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Rechtsextremismus in Sachsen "Unzufriedenheit ist fruchtbarer Boden für Phänomene wie Pegida"

Der Rechtsextremismus breitet sich aus in Deutschland, seine Auswirkungen werden jedoch am häufigsten in Sachsen sichtbar. Weshalb ist das so? Darüber sprach der stern mit einem Historiker und Politikwissenschaftler.

Ein Fünftel der Angriffe auf Asylheime im Jahr 2015 wurden in Sachsen begangen. Nach den jüngsten Vorfällen in Clausnitz und Bautzen geistert immer wieder eine Frage durch die Bundesrepublik: Warum gerade Sachsen? Dietrich Herrmann, Historiker und Politikwissenschaftler aus Dresden, sprach mit dem stern über sächsischen Nationalstolz, zugewanderte Neonazis und Politiker, die auf dem rechten Auge blind sind.

Herr Herrmann, warum zeigt sich die Ausprägung von Rechtsextremismus in Sachsen so viel stärker als anderswo? Wachsen Neonazis dort auf Bäumen?

Herrmann: Es ist nicht allein das Problem, dass Rechtsextreme in Sachsen so besonders stark sind. Die Zahlen sind teilweise nur geringfügig höher als in anderen Bundesländern. Ein markanter Unterschied zu anderen Bundesländern scheint mir, dass es zu wenig Widerspruch gibt gegen öffentlich vorgetragene rechtsextreme Positionen. Einerseits von Seiten der Politik und den staatlichen Behörden und andererseits der breiteren Öffentlichkeit. Das hat zur Folge, dass manche Leute sich erst recht eingeladen fühlen. Und so scheint es, als seien es akzeptable Meinungen, die da vorgetragen werden. Wir müssen uns als Gesellschaft viel stärker gegen solche Positionen abgrenzen und intensiv diskutieren.

Warum ist der Widerspruch gegen Rechtsextreme in Sachsen geringer?

Das ist eine lange Geschichte. Vielleicht haben wir uns in Sachsen zu sehr auf eine Art sächsischen "Nationalstolz" eingelassen. Dieser Nationalstolz hat hier einen stark historischen Bezug. Und dann haben wir uns nicht genug gefragt, was das aktuell für uns bedeutet. Eine Aktualisierung der gesellschaftlichen Identität wäre dringend erforderlich. Eine demokratisch begründete Identität kann nicht bedeuten, dass man Leute ausschließt, weil sie von woanders kommen. Das merken ja schon manche Westdeutsche, die immer noch von manchen als Fremdkörper betrachtet werden.

Dietrich Herrmann

Dietrich Herrmann, Jahrgang 1962, wurde in Karlsruhe geboren. Er promovierte in Neuerer Geschichte und lehrte Politikwissenschaft an der TU Dresden. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Einwanderungs- und Integrationspolitik, Parteienforschung sowie politische Kultur in Deutschland und den USA. Er hat mehrere Beiträge zum Thema Rechtsextremismus in Sachsen veröffentlicht.

Welche Rolle spielt dabei die DDR-Vergangenheit und die Idee, Fremdkörper von der Bevölkerung fernzuhalten?

Man kann Geschichte nicht ausblenden. Aber die DDR ist seit 26 Jahren Geschichte. Wenn es Versäumnisse gibt, wurzeln die in der Politik und Gesellschaft der letzten 26 Jahre. Da waren viele zu optimistisch, dass alles von allein gehen würde. Und natürlich gab es auch Leute, die die Augen verschlossen haben. Es wird ja immer wieder der frühere Ministerpräsident Kurt Biedenkopf zitiert, der gesagt hat: Die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus. Das war eine Illusion und er hat sich nie davon distanziert. Vor allem in einigen ländlichen Regionen Sachsens ist die Situation schwierig.

Wie groß ist die Diskrepanz zwischen einer hippen Metropole wie Leipzig und den sächsischen Dörfern?

