Es ist der Nachmittag vor dem Besuch von US-Präsident George W. Bush, des mächtigsten Mannes der Welt. 12.000 Polizisten sind in der Gegend, mindestens zwölf Millionen Euro soll der Besuch kosten, es soll Demonstrationen geben, und die Regierung in Schwerin zerlegt sich scheinbar selbst - aber Stralsund, die Hansestadt, will sich einfach nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Auf dem Alten Markt, vor dem Rathaus, bauen Helfer in roten Overalls Podien und Tribünen auf. Von hier aus, so sieht es das Protokoll vor, darf George W. Bush am Donnerstag rund 1000 geladene Jubelbürger grüßen, von hier aus dürfen ausgewählte Journalisten den Präsidenten und die Kanzlerin aus nächster Nähe beobachten. Schon jetzt schlendern mehr Journalisten über den Platz als "normale" Bürger. Beobachter, die erfahren wollen, was das Volk, Hand aufs Herz, so denkt über den großen Tag.
"Ist doch eine Ehre für uns"
Eine kurze, empirische Erhebung erbringt kein eindeutiges Ergebnis. Viele Einheimische verdrehen die Augen. Wegen den Sicherheitsvorkehrungen, wegen den zugeklebten Briefkästen, den lila Polizei-Siegeln auf Gully-Deckeln, auf Fenstern, auf Briefkästen, auf allem, was überhaupt irgendwie versiegelbar ist. Andere stören sich an den Kosten der Stippvisite. Mindestens zwölf Millionen Euro sollen es sein. "Das Geld sollte man lieber in Bildung stecken", schimpft ein älterer Einheimischer, Typ sehnig-gesonnter Seemann. "Nicht in George W. Bush darf das gesteckt werden". Er, jedenfalls, werde zum Strand gehen. Das sei allemal besser als George W. Bush.
Andere freuen sich auf den US-Präsidenten "Ist doch eine Ehre für uns", flötet ein älteres Pärchen in partnerschaftlichem Pink. Dafür nehme man die verschärften Sicherheitsvorkehrungen gerne in Kauf. Und außerdem nutze die Bush-Visite ja nicht nur der großen Weltpolitik, sondern vor allem der Region - Mecklenburg-Vorpommern, Stralsund, Rügen. Zumindest für einen kleinen Moment werde die Welt auf diesen Teil Deutschlands blicken. Das sei doch schon was.
"Wer bremst, ... verliert
Auch CDU-Bürgermeister Harald Lastovka findet George W. Bush prima. Und Lastovka findet es super, dass Bush nach Stralsund kommt. Um kurz vor sechs verlässt er das Rathaus, das seit dem späten Nachmittag breitschultrige Männer mit Anzügen und Kabel im Ohr bewachen. An das Revers seines Anzugs hat er einen kleinen Stecker geheftet. Der zeigt die Flaggen der USA und Deutschlands.
Lastovka wirkt glückselig, unendlich zufrieden mit sich und der Welt. Am Freitag wird er hier den US-Präsidenten empfangen. Er, der Bürgermeister von Stralsund, der CDU-Mann aus dem Wahlkreis der Kanzlerin. Alle Bedenken wider den Kosten des Besuchs wischt er in Kohlscher Manier patzig zur Seite. Die Kritiker, diese Kleingeister, haben es nicht begriffen, macht er unmissverständlich klar. Dann steigt in seinen bordeaux-farbenen Mercedes 200 D, lässt den Motor an und gleitet von dannen. Am Heck seines Mercedes' prangt ein Aufkleber. "Wer bremst .... verliert" steht da drauf.
Kaffee für Jubelperser
Verlieren wird am Freitag sicher der Besitzer des Restaurants "Goldener Löwe" direkt am Marktplatz, nämlich Umsatz. Schon am späten Donnerstagnachmittag muss er die Stühle und Tische vor seinem Café wegräumen. Am Freitag darf er zwar öffnen, aber draußen nichts aufstellen und drinnen niemanden bedienen. Seine einzige Chance auf Umsatz besteht darin, von drinnen Kaffee, Wasser und Cola nach draußen zu verkaufen. "Wir haben das schon in den vergangenen zwei Wochen gemerkt. Die Amis trinken sehr viel Cola", sagt er.

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Bis etwa 16 Uhr wird das am Donnerstag so gehen, schätzt der Gastwirt. Achselzuckend berichtet er, dass sich noch niemand bei ihm gemeldet habe, der ihm den Umsatzausfall ersetzen wolle. Den Einzelhandelsgeschäften in der Innenstadt haben sie zum Ausgleich einen verkaufsoffenen Sonntag geboten. Das helfe ihm nichts, analysiert der Stralsunder Gastronom eher ironisch-ergeben als aufmüpfig-aggressiv. Sonntags, da habe er ohnehin geöffnet.
Nur ein paar Meter vom "Goldenen Löwen" entfernt stehen Harald und Florian Wilde. Wilde ist Professor für Controlling an der Universität Stralsund und sieht mit seinem langen Haar und seinem Vollbart aus wie eine Mischung aus Karl Marx und Harry Rowohlt. Wilde hat die Gegendemonstration - Motto: "Not welcome" - gegen den Besuch des US-Präsidenten offiziell angemeldet. Der Protest ist eine Familienangelegenheit.
