Er ist zur Hoffnung verurteilt: Der neue SPD- Fraktionschef Markus Rinderspacher übernimmt seinen Posten am tiefsten Punkt der Nachkriegsgeschichte seiner Partei. 35 von 39 Stimmen erhält er bei der Fraktionssitzung am Mittwoch - und allein die Tatsache, dass Rinderspacher gewählt wird, zeigt die katastrophale Lage. Denn Rinderspacher ist nicht nur der Jüngste der Fraktion, sondern auch noch unerfahrener Parlamentsneuling. Bis vor wenigen Wochen war es in der SPD vollkommen unvorstellbar, dass der Fraktionsvorsitz an ein Greenhorn geht. Nun hält der 40-Jährige bei seiner ersten Pressekonferenz eine Art von Blut, Schweiß und Tränen- Rede: «Wir befinden uns zweifellos in einer tiefen Krise, wir befinden uns immer noch im Abwärtstrend.»
Als erste Amtshandlung verordnet Rinderspacher seinen 38 Kollegen eine knallharte Wahlanalyse. «Unsere Wahlergebnisse waren so schlecht, und wir haben so viel Vertrauen verloren, dass wir nicht als Lautsprecher durch die Gegend laufen können», sagt er. Damit geht Rinderspacher gleich zu Beginn ein Risiko ein. Denn linker und rechter Parteiflügel haben bereits begonnen, sich gegenseitig die Schuld an der Wahlkatastrophe des 27. September zu geben. Eine schonungslose Analyse könnte die Gräben noch vertiefen. Derartige Auseinandersetzungen hätten «keinen Sinn», mahnt Rinderspacher vorbeugend.
Offen ist, in welche Richtung sich die Bayern-SPD entwickeln wird. Der Landesvorsitzende Florian Pronold ist eigentlich ein Linker, wanderte in der Zeit der großen Koalition in die staatstragende Mitte. Derzeit hat sich Pronold wieder mit anderen Linken im SPD- Bundesvorstand verbündet. Die Linken in der SPD glauben, dass Ex- Kanzler Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 die Schuld am Niedergang trägt. Die Rechten sind überzeugt, dass gerade die Verleugnung der Schröder-Erfolge und der Linksdrall die Hauptursache sind. Rinderspacher bezeichnet sich selbst als «Gestaltungslinken». «Ich komme aus der Mitte der Partei.» Von den Linken in seiner Fraktion wird er aber eher als Rechter wahrgenommen.
Rinderspacher hat eine doppelte Bürde auf sich genommen: Einerseits muss er mithelfen, den Abwärtstrend zu stoppen und nach Möglichkeit zu drehen. Und fraktionsintern hat er mit einer schwierigen Gemengelage zu kämpfen. Viele SPD-Abgeordnete sind eigentlich gut gelaunte Menschen, doch dauergefrustet. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Eifersüchteleien, Missgunst und Streit um eigentlich bedeutungslose Posten und Pöstchen, wie SPD- Abgeordnete berichten.
Und über Jahre waren bei der Vergabe wichtiger Positionen in der ganzen Bayern-SPD und der Fraktion nicht Leistung und Wahlerfolg die wichtigsten Kriterien, sondern Regionalproporz und Sitzfleisch. Daher richtet Rinderspacher einen dringenden Appell an seine Parteifreunde und bittet um Gemeinschaftsgeist: «Einzelkämpfer werden die Bayern- SPD nicht zu neuen Erfolgen führen.»
Rinderspacher weiß natürlich um die Probleme - denn er hat ihnen zumindest teilweise seine Beförderung zum Fraktionschef zu verdanken. Eigentlich wäre einer von drei verdienten Funktionären für den Posten prädestiniert gewesen - der Münchner SPD-Chef Hans-Ulrich Pfaffmann, der parlamentarische Geschäftsführer Harald Güller und Fraktionsvize Thomas Beyer. Doch alle drei sitzen schon länger im Landtag und haben daher Gegner in der eigenen Fraktion. Rinderpacher dagegen ist unbeschwert von jeglichen Altlasten. «Es ist nötig, dass wir Sozialdemokraten eine gewisse Demut an den Tag legen», sagt er.