Dresden und Leipzig wachsen, während auf dem Land Geburten fehlen. Gerade die Flexiblen wandern von dort ab, und wer bleibt zurück? Viele Bewohner gerade der ländlichen Regionen haben das Gefühl, im Schatten der Erfolge von Sachsen zu stehen. Sie fühlen sich nicht mitgenommen. Und die Unzufriedenheit ist ein fruchtbarer Boden für Phänomene wie Pegida. Die fortbestehende Entfremdung gibt Menschen das Gefühl, dass die Eliten nicht mehr wissen, was das Volk will. Einige Menschen pflegen dann das Bild einer homogenen Volksgemeinschaft, die es natürlich aus wissenschaftlicher Sicht gar nicht gibt und auch vor der Flüchtlingskrise nicht gegeben hat.

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Wenn es viel Toleranz für Rechtsextremismus gibt, zieht das Neonazis an? Lässt sich ein Zuzug beobachten?

Sachsen hat eine gewisse Anziehungskraft für Rechtsextreme gehabt, als die NPD 2004 in den Landtag zog. Das hat einen ganz einfachen Hintergrund. Die NPD war vorher schon in Sachsen gut personell aufgebaut, und mit dem Einzug in den Landtag sind eine Reihe von Stellen verbunden. Ohne, dass die Fraktion besonders groß ist, können Sie sofort um die fünfzig Leute anstellen. Da sind tatsächlich Leute aus der ganzen Bundesrepublik angestellt worden. Die haben natürlich nicht nur Fraktionsarbeit betrieben, sondern auch Parteiarbeit. Das hat die NPD über Jahre getragen. Mittlerweile aber hat die NPD in Sachsen lange nicht mehr die Bedeutung, die sie früher hatte. Sie ist nicht tot, aber sie ist schwach. Das ist sehr positiv. Auch die Neonazi-Demonstrationen am 13. Februar, dem Gedenktag zur Zerstörung Dresdens, konnten in den letzten Jahren zurückgedrängt werden, nicht zuletzt aufgrund des großen Engagements der Zivilgesellschaft.

Braucht Sachsen mehr von diesem zivilen Engagement?

Es hat schon Versuche gegeben, demokratischere Strukturen aufzubauen, aber da hat es manchmal an Konsequenz gefehlt. Viele Initiativen stehen außerdem zu Unrecht unter Verdacht, linksextrem zu sein. So werden Bürger-Initiativen durch die Institutionen behindert. Die Behörden müssen sich klar machen, wo die wirklichen Gefahren sind. Anschläge auf Asylbewerberheime sind mittlerweile Alltag hier, einige rechtsextreme Aktionen schaffen es gar nicht mehr in die überregionalen Zeitungen. Es muss einen Schwerpunkt bei der Prävention geben. Wir müssen viel diskutieren, was unsGrundrechte bedeuten und was die Zivilgesellschaft ausmacht. Das kann nicht von der Regierung dekretiert werden, das muss in der Gesellschaft wachsen.

Kann man Toleranz gegenüber Ausländern lernen?

Wir sprechen hier auf keinen Fall über kurzfristige Entwicklungen. Es geht nicht um Meinungen, sondern um grundlegende Einstellungen. Solche Einstellungen ändern sich nicht von heute auf morgen. Wenn eine Chance besteht, dann eher mittel- und langfristig. Ich setze auf Lernen durch Handeln und Begegnen. Dafür gibt es auch schon Beispiele. Wenn der Ausländer nichts Abstraktes mehr ist, sondern ein Mensch, der leibhaftig vor einem steht und mit dem ich kommunizieren kann, dem ich helfen kann, können Lerneffekte auftreten. Dann kann auch Vertrauen entstehen. Das sind Aktivitäten, die es schon in ganz Sachsen gibt, und über die zu wenig berichtet wird. Eher skeptisch bin ich gegenüber abstrakten Dialog-Veranstaltungen. Da gab es bisher keine sichtbaren Ergebnisse.

Das Interview führte Alina Schwermer

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