CDU-Parteitag Die Euphorie ist dahin

Wie auf Kommando hat der Parteitag Angela Merkel umjubelt, aber wenig echte Begeisterung gezeigt. Über 120 Delegierte verweigerten der CDU-Chefin die Gefolgschaft und bescherten ihr keineswegs ein Vorweihnachtsgeschenk. Doch die sieht es ganz anders.

Der CDU-Bundesparteitag hat Angela Merkel nach dem monatelangen Streit mit der CSU über den Reformkurs einen deutlichen Dämpfer bei der Wiederwahl als Parteichefin versetzt. Merkel wurde am Montag in Düsseldorf mit ihrem bislang schlechtesten Ergebnis von 88,4 Prozent der Delegierten als Parteivorsitzende gewählt. Vor zwei Jahren hatte sie noch 93,7 Prozent erreicht. Über 120 verweigerten der CDU-Parteichefin gestern die Gefolgschaft und bescherten ihr keineswegs ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk.

Führende CDU-Politiker werteten das Ergebnis als Ausdruck der Verärgerung über den aufreibenden Reformstreit, der den Unionsparteien auch in den Wahlumfragen deutliche Einbußen beschert hatte. Mitglieder des Vorstands betonten, die CDU habe unter Merkels Führung keine leichte Zeit durchgemacht und harte Personalentscheidungen verkraften müssen. Merkel betonte, sie fühle sich durch das eindeutige Ergebnis bestätigt.

Keine "Fahrplan"-Änderung

Vor der Abstimmung hatten mehrere CDU-Spitzenpolitiker erklärt, eine klare Mehrheit werde Merkels Anspruch auf die Kanzlerkandidatur der Union für die Bundestagswahl 2006 untermauern. CSU-Generalsekretär Markus Söder sagte nach der Abstimmung, es bleibe bei dem vereinbarten Fahrplan, erst Anfang 2006 über die Kandidatur zu entscheiden. Dies bekräftigte für die CDU auch der nordrhein-westfälische Landeschef Jürgen Rüttgers: "Solche Fragen werden nicht nebenbei auf einem Parteitag entschieden."

Merkel ging in ihrer knapp zweistündigen Grundsatzrede, die mehrfach von langem Applaus unterbrochen wurde, nicht auf die Debatte um die Kanzlerkandidatur ein. Mit einem Appell zu Geschlossenheit und Reformbereitschaft schwor sie die Partei auf die Landtagswahlen im nächsten Jahr ein. "Von heute an heißt es: Attacke auf die anderen, Feuer eingestellt auf uns selbst." Merkel erklärte das Konzept einer multikulturellen Gesellschaft für gescheitert und forderte für die Integration von Ausländern die Orientierung an einer "freiheitlich-demokratischen Leitkultur" in Deutschland.

Kritik an Merkels Rede

Mehrere Präsidiumsmitglieder wie die Merkel-Vertraute Hildegard Müller sprachen von einem sehr guten Ergebnis für die Parteivorsitzende. Müller räumte aber ein: "Die CDU hat schon eine schwierige Zeit hinter sich." Präsidiumskollegin Dagmar Schipanski sagte, sie hoffe, dass Merkel in zwei Jahren trotzdem Kanzlerkandidatin werde. Indirekt kritisierte Schipanski die Rede Merkels. "Sie hat eine sehr staatstragende Rede gehalten. Die war vielleicht zu intellektuell für den Parteitag." Präsidiumsmitglied und Merkel-Vorgänger Wolfgang Schäuble dementierte einen Bericht der "Märkischen Allgemeinen", die ihn mit den Worten zitiert hatte, der Parteitag werde Merkel ihrem Ziel der Kanzlerkandidatur nicht näher bringen, weil ihre Rede schlecht gewesen sei. Schäubles Verhältnis zu Merkel gilt auch wegen der Vorgänge rund um die Bundespräsidentenwahl vom Mai als angespannt. Eine Kandidatur Schäubles war am Widerstand der FDP gescheitert, in großen Teilen der Union war Merkel vorgeworfen worden, sie habe sich zu wenig für Schäuble eingesetzt.

Merkel sagte der ARD: "Ich glaube überhaupt nicht, dass dieses Wahlergebnis in irgendeiner Weise zu diskutieren ist, weil es eindeutig ist. Dieser Tag ist für mich und für die CDU ein guter Tag." Dem "RTL Nachtjournal" sagte Merkel: "Wir haben spannende Zeiten vor uns, und ich bin hochmotiviert, in diese spannenden Zeiten mit der CDU als Vorsitzende zu gehen."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Probleme weggeklatscht"

Die Delegierten hatten Merkel nach ihrer Rede mehr als acht Minuten lang stehend applaudiert, mehrfach erhob sich die 50-Jährige von ihrem Platz auf dem Podium und riss die Arme hoch oder winkte in die Menge. In Parteikreisen hieß es: "Die haben die Probleme weggeklatscht."

Merkel hatte erst nach monatelangen Querelen ein Kompromisskonzept zur Reform des Gesundheitswesens mit CSU-Chef Edmund Stoiber ausgehandelt, das auf dem Parteitag mit mehr als 90 Prozent der Stimmen gebilligt wurde. In Wirtschaft und CDU war aber bemängelt worden, Merkel habe die geplante Abkoppelung der Lohnkosten von den Gesundheitskosten aus Rücksicht auf die CSU aufgegeben. Im Streit über die Reformkonzepte hatten sich der CDU-Finanzexperte Friedrich Merz und der CSU-Sozialexperte Horst Seehofer aus der Spitze der Unions-Bundestagsfraktion zurückgezogen.

Neben Merkel wurden auch ihre Stellvertreter bestätigt: Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff, Nordrhein- Westfalens CDU-Chef Jürgen Rüttgers, die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan und der rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende Christoph Böhr. Am zweiten Tag der Beratungen wird der Parteitag an diesem Dienstag über den weiteren Reformkurs abstimmen. Im Mittelpunkt steht der Leitantrag über Strategien für mehr Wachstum. Zum Abschluss wird der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) erwartet.

DPA · Reuters
DPA/Reuters