitze mit den Arbeitnehmerorganisationen meinte Clement: "Das ist eine sehr ernste Auseinandersetzung." Die Gewerkschaften folgten seiner Ansicht nach in der Arbeitsmarktpolitik einem Bild, "das heute nicht mehr haltbar ist". Zu geplanten Kürzungen bei den Leistungen für Arbeitslose sagte der Minister, für ihn sei heute wichtig die "Vermittlung von Menschen in Arbeit, nicht wie lange jemand ein bestimmtes Geld bekommt". Zu lange sei mit Milliardensummen Arbeitslosigkeit finanziert worden.

Kündigungsschutz: Clement weicht zurück

Unterdessen will Clement nach einem Zeitungsbericht bei der Reform des Kündigungsschutzes hinter bisherige Pläne zurückweichen. Arbeitnehmer, denen aus betrieblichen Gründen gekündigt wird, sollen künftig nur dann eine gesetzliche Abfindung erhalten, wenn der Arbeitgeber dazu bereit ist und schriftlich auf diese Möglichkeit hinweist. Dies berichtet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" unter Berufung auf den Gesetzentwurf zur Reform des Kündigungsschutzes und des Arbeitslosengeldes, der dem Blatt vorliegt.

Damit nehme Clement von ursprünglichen Plänen Abstand, die jedem Gekündigten automatisch einen Anspruch auf eine Abfindung gegeben und der Wirtschaft hohe Kosten aufgebürdet hätten. Auch die von Clements Parlamentarischem Staatssekretär Rezzo Schlauch (Grüne) ins Spiel gebrachte Staffelung der Abfindungshöhe nach der Betriebsgröße sei in dem Entwurf nicht mehr enthalten. Vielmehr soll einheitlich ein halber Monatsverdienst für jedes Beschäftigungsjahr gezahlt werden.

Bemühungen um sachlichere Töne

Ungeachtet der Gewerkschaftsattacken bei den Mai-Kundgebungen wollen der DGB und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) über die geplanten Sozialreformen im Gespräch bleiben. Einen Tag nach den Massenprotesten gegen die "Agenda 2010" mit rund einer Million Teilnehmer waren DGB-Spitze und Kanzleramt um sachlichere Töne bemüht. Der Kanzler kritisierte jedoch die Form der Proteste und warf der IG Metall indirekt vor, die Pfeifkonzerte bei seiner Ansprache am 1. Mai im hessischen Neu-Anspach geschürt zu haben.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Kanzler genervt von Trillerpfeifen

Der Kanzler sagte in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin": "Was mich gestört hat, das will ich sagen, sind Trillerpfeifen. Wenn ich höre, dass die IG-Metall-Führung säckeweise diese Dinge verteilt hat, dann sollte man dort in Frankfurt über diese Art von Streitkulturen - in Anführungsstrichen - vielleicht noch mal nachdenken."

Kritikern entgegenkommen

Zugleich versucht die Bundesregierung, mit Milderungen bei den Sozialreform-Plänen den Kritikern die Zustimmung zu erleichtern. Bundesarbeitsminister Clement will den Übergang vom Arbeitslosengeld in die Sozialhilfe mit Aufschlägen abfedern. Sein Ministerium bestätigte einen entsprechenden Bericht der "Süddeutschen Zeitung". Zugleich sollen aber Langzeit-Arbeitslose auch gering bezahlte Minijobs annehmen müssen.

Von den Kritikern der Agenda 2010 in der SPD wurden die Pläne als unzureichend zurückgewiesen. "Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht die Lösung des Problems", sagte SPD-Sozialexperte Ottmar Schreiner der "Bild am Sonntag". Die bayerische SPD-Wirtschaftsexpertin Sigrid Skarpelis-Sperk sagte: "Es ist grundsätzlich nicht einzusehen, dass jemand, der jahrzehntelang gearbeitet hat, in die Sozialhilfe absinkt."

Müntefering sieht Koalition in Gefahr

SPD-Fraktionschef Franz Müntefering betonte, er sehe ohne eigene Bundestagsmehrheit für das Reformpaket das Ende von Rot-Grün. Er sagte dem Bonner"General-Anzeiger", ohne eigene Mehrheit für die Reformagenda sei die Koalition "nicht mehr regierungsfähig". Müntefering erwartet, dass der Sonderparteitag zu den Reformplänen am 1. Juni die Linie der Bundesregierung "klar unterstützt". Die zwölf SPD-Abgeordneten, die als Kritiker der "Agenda 2010" hervortreten, müssten sich "dieser Mehrheit dann anschließen".

Diskussionsprozess voranbringen

Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Reformkritiker Horst Schmidbauer hat indes eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der "Agenda 2010" gefordert. "Wir müssen einen breiten Informations- und Diskussionsprozess voranbringen", sagte Schmidbauer vor der zweiten SPD-Regionalkonferenz mit dem Kanzler an diesem Montag in Nürnberg. Andernfalls drohe eine Spaltung. "Die SPD-Mitglieder wollen einerseits zum Kanzler stehen, sagen mir aber im gleichen Atemzug, dass ich mit meiner Kritik in der Sache Recht habe."