Bundestagsdebatte Die Unterschicht im Parteien-Häcksler

Von einer "Unterschicht" mag kein Politiker sprechen. Deshalb stritt man sich am Donnerstag im Bundestag über die "neue Armut" im Lande. Die einen bezweifelten, dass es sie gibt, die anderen vermeinten, die Schuldigen dafür gefunden zu haben.

Die Unterschichtendebatte hat sich, zumindest in den luftigen Höhen des Bundestags, vor allem zu einer Hartz-IV-Rechtfertigungsdebatte entwickelt. Das wurde spätestens am Donnerstag klar, als die Abgeordneten auf Antrag von Linkspartei und Grünen in einer Aktuellen Stunde über die "Neue Armut in Deutschland" stritten, über die "so genannten Unterschichten", wie es die Tagesordnung vorsah. Zu beobachten war ein reflexhafter Reigen der üblichen, parteipolitischen Schuldzuweisungen: Die Linkspartei stößt sich an Hartz und fordert mehr Geld, die SPD verteidigt Hartz und setzte auf Bildung - und den Tabu-Begriff "Unterschicht" will ohnehin keine Partei verwenden. Treffend fasste deshalb auch Gerd Andres, der parlamentarische Staatssekretär im Arbeitsministerium, den Geist der Debatte zusammen: "Jeder versucht", sagte der SPD-Politiker, "mit billigen Debatten sein eigenes Süppchen an der Diskussion zu kochen."

"Es geht um plumpen Populismus"

"Es geht um plumpen Populismus", schimpfte Andres weiter, vor allem, was die Kritik an der Hartz-IV-Gesetzgebung beträfe. Dabei dürfe es eigentlich nicht darum gehen, ob die Sätze für Hartz-IV-Empfänger nun ausreichten oder nicht. Das täten sie, sagte er. Es müsse darum gehen, wie Teilnahmemöglichkeiten und Chancengerechtigkeit in dieser Gesellschaft geschaffen werden könnten. Dies könne vor allem durch bessere Bildungschancen und Maßnahmen wie eine verbesserte Kinderbetreuung erreicht werden. Im Unterschied zu den meisten anderen Rednern seiner Partei verzichtete der Staatssekretär jedoch auf eine eindeutige Forderung nach Mindestlöhnen.

"Ohne Geld ist alles nichts"

Andres bezog sich direkt auf Attacken aus den Reihen der Linkspartei. Deren sozialpolitische Sprecherin Katja Kipping hatte die Verantwortung für die Ausgrenzung weiter Bevölkerungsschichten indirekt der rot-grünen Regierung und der großen Koalition zugeschoben. "Die soziale Ausgrenzung ist nicht einfach so vom Himmel gefallen", sagte Kipping. Politik und Wirtschaft hätten diese Ausgrenzung mit befördert und hätten sie deshalb auch mit zu verantworten. Sie warf der großen Koalition vor, Hartz-IV-Empfängern latent Missbrauch von Sozialleistungen zu unterstellen, indem sie auf eine Verschärfung der Regeln dringe. Kipping forderte stattdessen eine Verbesserung der Leistungen. "Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts", sagte sie. "Wir sind dafür, mehr Geld in die Hand zu nehmen." Linkspartei-Fraktionschef Gregor Gysi hielt SPD und Grünen vor, durch ihre Politik der Steuererleichterungen für Konzerne und Reiche "den Reichtum geförder" zu haben. Im Gegensatz zum europäischen Durchschnitt sei in Deutschland das Einkommen dagegen gesunken.

"Sie sind beim Fördern abgestürzt"

Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn verteidigte zwar die Hartz-Gesetzgebung als Versuch, Armut zu bekämpfen, kritisierte jedoch die Arbeitsmarktpolitik der großen Koalition. Diese habe vor allem bei Maßnahmen für Langzeitarbeitslose gespart und verfolge eine einseitige Politik. "Sie sind beim Fordern stark gewesen, aber beim Fördern sind sie abgestürzt", wetterte Kuhn. Er wandte sich gegen Vorschläge, Hartz-IV-Empfänger zur Arbeit in Gemeinschaftsdiensten zu verpflichten, etwa als Aufpasser in öffentlichen Verkehrsmitteln, wie es SPD-Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee vorgeschlagen hatte. " "Wir müssen aufhören, Menschen in Armut auch noch zu diskriminieren", sagte Kuhn. "Wer den Armen mit Missbrauchsvorwürfen auch noch die Würde nimmt, der macht aus Armut Elend."

Auf dem Arbeitsmarkt bereits Besserung in Sicht

Auch der CDU-Abgeordnete Ralf Brauksiepe kritisierte die Attacken auf die Hartz-IV-Gesetzgebung. Zudem sagte er, es handele sich bei den nun diskutierten Phänomenen nicht um etwas Neues. Es gehe auch nicht um eine neue Armut. Politische Ansatzpunkte müssten die Bildungs- und die Arbeitsmarktpolitik sein. Und gerade auf dem Arbeitsmarkt habe sich die Lage seit dem Antritt der großen Koalition merklich entspannt, sagte er. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel sagte, Armut sei das Ergebnis falscher Politik. Das soziale Netz sei keine Hängematte, es müsse viel mehr als bisher dazu dienen, Arbeitslose in den Arbeitsmarkt "zurückzukatapultieren"

Florian Güßgen mit AP