Es ist ein paar Wochen her, da prophezeite Christian Drosten im Prinzip schon eine Debatte wie wir sie jetzt erleben. "There is no glory in prevention", zitierte der in den Medien derzeit omnipräsente Wissenschaftler in seinem NDR-Podcast eine alte Virologen-Weisheit. Soll heißen: Man kann keinen Blumentopf damit gewinnen, wenn man eine Epidemie tatsächlich eindämmt, wenn man Erkrankungen verhindert, wenn man es schafft, dass es nicht zu menschenunwürdigen Szenen in haltlos überforderten Krankenhäusern kommt und damit Menschenleben rettet. Denn das merkt letztlich niemand. Klingt bitter, ist es auch.
Wie zum Beleg äußerte sich geradezu prototypisch Restaurantketten-Chef Eugen Block unlängst gegenüber dem "Spiegel": "Ich warte immer noch auf den seit Langem angekündigten Corona-Peak", wetterte er. "Noch immer stehen die Krankenhäuser halb leer." Mit den dadurch entstehenden Kosten hätte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) "seine" Intensivabteilungen verdoppeln können, stattdessen müsse der Minister "das ganze Volk wegsperren und das Leben auf den Kopf stellen", so Block. Einfältiger kann man sich wohl kaum äußern.
Leben mit Corona: Kreative Lösungen dringend gesucht
Denn es steckt eben doch großer Ruhm in der Prävention. Ist es wirklich so schwer zu verstehen, dass just dieses "Wegsperren des Volkes" unter anderem dazu geführt hat, dass viel weniger von uns und unseren Angehörigen (schwer) erkrankt oder gar gestorben sind, als es zu befürchten war? Eine große Mehrheit des Volkes, das sich angeblich "wegsperren" ließ, war jedenfalls in der Lage zu dieser intellektuellen Leistung. Sehr viele Menschen haben ihr Verhalten sogar schon verändert, bevor der Lockdown in Kraft trat (was nun paradoxerweise zur Behauptung genutzt wird, die Maßnahmen seien unnötig gewesen).
Dagegen ließe sich umgekehrt fragen, um Blocks Einfalt auf eine zugegeben unappetitliche Spitze zu treiben: Müssen erst Ärzte und Pfleger unter der Dauerlast zusammenbrechen wie in Italien, müssen erst Leichen massenweise in Kühltransportern aufbewahrt werden wie in New York oder Verstorbene tagelang in Wohnungen liegen, bevor sie jemand abholen kann, wie in Ecuador, ehe wir damit aufhören Steaks zu grillen? Gibt es wirklich "Wichtigeres als das Leben", wie der texanische Gouverneur Dan Patrick (Republikaner) im TV-Sender "Fox News" sagte, um ein Ende des Corona-Lockdowns zu propagieren?
Das Leben mit dem Virus organisieren
Schlimm an dieser Art von Diskussion ist nicht zuletzt, dass sie enorme Kraft kostet. Kraft, die viel dringender für kreative Lösungen benötigt würde. Denn solange kein Impfstoff, kein Medikament zur Verfügung steht, werden wir mit dem Virus ja leben, uns regelrecht einrichten müssen - so, wie es im Moment aussieht, noch viele Monate lang. Und da stellen sich dann ja durchaus drängende Fragen: Wie sollen Gastronomen, Hoteliers, Fluggesellschaften, Eventveranstalter, Kulturschaffende und viele mehr das überstehen? Wie kann man ihnen helfen? Wie kann die Betreuung von kleinen Kindern unter Corona-Bedingungen aussehen? Wie ein vernünftiger Schulunterricht? Wie können Eltern im Homeoffice entlastet werden? Und woher soll all das Geld für die nötigen, hoffentlich kreativen Lösungen kommen? Simple Forderungen à la NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) nach weiteren Lockerungen noch ehe man überhaupt Erfahrungen mit den ersten Versuchen gemacht hat, helfen jedenfalls nicht weiter.
Es ist ja nicht zu bestreiten, dass im Corona-Krisenmanagement und in der Krisenkommunikation auch Fehler gemacht werden. Das anfangs abfällige Abwinken in Sachen Atemschutzmasken, die man jetzt aber zur Pflicht erhoben hat, ist ein augenfälliges Beispiel. Zudem muss natürlich in einer Demokratie weiterhin drauf hingewiesen werden, dass die Einschränkungen der persönlichen Freiheiten nur solange aufrecht erhalten werden dürfen wie es absolut notwendig ist. Doch existiert im Grundgesetz auch das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit. Und das steht selbstverständlich auch den Angehörigen der Corona-Risikogruppen zu.

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Lockdown war keinesfalls nutzlos
Am Leben in der Pandemie wird wohl niemand Spaß haben. Wir alle machen uns Sorgen um unsere wirtschaftliche Zukunft. Doch das darf nicht dazu führen, die Erfolge in der Virus-Bekämpfung kleinzureden oder die Lockdown-Maßnahmen als sinnlos und überflüssig hinzustellen. Der allzu laxe Umgang mit der Krise hat in Großbritannien jetzt zu einer Übersterblichkeit durch Covid-19 geführt, wie Virologe Christian Drosten twitterte. Er mahnte angesichts der Lockdown-Debatte eindringlich: "Uns wurde dies vor allem durch frühe und breit eingesetzte Diagnostik erspart. Verspielen wir diesen Vorsprung nicht." Denn wenn sich aufgrund falscher Behauptungen das Verhalten der Menschen ändert, weil sie sich irrtümlich in Sicherheit wähnen, dann riskieren wir nicht weniger, als viele weitere Menschenleben an das Coronavirus zu verlieren.