Die aggressive Belagerung eines Flüchtlingsbusses im sächsischen Clausnitz hat bundesweit für Empörung und Unverständnis gesorgt. Auf einem unter anderem von TV-Moderator Jan Böhmermann im Netz verbreiteten Video ist zu sehen, wie rund hundert Menschen den Bus vor einer Asylankunft blockieren und den Flüchtlingen "Wir sind das Volk!" entgegenschreien. Einige der Insassen, vor allem Kinder und Frauen, brechen angesichts der ihnen entgegengebrachten Wut in Tränen aus. Ein Junge verlässt den Bus später sichtlich verängstigt und ebenfalls weinend, während die aufgebrachte Menge weiter grölt.
Inzwischen ist eine zweite Aufnahme des bedrückenden Zwischenfalls aufgetaucht. Das etwas mehr als anderthalbminütige Video zeigt die Situation in der Gemeinde Rechenberg-Bienenmühle wenige Sekunden vor der oben beschriebenen Eskalation - und es lässt die am Einsatz beteiligten Polizisten nicht gut aussehen.

Polizist zerrt verängstigten Flüchtlingsjungen aus Bus
So zeigt die Aufnahme - anders als im ersten Video - nicht den Bus von vorn, sondern den Eingangsbereich der Asylunterkunft. Im Hintergrund unterhalten sich Männer darüber, wie man die Flüchtlinge wohl am besten aus dem Bus bekommen könne. Immer wieder sind "Ab nach Hause"-Rufe zu hören, ein Unbekannter fordert: "Verpisst euch doch!" Nach gut 40 Sekunden wird der Ton plötzlich deutlich rauer. Offenbar traut sich ein Junge, vom Mob sichtlich eingeschüchtert, nicht aus dem Bus auszusteigen.
Daraufhin nimmt sich ein Polizist, vom Gegröle der Flüchtlingsgegner begleitet, dem Kind an, das zunächst jedoch zurückweicht. Für den Beamten offenbar der Anlass, einen zweiten, deutlich energischeren Versuch zu unternehmen: Er packt den Jungen dabei fast schon im Schwitzkasten, um ihn dann unter sichtlichem Krafteinsatz aus dem Bus zu zerren. Besonders verstörend: Der Mob steht dem Polizisten mit lautem Geschrei zur Seite, scheint ihn weiter antreiben zu wollen. Und noch schlimmer: Keiner der anderen anwesenden Beamten scheint gewillt, die Menge zu besänftigen. Eine Reaktion der Staatshüter bleibt aus.
Selbst als das Kind im Inneren der Unterkunft ist, sind von draußen weiter laute Pfiffe zu hören. Wenig später setzt der Mob zu seiner "Wir sind das Volk!"-Parole an, die auch schon im ersten Video zu hören war.
Ulbig: "Die Bilder sprechen ihre Sprache"
Inzwischen hat auch Sachsens Innenminister Markus Ulbig auf das zweite Video reagiert. "Ich habe mir das Video angesehen. Die Bilder sprechen ihre Sprache." Das Ministerium werde den Einsatz der Polizeidirektion Chemnitz mit allen Beteiligten umgehend auswerten: "Erst dann können wir Konsequenzen ziehen."

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Nach Auftauchen des ersten Videos hatte Ulbig betont, es sei "zutiefst beschämend", wie mit den Menschen umgegangen worden sei. "Anstatt wenigstens den Versuch zu unternehmen, sich in die Situation der Flüchtlinge zu versetzen, blockieren einige Leute mit plumpen Parolen den Weg von schutzsuchenden Männern, Frauen und Kindern", so der Minister.
Die Polizei war mit 30 Beamten im Einsatz. Sie ermittelt wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.