BSE-KRISE Die Kuh ist noch nicht vom Eis

Wie ein Keulenschlag traf die Nachricht ein, und schnell wurde das infizierte Kalb zum Symbol der Krise: »Jeanne d?Arc«, rotbunt und staksige Beine. Das war vor gut einem Jahr, als die deutsche BSE-Unschuld endete.

Mit Wut auf Politiker und Hoffnung auf bessere Zeiten nähern sich die Bauern in Schleswig-Holstein einem traurigen Jubiläum: Vor einem Jahr, am 24. November 2000, endete im Norden die deutsche BSE-Unschuld. Bei einem Tier aus der Herde von Peter Lorenzen in Hörsten wurde die Rinderkrankheit entdeckt - das erste Mal bei einer in Deutschland geborenen Kuh. Lorenzen, dessen Hof weit und breit als vorbildlich gilt, traf die Nachricht wie ein Keulenschlag. Seine fast 170 Tiere musste er töten lassen; inzwischen stehen 100 neue im Stall. »Die Milchleistung ist in Ordnung, ich kriege die Milchquote voll«, sagt der 39-Jährige nüchtern.

Vor einem Jahr wurde Lorenzens Hof in der Idylle am Nord-Ostsee- Kanal tagelang von Journalisten und Kamerateams belagert, der schockierte Bauer stand plötzlich im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Reden über das Ganze mag er zwölf Monate später eigentlich nicht. Doch der Ärger über die BSE-Folgen lässt ihn nicht ganz schweigen: »Die Preise sind so weit runter, das ist eine Frechheit.« Für eine Altkuh bekomme er 500 Mark weniger als vor einem Jahr. Aber Lorenzen schaut lieber nach vorne. »Ich bin ein positiv denkender Mensch und habe mit meinen Tieren genug zu tun.«

»Jeanne d'Arc«, Symbol der BSE-Krise

Ein paar dutzend Kilometer südwestlich steht in Nindorf im Stall von Michaela Timm ein weiteres Symbol der BSE-Krise: Dick und rund, freut sich »Jeanne d?Arc« ihres Kälberdaseins. Diese Idylle ist nur Dithmarscher »Sturköppen« zu verdanken,

denn als es Ende Januar in der Nähe einen BSE-Fall gab, sollte wie damals üblich die ganze Herde getötet werden, darunter die nur Stunden alte »Jeanne d?Arc«. Bauernhände verteidigten das Kälbchen vor dem Abtransport, Michaela Timm nahm es in ihre Obhut und versteckte es vor Behörden und Journalisten. Die kleine Rotbunte »Jeanne d?Arc« mit ihren staksigen Beinen wurde zum Symbol bäuerlichen Widerstands gegen das Töten ganzer Herden bei einem BSE-Fall.

Die Zeit gab den Bauern Recht: Es wird nur noch die so genannte Kohorte getötet, wenn es einen BSE-Fall gibt, das heißt der jeweilige Geburtsjahrgang, direkte Nachkommen und Geschwister. In Deutschland wurden inzwischen 124 BSE-Fälle nachgewiesen - viel weniger als vor einem Jahr befürchtet. Im Juni holte Timm »Jeanne d?Arc« nach Hause, nachdem sie die behördliche Zusage bekam, dass ihr Schützling zusammen mit Artgenossen weiterleben darf. Wenn alles gut geht, wird »Jeanne d?Arc« im übernächsten Jahr zum ersten Mal kalben und dann Milch geben.

Im Rückblick ist Timm nicht nur froh darüber, dass es »Jeanne d?Arc« so gut geht. Ihr Fall habe auch dazu beigetragen, dass der »Irrsinn«, bei einer BSE-Diagnose die ganze Herde zu töten, relativ schnell gestoppt wurde. Doch verflogen ist der Ärger über Politiker nicht. Dass etwa Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) »Jeanne d?Arc« im Zusammenhang mit Exportproblemen eine Gefahr für die Landwirtschaft nannte, sitzt bei der 28-Jährigen tief: »Das hat mich persönlich sehr

getroffen.» Simonis verlor damit eine SPD-Wählerin.

»Unten durch«

Auch Agrarministerin Ingrid Franzen (SPD), deren Haus das Kalb auf die Forschungsinsel Riems verbannen wollte, ist bei Timm »unten durch«. Im Frühjahr soll übrigens auf dem Ostsee-Eiland das größte deutsche BSE-Experiment starten; dazu werden 30 bis 50 Tiere mit dem Erreger infiziert.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Sauer auf Politiker ist auch Bauer Lorenzen. Zu viel hätten sie »kaputt geredet«, zu wenig getan. Während es anderswo Beihilfen gebe, lasse die Regierung in Kiel die Bauern mit den BSE-Testkosten allein. »Unsere Regierung tut nichts«, ist Lorenzens Vorwurf nach einem turbulenten Jahr, das auch für Tochter (2) und Sohn (7) einigen Trubel mit sich brachte. Ihre Zukunft ist für Lorenzen ungewiss: »Ob sie etwas mit Landwirtschaft zu tun haben wollen, weiß ich nicht.«