Auch Sohn Florian ist aktiv, nämlich als Vorsitzender des Vereins "Forschungsstelle für Menschenrechte". Den haben Wilde senior und Wilde junior vor ein paar Jahren gegründet, jetzt mobilisiert der Ältere von Stralsund aus Friedenskämpfer, der Jüngere, im Fränkischen ansässig, ist Vorsitzender des Vereins mit geschätzten zwölf Mitgliedern. Die Pressearbeit teilen sie sich. Wie viele Demonstranten kommen werden, wissen die beiden ebenso wenig wie die anderen beteiligten Gruppen und Verbände. Schätzungen vermeiden sie. Weiß ja keiner so genau, wie viele Bush-Kritiker den Weg nach Stralsund antreten werden. Es ist ja immerhin ein Werktag - und im Zentrum dieser Republik liegt das schöne Stralsund auch nicht.
Vor dem Eingang zum Rathaus rollen die Greenpeace-Aktivisten Ulrike Beck und Rolf Christoleit ihr Protestplakat ein. Um sechs müssen sie verschwunden sein, und am Freitag, so will es das Oberverwaltungsgericht Greifswald, dürfen sie ihr Plakat auf dem Marktplatz auch nicht zeigen.
Claudia Roth auf der "Gorch Fock"
Ein paar hundert Meter vom Marktplatz entfernt liegt der Stralsunder Hafen. Dort, an der Anlegestelle des Segel-Schulschiffs "Gorch Fock", steht Grünen-Chefin Claudia Roth. Mit Absperrgittern haben ein paar grüne Helfer ein kleines Gefängnis errichtet. Inmitten des Gitter-Quarées, auf dem Betonboden, sitzt eine Gestalt im orangen Overall, mit einer Kapuze über dem Kopf. Sie symbolisiert einen Guantanamo-Häftling.
Vor dem Gitter steht Roth im zweiteiligen Jeans-Overall. Sie hält ein Plakat in der Hand und wettert laut gegen den Umgang der US-Regierung mit Menschenrechten. Vielleicht zehn Journalisten sehen zu. Nach der kurzen Roth-Show-mit-Bildmotiv gibt die Grünen-Chefin eines Pressekonferenz auf der "Gorch Fock." Sie prangert die Kosten des Bush-Besuchs an, bezichtigt Merkel billiger Landtagswahl-Manöver und fordert einen "kritischen Dialog" der Bundesregierung mit dem US-Präsidenten. Neben Roth sitzt der Landes-Chef der Grünen in Mecklenburg-Vorpommern.
Der Bush-Besuch erinnere ihn an DDR-Zeiten, sagt er. Damals habe man sogar die Bäume grün gestrichen, um ausländische Gäste zu beeindrucken. Gegen all das müsse man protestieren, findet seine Chefin. Sie jedenfalls unterstütze ihre Freunde in Mecklenburg-Vorpommern, sagt sie. Nur leider, leider, so die Grünen-Chefin, könne sie an der Anti-Bush-Demonstration am Donnerstag nicht selbst teil nehmen, entschuldigt sie sich. Dringende Geschäfte lassen das nicht zu. Die Landtagsfraktion in München erwartet sie. Und der Wahlkreis in Augsburg. Dort wird Bert Brecht gefeiert.
"Darum kümmert sich der Secret Service"
Kurz bevor das Präsidenten-Flugzeug "Air Force One" landet, ist der Alte Markt immer noch nicht vollends leer. Polizisten versiegeln weiter Zeitungsläden und eine scheinbar unendliche Zahl von Gullys. Sie lachen, sind entspannt. "Wir machen hier bis halb zehn weiter", sagt einer. "Danach wissen wir nicht, was passiert." Ein anderer Polizist aus einem fernen Teil der Republik berichtet. "Wir fegen die Gullys, kleben die Siegel auf und stellen sicher, dass heute Nacht nichts passiert."
Auch die Polizisten sind nicht aggressiv, eher resigniert-genervt angesichts des ganzen Sicherheits-Zirkus'. Er sei schon einmal bei einem Bush-Besuch dabei gewesen, schimpft einer. An der Strecke, an der der US-Präsident vorbei gefahren sei, habe er Dienst geschoben. Als der Wagen des Präsidenten ihn passierte, habe er sich umdrehen müssen. "So ist das mit dem Bush", sagt er. Am Freitag, berichtet der Polizist, werde es ohnehin der US-Geheimdienst sein, der die wichtigsten Aufgaben übernehme. "Die stellen sicher, dass keiner der Anwohner aus dem Fenster schaut, wenn der Präsident vorbei fährt", sagt er. "Darum kümmert sich der Secret Service."
Mittlerweile ist es halb zehn Uhr am Abend. Die Stralsunder Innenstadt ist seltsam menschenleer und still. Hin und wieder fährt ein Trupp Polizisten vorbei, es gibt vereinzelte Spaziergänger. Private Autos habe keinen Zugang mehr zur inneren Sicherheitszone. Nur zwei Kehrwagen machen ordentlich Krach. Stralsund erwartet den 43. Präsidenten der Vereinigten Staaten zwar unaufgeregt-gelassen - sauber geputzt soll die Stadt dennoch sein.