Eklat bei Afghanistan-Abstimmung War der Rauswurf der Linken richtig?

Nein, sagt Niels Kruse, gerade beim Thema Afghanistan wäre mehr Fingerspitzengefühl nötig gewesen. Ja, sagt Roman Heflik. Die Linken sollen argumentieren, nicht provozieren.

Auch die Linken müssen sich an Regeln halten

Ein christdemokratischer Bundestagspräsident wirft Abgeordnete einer linken Partei aus dem Parlament, weil sie gegen einen Kriegseinsatz protestieren. Ist das nicht undemokratisch? Ist das etwa kein Skandal?

Nein, ist es nicht.

Um jede Unklarheit zu vermeiden: Über den Afghanistan-Einsatz muss diskutiert und gestritten werden. Der Luftschlag von Kundus muss untersucht werden. Der unschuldigen Opfer des Angriffs muss gedacht werden. Und wenn das deutsche Parlament beschließen würde, die Bundeswehr sofort aus Afghanistan abzuziehen, wäre das seine souveräne Entscheidung.

Aber gerade damit die Volksvertreter zu so einer Entscheidung gelangen können, muss das Parlament funktionieren – eine Lehre aus der Weimarer Repubik, als Radikale regelmäßig die Sitzungen störten. So gibt es heute innerhalb des Bundestags Schutzmechanismen, die die Herzkammer der Demokratie frei halten sollen. Dazu gehört, dass jede Fraktion eine gewisse Redezeit für sich beanspruchen kann, dass sich die Redner an gewisse Umgangsformen halten und dass Debatten und Abstimmungen frei und ungestört laufen sollen. Von diesen Leitplanken der parlamentarischen Diskussion profitieren übrigens alle Abgeordnete - auch die der Linken.

Mit ihrer Protestaktion haben die Linken dagegen bewusst in Kauf genommen, dass die Debatte gestört wird – ob sie nun stumm Plakate hochhalten oder laut brüllen, macht dabei keinen Unterschied. Mehrmals wurden sie aufgefordert, ihre Transparente nun niederzulegen und wieder an der Debatte teilzunehmen. Sie haben sich geweigert.

Die Aktion der Linksfraktion ist kein heldenhaftes Aufbäumen einer unterdrückten Parlamentsminderheit. Außerhalb des Parlaments können ihre Abgeordneten Pressekonferenzen geben oder Demos organisieren. Innerhalb des Bundestags hatten und haben sie die Möglichkeit, in Form von Reden ihre Meinung kundzutun. Und sie können in freier und geheimer Wahl für oder gegen Militäreinsätze abstimmen. Sogar nach ihrem Rauswurf heute durften sie wieder an der Abstimmung teilnehmen.

Doch weil die Linken bei der Abstimmung zum Afghanistan-Mandat wussten, dass sie im Bundestag keinen Erfolg erringen werden, haben sie lieber eine Marketing-Aktion inszeniert. Sie hielten ihre Plakate weiter hoch, weil sie wussten, dass in dieser Zeit die Pressekameras weiterklickten. Mit diesen Bildern kann man später gegenüber seinen eigenen Leuten prima illustrieren, wie anders man doch ist. Es ist übrigens nicht das erste Mal: Mitglieder der Linksfraktion haben in den letzten Jahren immer wieder Sitzungen gestört.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wer aber lieber Eigenwerbung betreibt, als sich der parlamentarischen Diskussion zu stellen, muss vor die Tür, mindestens. Vielleicht sollte er sich aber auch die Frage stellen, wozu er sich überhaupt hat wählen lassen.

Lammert fehlt das Fingerspitzengefühl

Fast alle Abgeordneten erhoben sich, sie hielten Plakate in die Luft, auf denen die Namen der beim Luftangriff in Kundus getöteten Opfer zu lesen waren. Sie guckten zornig dabei. Es war ein ungewöhnlicher Protest im Deutschen Bundestag, der über die Truppenaufstockung am Hindukusch zu entscheiden hatte. Und er artete zu einem Eklat aus, in dessen Verlauf Politiker der Linkenfraktion des Hauses verwiesen wurde. Zunächst sollte sie nicht einmal mehr an der Abstimmung teilnehmen dürfen.

War das wirklich ein Eklat? Nein. Nicht die Aktion an sich ist der Skandal, eher schon die Reaktion des Parlamentspräsidenten Norbert Lammert. Sicher, er berief sich dabei auf die Hausordnung, und sicher: Jeder hat sich an sie zu halten. Doch die rabiate Durchsetzung dieser Formalie zeugt vor allem vom fehlenden Fingerspitzengefühl des Bundestagspräsidenten für dieses hochsensible Thema.

Denn der Bundeswehreinsatz in Afghanistan ist ein Krieg. Einer der tausende Kilometer weit entfernt von der Heimat tobt, über dessen Sinn und Unsinn noch lange nicht entschieden ist, und vor allem: Es ist ein Krieg, in dem getötet wird, in dem Afghanen wie Deutsche sterben. Der Kampfeinsatz am Hindukusch ist die Ultima Ratio der deutschen Außenpolitik und selbst Befürworter der Mission wissen, dass es viele Gründe gibt, den Einsatz abzulehnen - und ein starkes Bedürfnis, die Bedenken auch lautstark kundtun zu dürfen. Gerade im Deutschen Bundestag. Dort sitzen Abgeordnete, die die Bevölkerung vertreten, die dem Afghanistaneinsatz mehrheitlich ablehnend gegenüber steht - im Gegensatz zur Mehrheit eben jener Abgeordnete.

Besonders den Befürwortern des Mandats am Hindukusch dürfte Nobert Lammert mit seinem Platzverweis einen Bärendienst erwiesen haben. Die Abgeordneten von Union, FDP und der SPD stehen mehrheitlich hinter dem Einsatz, wie die Zustimmung über die Truppen-Aufstockung letztlich gezeigt hat. Das ist übrigens auch richtig. Doch nicht die Anliegen und Argumente der Mehrheit werden nun diskutiert, sondern die Positionen der des Hauses verwiesenen Linken. Und die werden sich vermutlichen ins Fäustchen lachen angesichts Lammerts Rauswurf-Aktion, dank derer sie nun die Aufmerksamkeit auf sich haben ziehen können.

Der ganz große Skandal aber ist dann doch ausgeblieben. Denn die Bundestagsabgeordneten haben es Linken zumindest noch erlaubt, an der Abstimmung teilzunehmen. Offenbar will die Politik in einigen wichtigen und großen Fragen nicht den Eindruck erwecken, die berechtigten Proteste der Opposition mit Hilfe einer papierenen Hausordnung mundtot machen zu wollen.