Sage keiner, die Fußball-WM sei nur Spiel und besitze keine politische Bedeutung. Sie hat. Denn sie lieferte einen wichtigen Beitrag zur Rettung der demoskopisch schwer im Rückstand liegenden und vom Abstieg in die politische Regionalliga bedrohten schwarz-gelben Koalition. Denn endlich sagen Frau Homburger und Herr Kauder Birgit und Volker zueinander. Lange hat das politische Berlin auf den Umstand gelauert, dass der CDU/CSU-Fraktionsboss und die Chefin der FDP-Fraktion sich endlich duzen. Am Tag als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft Australien 4:0 besiegte, geschah es endlich.
Erst speiste das im südbadischen Singen am Hohentwiel aufgewachsene Duo im Berliner Ristorante Cinque, wo Homburger am liebsten nudelt, weil es nahe an der FDP-Zentrale liegt. Dann guckte man TV und feierte die deutsche Elf, "die ein richtig gutes Spiel gemacht hat." So Homburger, der man Fachkenntnis im Kicken nicht absprechen kann, weil sie früher Mal selbst gerne Profi-Kickerin geworden wäre; Kenner jener Tage behaupten, sie sei am Ball stets besser gewesen als heute am Rednerpult im Bundestag. Nach dem Abpfiff gab es Küsschen und Kauder gestand stern.de: "Ich bin mit Birgit gerne per Du, ich mag sie sehr, und das wird das Klima in der schwarz-gelben Koalition sehr verbessern." Politische Analytiker bezweifeln allerdings, ob der geglückte Spannungsabbau durch Fußball die schwarz-gelben Eheprobleme tatsächlich leichter lösbar macht.
"Trauzeugen" der neuen Verbindung waren immerhin beachtliche politische Größen: CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus, FDP-Wirtschafts-Staatssekretär Ernst Burgbacher und Ex-FDP-Chef Wolfgang Gerhardt. Jetzt kann ja nichts mehr schief gehen mit der Wahl von Christian Wulff zum neuen Präsidenten. Es sei denn, die schwarz-gelbe Koalition spielt in der Bundesversammlung so schlapp die deutsche Elf gegen Serbien. Gewinnt Joachim Gauck, wäre dies durchaus vergleichbar mit dem von Lukas Podolski versemmelten Elfmeter.
Allerdings: Vom Fußball versteht Gauck nach eigenen Worten wenig: "Ich selbst habe Handball gespielt." Und dass er von Roten und Grünen als Kandidat nominiert worden ist, diese politische Zustimmung hat ihn sehr überrascht: "Ich bin doch nicht Beckenbauer oder Ballack", gestand er der "Berliner Zeitung", "ich bin mit allerhand politischen Kontroversen unterwegs gewesen.
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Sage keiner, der Bundestag kenne seine vaterländischen Fußballpflichten nicht. Pflichtbewusst diskutierte er am Freitag schnell noch über das Krankenversicherungsrecht und übers Waffenrecht. Ein Antrag zur Zukunft der Bahn wurde ohne Diskussion zu Protokoll gegeben, denn da zeigte die Plenumsuhr bereits 13.25 Uhr. Eine von der Linken für 14 Uhr geforderte Aktuelle Stunde über die ausgefallene Opel-Hilfe wurde gestrichen, weil zu vermuten war, dass sie vor peinlich leeren Stuhlreihen stattfinden würde. Und alle Volksvertreter rückten in der Tat blitzschnell ab, rannten die 50 Meter vom Reichstag hinüber zur Parlamentarischen Gesellschaft, dem Club der Abgeordneten. Dort gab es reichlich Bier, Wein und Fernseher fürs Spiel Deutschland gegen Serbien. Dumm nur, dass es nichts zu feiern gab. Dabei hatte der CSU-Abgeordnete Johannes Singhammer extra schwarz-rot-goldene Fähnchen gestiftet, damit die Kanzlerin, falls auch sie kommen würde, endlich mal wieder über einen Sieg jubeln könne. Wer denn nun die "Gurkentruppe" sei, wurde hinterher eifrig diskutiert. Die deutsche Elf? Ein bisschen schon, war der Tenor. Doch Singhammers CSU sagt weiterhin, es sei eindeutig auch die FDP.
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Politische Bedeutung misst Oskar Lafontaine der australischen 4:0-Niederlage gegen die deutsche Elf zu. "Das zeigt, wie viel Kraft im Saarland steckt", kommentierte er gegenüber stern.de. Wie denn das? Lafontaine: "1953 hat das Saarland, damals noch autonom und noch nicht heimgekehrt in die Republik, gegen Deutschland nur 3:o und 1954 nur 3:1 verloren." Und wie es um die Kompetenz der Saarländer bestellt sei, so der Ex-Chef der Linkspartei weiter, lasse sich auch dadurch belegen, dass der einstige saarländische Nationaltrainer Helmut Schön später als Nachfolger von Sepp Herberger Chef der deutschen Nationalelf geworden ist. Bleibt die Frage: Wie eng korrelieren fußballerische und politische Kompetenz?
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Der vermutlich einzige Bundestagsabgeordnete, der sich nicht dem dramatischen Spiel der Deutschen gegen die Serben widmete, dürfte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Jürgen Koppelin gewesen sein. Fußball mag er nicht. Zweimal im Jahr müsse er allerdings aus regionalpolitischen Gründen Spiele des FC St. Pauli besuchen, schließlich sei er Volksvertreter aus Schleswig-Holstein. Das reiche ihm dann für die ganze Saison. Der Fernsehübertragung des Spiels gegen Serbien entfloh er daher beglückt im Auto: "Das war endlich mal eine Gelegenheit für mich, mit Tempo 200 durch die Republik zu fahren."
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Wer ist der fußballerisch beste Analytiker? Einerseits Christian Gaebler, der Fraktionsgeschäftsführer der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus. Das Mitglied beim Bundesliga-Absteiger Hertha BSC führt die WM-Tippliste seiner Genossen eindeutig an. Damit verknüpft ist allerdings ein politisches Problem: In Berlin stehen sich Grüne und Genossen bekanntlich oppositionell gegenüber. Wie kann es daher sein, dass auf der Internet-Tippliste der Grünen auch ein "Gaebler" führt? Sollte da schon einer die Koalition nach der nächsten Berliner Wahl im kommenden Jahr vorweggenommen haben, wenigstens fußballerisch? Recherchen der Grünen ergaben, dass die beiden Gaeblers nichts miteinander zu tun haben.