Wenn ein Politiker am Tag mehrere Kilometer joggt, Fahrrad fährt, fit ist wie ein junger Stier, dann ist das seinen Pressemenschen oft gerne eine Meldung und mindestens ein Foto wert. Denn Gesundheit ist Macht. Den Bürgern wird gezeigt: Der hat die Kraft, etwas zu bewegen! In Eurem Auftrag! Der macht, wofür Ihr ihn gewählt habt! Den Gegnern - auch im eigenen Lager - wird vermittelt. Der ist fit, unangreifbar. Legt euch mit dem bloß nicht an.
"Du, ich glaube, die hat Krebs"
Aber was ist, wenn die Gesundheit mal zu Wünschen übrig lässt? Was, wenn ein Politiker krank wird, Schwächen zeigt? Wenn Gesundheit Macht bedeutet, bedeutet dann Krankheit Ohnmacht, zerbröckelt dann die Stellung, die er sich so mühevoll erarbeitet hat?
Welche Belastungen Politiker auf sich nehmen, um wegen einer Krankheit ja keinen Machtverlust hinzunehmen, war am Montagabend in der ARD zu erfahren. Im Rahmen der ausgezeichneten "Themenwoche Krebs" hatte Talker Reinhold Beckmann die schleswig-holsteinische Ex-Ministerpräsidentin Heide Simons zu Gast. Vor vier Jahren war bei der heute 62-Jährigen ein Brustkrebs festgestellt und operiert worden. Der Öffentlichkeit gegenüber verheimlichte die resolute Simonis die Krankheit jedoch - auch aus politischen Gründen, wie sie Beckmann verriet. "Es gibt nichts Schlimmeres, was Sie einem Politiker oder einer Politiker antun könnten als zu sagen: Du, ich glaube, die hat Krebs", berichtete sie. "Das geht auch einem Wirtschaftsführer so. Sobald angefangen wird, über seine Krankheit zu reden, kann der eigentlich seinen Stuhl verlassen und raus gehen." Und ja, wegen ihrer Krankheit, wegen einer möglichen Veröffentlichung, habe sie sich politisch in die Enge getrieben gefühlt.
Sie machte weiter, als sei nichts geschehen
Nach ihrer Operation machte Simonis weiter, als sei nichts geschehen. Sie war eisern, hart vor allem gegenüber sich selbst. "Ich wurde am Samstag operiert, und am Montag hab ich posthum den ehemaligen Ministerpräsidenten Stoltenberg zum Ehrenbürger des Landes gemacht", berichtete die Ex-Politikern bei "Beckmann". Sie hatte Glück, zumindest in gesundheitlicher Hinsicht. Die Krankheit überstand Simonis, ohne, dass eine Chemo-Therapie nötig gewesen wäre. Und als politische Gegner versuchten, die Geschichte der Krankheit der Presse zu stecken, hielten die Journalisten auf Wunsch der Kieler Staatskanzlei dicht. Nur das politische Glück verließ Simonis trotz aller Bemühungen. 2005 verlore sie ihr Amt als Regierungs-Chefin. Heute ist sie Deutschland-Chefin des Kinderhilfswerks Unicef.
zwiti>Der Fall PlatzeckDie Äußerungen der Ex-Politikerin Simonis werfen ein Licht auf die Zwänge, denen Politiker im öffentlichen Umgang mit ihren Erkrankungen ausgesetzt sind. Schweigen sie, sind sie möglicherweise vom politischen Gegner erpressbar oder überfordern sich mit demonstrativen öffentlichen Auftritten, schaden möglicherweise ihem Körper. Gehen sie an die Öffentlichkeit gefährden sie dagegen möglicherweise ihre Machtbasis und stehen zumindest eine Weile unter dem Druck, ihre Leistungsfähigkeit öffentlich unter Beweis zu stellen. Es dürfte deshalb interessant sein zu sehen, ob und wie SPD-Chef Matthias Platzeck seine Krankheit demnächst in die Öffentlichkeit trägt. In der vergangenen Woche war der 52-Jährige mit einem Hörsturz in eine Klinik eingeliefert worden. Zwar hielten sich die Medien damit zurück, Platzecks Leistungsfähigkeit in Frage zu stellen, aber hinter vorgehaltener Hand wurde in Berlin sofort eifrig getuschelt. Der Hörsturz sei doch eine Stress-Geschichte, hieß es etwa. Ob Platzeck den Anforderungen seiner Ämter gewachsen sei, wurde gefragt. Ob er gar dem Druck einer Kanzlerschaft standhalten könne. Und so wird der genesene SPD-Chef spätestens ab der nächsten Woche unter Zugzwang stehen. Er wird demonstrativ beweisen müssen, dass er über jene Kraft verfügt, die nötig ist, um ganz oben mitzumischen - trotz seines Hörsturzes. Das würde der Logik der Macht entsprechen. Verheimlichen konnte Platzeck seine Krankheit jedenfalls nicht.