Berlin³ Die Pflicht der Bürgerlichen nach dem AfD-Totalschaden

Berlin hoch 3 mit Vornbäumen und AKK
© Morris MacMatzen / Getty Images / stern
Ausnahmezustand in Thüringen. Nun also doch Neuwahlen. Doch AKK und Christian Lindner sind in der Pflicht, Brandmauern zu errichten.

Thüringen, was bisher geschah: Im Erfurter Parlament lässt sich ein geschichtsvergessener FDP-Mann im dritten Wahlgang mit den Stimmen der rechtspopulistischen AfD zum Ministerpräsidenten wählen.  Er heißt Thomas Kemmerich. Was er getan hat, wird als Lehrstück in die Geschichtsbücher eingehen: Es ist der reichlich schief gegangene Coup eines vermeintlich "Bürgerlichen", der es offenkundig nicht ertragen wollte, einem Linken-Politiker -  dem früheren und in Thüringen durchaus beliebten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow - kampflos die Macht zu überlassen.

Es braucht 24 Stunden, eine halbe Ewigkeit, bis sie bei den Liberalen in Erfurt den Schuss gehört haben. Die FDP-Landtagsfraktion will nun nach wachsendem Druck einer empörten Öffentlichkeit einen Antrag auf Auflösung des Landtags stellen. Der Weg für Neuwahlen ist damit frei. Kemmerich wird zurücktreten. Ein Ministerpräsident der wenigen Tage. So etwas nennt man: Totalschadensbegrenzung in höchster Not.

Was für ein Schmierentheater! Es ist, auch wenn das von unterschiedlicher Seite behauptet wird, noch nicht ganz klar, ob das Manöver der Ministerpräsidentenwahl aus Naivität oder Kalkül Erfolg hatte. Also ohne oder mit vorheriger Absprache. Im ersten Fall wäre Kemmerichs Wahl mit Hilfe der AfD ein Kollateralschaden. Im zweiten wäre es ein demokratischer Offenbarungseid.

Rechneten wir mit dem Schlimmsten: Dann wären die Sätze Kemmerichs, wonach es in Zukunft keine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten gebe, bloße Lippenbekenntnisse gewesen, schon falsch in dem Moment, in dem sie ausgesprochen wurden. Eine Lüge. Es hätte dann schon eine Zusammenarbeit gegeben. Heimlich. Unheimlich. Ein Dammbruch.

War Kemmerich aber, bestenfalls, nur ein Naivling, dann hätte nichts darauf hingedeutet, warum dieser Bruchpilot der parlamentarischen Demokratie der verfahrenen Situation in seinem Lande gewachsen hätte sein sollen.  Ohne auch nur den Ansatz für irgendetwas eine Mehrheit zu finden, hätte er in den nächsten Jahren durch die politische Trümmerlandschaft irrlichtern müssen.

Welche Konsequenzen muss man aus Thüringen ziehen?

Nein, dem Anfang von Erfurt wohnte nie Zauber inne. Es lag ein Fluch auf ihm.

Der ist indes noch nicht vorbei. Nicht in Erfurt, nicht in Berlin.  In der Hauptstadt müssen FDP-Chef Christian Lindner und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer entscheiden, welche Konsequenzen für ihre Parteien aus der Wahl von Thüringen zu ziehen sind. Mehr noch, sie sind dazu geradezu in der Pflicht. Für Lindner gilt es dabei insbesondere, Haltung zu bewahren.  In der FDP hatten (er inklusive) in Gefühl des Überraschungssiegs einige Mühe, zu erkennen, welche Brandmauer mit der Wahl in Erfurt eingerissen worden war. Um glaubhaft zu machen, dass so etwas nicht wieder passieren kann, braucht es für die Zukunft einen Unvereinbarkeitbeschluss bei den Liberalen, der die Kooperation mit der AfD untersagt. Egal wie heimlich die auch immer sein mag.

Für AKK aber ist es hohe Zeit, ihrem CDU-Landesverband und dessen Chef Mike Mohring gehörig den Kopf zu waschen. Der FDP-Mann wäre ohne Zutun großer Teile der CDU-Fraktion schließlich nicht gewählt worden. So etwas muss Konsequenzen haben. Mohring ist nicht mehr haltbar.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Nichts sprach nach dem Totalschaden von Erfurt für ein Weiter so. Es brauchte einen Neustart. Wenn nun, bei Neuwahlen, die AfD mutmaßlich weiter erstarkt, dann ist das die Folge aus einem kollektiven Fehlverhalten – nicht nur überforderter Provinzpolitiker. In den Parteizentralen von FDP und CDU in Berlin haben sie auch ihren Anteil daran.