Herr Giegold, Hand aufs Herz: Haben sie Aktien?
(lacht) Nein, ich habe keine Aktien. Ich habe nicht so viel Geld, und das Geld, was ich habe, steckt in soziale und ökologische Projekte.
Nicht mal Solaraktien? Für die Zukunft?
Ach, grundsätzlich habe ich nichts gegen Aktien. Und wenn die Firmen nachhaltige Entwicklungen voranbringen, dann ist das gut. Aber ich will keine Finanzberatung auf stern.de machen.
Zur Person
Sven Giegold, geboren 1969, war vor neun Jahren Mitbegründer von Attac-Deutschland. Im Herbst letzten Jahres trat er den Grünen bei und kandidiert nun für einen Sitz im Europäischen Parlament.
Die SPD scheint die Grünen momentan links überholen zu wollen. Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier und Finanzminister Peer Steinbrück haben ein Papier vorgelegt, wonach Manager künftig höher belastet werden sollen. Auch von einer Anhebung des Spitzensteuersatzes ist die Rede.
Stimmt das denn? Wenn ich die Papiere so lese, dann will die SPD nichts daran ändern, dass Kapitaleinkommen nur mit einer Abgeltungssteuer von 25 Prozent plus Soli belastet werden. Das ist die zentrale steuerpolitische Ungerechtigkeit. Alle Einkommensarten müssen gleich besteuert werden. Stattdessen geht es der SPD offenbar nur darum, symbolisch den Spitzensteuersatz auf Arbeitseinkommen raufsetzen.
Außerdem will sie eine Börsenumsatzsteuer einführen, Hedgefonds besser kontrollieren…
… halt, halt, mal ganz langsam: Das ist gar keine richtige Börsenumsatzsteuer. Denn sie soll nur Wertpapiere betreffen. Was wir Grüne schon lange fordern - nämlich Devisentransaktionen zu besteuern, um die Devisenspekulationen einzudämmen - ist ausdrücklich ausgeschlossen.
Manche bezeichnen die Börsenumsatzsteuer als eine Art "Tobin-Steuer light". Das haben Sie bei Attac doch jahrelang gefordert.
Aber es ist ja keine Tobin-Steuer, auch keine "Tobin-Steuer light"! Denn die SPD will gerade die Devisenspekulationen, wie gesagt, nicht berücksichtigten. Leider!

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Die Begrenzung der Managergehälter, die die SPD fordert, hat Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bereits als "pauschalen Blödsinn" bezeichnet. Was ist ihre Position?
Ich bin der Meinung, dass jemand, der sehr gut verdient auch sehr hohe Steuern zahlen soll. Und es darf auch nicht sein, dass sich die Boni danach richten, ob ich kurzfristig gut spekuliert habe, selbst wenn ich langfristig dem Unternehmen schade.
Die Union tut sich schwer mit der Neuordnung des Finanzmarktes und der Wirtschaftsstrukturen. Hat Kanzlerin Angela Merkel denn bislang wenigstens gutes Krisenmanagement abgeliefert?
Frau Merkel ist planlos. Ich erkenne nicht, dass sie wüsste, wo sie jetzt hin will. Sie hört erst einmal allen zu und legt sich hinterher nicht genau fest. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir zur Zeit brauchen. Früher war sie die Klimakanzlerin, heute macht sie das Gegenteil. Vor vier Jahren war sie noch voll auf Liberalisierung gepolt, heute fährt sie einen sozialdemokratisierten Kurs - was aber auch heißt, dass sie womöglich wieder dem Marktradikalismus zuneigt, sobald sie mit der FDP koaliert. Ich bin ernsthaft verwirrt angesichts dieses Zickzacks.
Die Liberalen haben derzeit großen Erfolg, während die Grünen in den Umfragen weit dahinter liegen. Haben sie Alpträume bei den Gedanken an die FDP?
Warten wir mal ab. Der Schrecken der FDP wird den Wählern schon noch deutlich werden. Was heißt es denn, wenn die gesetzliche Krankenversicherung abgeschafft wird? Und wenn die Reichen noch mal mit massiven Steuersenkungen belohnt werden sollen? Die Umfragewerte der FDP werden wieder purzeln.
Oft werden die Grünen als die Liberalen von Morgen bezeichnet, Stichwort Bionade-Bourgeoisie. Was wird die Grünen in zehn Jahren noch von der FDP unterscheiden?
Mit dem Begriff der Liberalität kann ich sehr gut leben. Die Grünen haben eine starke liberale Seite. Wir bewerten alle Lebensformen als gleichwertig, wir wollen nicht die Frauen zurück per Herdprämie wieder in die Küche schicken wie die CSU, wir treten für die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften ein und sind für die Stärkung der Bürgerrechte und kämpfen für die Menschenrechte. Das sind alles Dinge, für die die FDP früher mal ernsthaft gestritten hat. In dieser Hinsicht haben die Grünen das Erbe der FDP übernommen. Aber wir sind eben nicht wirtschaftsliberal - und werden es auch nie sein.
Okay. Die FDP will Steuern senken. Und sie möchten, dass Gutverdiener auch angemessen zur Kasse gebeten werden. Herr Giegold: Wie wollen sie den Reichen dazu bewegen, etwas abzugeben?
Wenn es so weiter geht, werden auch die Gutverdiener in Deutschland nicht mehr gut leben. Die soziale Schere geht auseinander, vom Kinderheim, über Schule, Arbeitseinkommen bis zur Krankenpflege. Und wenn wir das akzeptieren, dann sind wir auf dem Weg in eine Gesellschaft, wo sich die Vermögenden Zäune um ihre Wohnsiedlungen bauen müssen und sich nicht mehr trauen können, ihre Kinder auf der Straße spielen zu lassen. Ich glaube, dass die Mehrzahl der Gutverdienenden eine solche Gesellschaft nicht will. Sie leben hier genauso gern wie ich. Deshalb müssen wir dringend in den öffentlichen Sektor investieren und können uns keine weiteren Steuersenkungen leisten.