In der Debatte um die Bürgerversicherung tritt die Bundesregierung auf die Bremse. Obwohl SPD und Grüne das Modell schnell vorantreiben wollen, sieht Wirtschaftsminister Wolfgang Clement derzeit keinen Anlass für die Regierung, das Projekt zu diskutieren. Mit dieser Aussage nahm ein Sprecher Clements am Samstag zu einem Bericht Stellung, dass Clement die Bürgerversicherung ablehnt. SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler glaubt nicht, dass das Vorhaben vor der Bundestagswahl 2006 angepackt wird.
Bürgerversicherung: Beiträge für alle
Das Magazin "Spiegel" berichtete unter Berufung auf ein Positionspapier des Wirtschaftsministeriums, Clement leiste Widerstand gegen die Einführung der Bürgerversicherung. Diese würde zur Finanzierung der Krankenversicherung neben Arbeitnehmern auch Selbstständige, Freiberufler und Beamte einbeziehen. Darüber hinaus würden neben Arbeitseinkommen auch Zinsen und Mieteinkünfte für Krankenkassenbeiträge herangezogen. Dies soll die Finanzierung gerechter machen und die Kassenbeiträge insgesamt senken.
Das Modell sei "nicht geeignet, langfristig eine nachhaltige Finanzierung sicherzustellen", zitiert "Der Spiegel" aus dem Ministeriumspapier. Mehr Geld ins System zu bringen, lenke von der nötigen Strukturreform ab. Das faktische Aus für die private Krankenversicherung würde wie eine "Abschaffung von Wettbewerb" wirken. Das Papier stamme vom vergangenen Jahr, habe aber laut "Ministeriumsangaben" immer noch Gültigkeit, meldete die Zeitschrift.
Regierung prüft beide Varianten
Der Ministeriumssprecher wollte zu dem Papier und zur Haltung von Minister Clement nichts sagen. Es gebe "derzeit keinen Anlass, in der Bundesregierung eine Diskussion zu führen". Er verwies auf Aussagen von Regierungssprecher Thomas Steg vom Freitag, wonach sich die Bundesregierung noch nicht auf die Bürgerversicherung festgelegt hat und auch das Gegenmodell der Kopfpauschale noch prüft. Es gebe auch keinen Zeitrahmen, hatte Steg gesagt.
SPD-Chef Franz Müntefering und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hatten es diese Woche für denkbar erklärt, dass das Modell bereits 2005 in Gesetzesform gegossen wird. Eine SPD-Arbeitsgruppe will bis Herbst Eckpunkte erarbeiten. Die Grünen wollen bereits im Sommer ein konkretes Modell vorlegen. Bisher galt die Umsetzung als Projekt für die nächste Legislaturperiode.
Verzahnung der Systeme
SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler sagte voraus, dass die Bundesregierung vor der Bundestagswahl 2006 keinen Gesetzentwurf dazu vorlegen wird. Er glaube nicht, "dass man schon gesetzgebungsreif werden kann", erklärte Stiegler der "Passauer Neuen Presse". Viele juristische Fragen seien noch zu klären. Die Bürgerversicherung werde aber zentrales Wahlkampfthema werden.

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Auch Ministerin Schmidt, die in der SPD-Arbeitsgruppe am Modell mitarbeitet, hatte von zahlreichen offenen Rechtsfragen gesprochen. So will die SPD auch bei einer allgemeinen Versicherungspflicht die private Krankenversicherung grundsätzlich erhalten; sie soll im Pflichtversicherungssystem mit der gesetzlichen Krankenkasse konkurrieren. Dazu müsste es einen Finanzausgleich aller Versicherer geben. "Die beiden unterschiedlichen Systeme sollen stärker miteinander verzahnt werden", sagte nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Birgit Fischer (SPD) dem "Tagesspiegel". "Die Privaten sollen mehr Elemente der sozialen Verpflichtung übernehmen, die gesetzlichen Krankenkassen mehr wettbewerbsrechtliche Elemente bekommen."