Die CDU wollte ihn nicht. Bei der FDP durfte er nicht mal sitzen. Von seiner alten Partei fühlt er sich bedroht. Weil sich Jürgen Schön aber offenbar ein Leben ohne Politik nicht vorstellen kann, trat er einfach in die erstbeste Partei ein, die ihn nahm. Nun hat die Freiheitliche Partei Deutschlands (FPD) plötzlich einen Volksvertreter im sächsischen Landtag.
Es ist die erste Sitzungswoche in Dresden, seit Schön, 58, und zwei weitere Abgeordnete kurz vor Weihnachten aus der NPD ausgetreten sind. Mit ihnen verlor die rechtsextreme Partei ein Viertel ihrer zwölf Sitze im sächsischen Landtag. Schön hatte "etwas Bammel" vor dem ersten Tag.
Nur eine Stufe und jede Menge eisiges Schweigen trennt sie von den ehemaligen Kameraden. Dafür kommen CDU-Abgeordnete auf einen Plausch vorbei. Die SPD bietet Hilfe bei Redezeiten an, die die FPD ohne Fraktionsstatus nicht bekommt. Sogar eine Frau von der PDS gratuliert. Schön freut sich einfach, "dass einen nun auch seriöse Abgeordnete grüßen."
Seine neue Partei ist kleiner
als die NPD und nicht ganz so rechts. Eigene Angaben schwanken zwischen 20 und 80 Mitgliedern; Bundesgeschäftsstelle Hoyerswerda; Ergebnis bei Wahlen: 0,0 Prozent. Was genau das Ziel der FPD ist, kann selbst ihr neuer Bundesschatzmeister Jürgen Schön noch nicht sagen: "Jedenfalls seriös und gemäßigt", hofft er – "und ohne Nationalsozialismus." Sein Kollege Klaus Baier, 45, aus Annaberg hat auch schon einen Aufnahmeantrag unterschrieben. Mirko Schmidt, 39, der dritte NPD-Aussteiger aus Meißen will mit etwa 20 Leuten seine eigene unbedeutende Partei gründen.
Bei der NPD mussten die drei Sachsen stets als Feigenblatt für eine einheimische Basis im Freistaat herhalten. Allein mit ihnen traten über 100 Mitglieder aus. Auch vor ihnen gab es schon Austritte, darunter mehrere Vorsitzende von Kreisverbänden. Manche von ihnen sind praktisch handlungsunfähig.
"Gemäßigte Leute halten es einfach nicht mehr aus", sagt Jürgen Schön, "die NPD wird immer radikaler. Intern bekennen sich viele offen zum Dritten Reich. Leider habe ich erst zu spät erkannt, wie die Scharfmacher an der Parteispitze wirklich ticken."
Die Überraschung
, in was für eine Partei sie da geraten sind, ist für Außenstehende die größte Überraschung. Allein Schön brauchte 15 Jahre für diese Erkenntnis. Er gehörte selbst zur Spitze und hat die NPD in Sachsen maßgeblich mit aufgebaut. Seine Frau Steffi und er waren die ersten Mitglieder im Osten. Seit der Wende ließ er sich von ihr durchs Land fahren, gründete überall Ortsverbände, holte "national gesinnte" SED-Genossen ins Boot und diente sich bis zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden hoch. Leuten wie ihm verdankt die NPD fast alle Mitglieder, die keine oder eine Altersglatze haben.
Die Morddrohungen bei ihm zu Hause nehmen langsam ab. Manchmal ruft sogar jemand an, der nicht gleich "Judas verrecke" oder "Verräter" ins Telefon brüllt. Bevor er die kleine Wohnung in Leipzig verlässt, muss er trotzdem jedes Mal der Polizei Bescheid sagen. Eine spezielle Notrufnummer ist auch auf Gassi mit Terrier Susi immer zur Hand. Er spricht von "Mafia-Methoden" und "Feme". Vor allem aber fürchtet er um seinen "seriösen Ruf im Wohngebiet".
Besucher müssen bei ihm "wegen dem neuen Teppich" die Schuhe ausziehen aber bekommen Gäste-Pantoffeln. An der Wohnzimmertür hängt ein buntes Gipsbild mit der Aufschrift "Wohnzimmer". Hinter einem ähnlichen mit "Küche" sitzt seine Frau und schaut fern. Schön trägt eine Wildlederweste aber will nur im Anzug fotografiert werden. "Das Seriöse ist mir sehr wichtig", sagt er.
Wie oft habe er sich auf Demonstrationen und Versammlungen geschämt! Bei erhobenen Armen und "dem dummen Gegröle" die Zähne zusammengebissen – "ja: vielleicht sogar die Augen verschlossen". Immerhin habe ihm das aber auch "schlaflose Nächte" bereitet und am Ende "handfeste Depressionen". Außerdem - und dafür hofft er wirklich auf Verständnis - sei er ja die meiste Zeit hauptamtlich bei der Partei angestellt gewesen: "Und wer, bitte, stellt sonst noch einen über 50-jährigen NPD-Mann ein?"
Erst vor anderthalb Jahren, nach seinem Einzug in den Landtag, will er entdeckt haben, "wie Politik auch sein kann", nämlich "seriös". Vor allem die CDU-Kollegen imponierten ihm: "Auftreten, Fachkompetenz, gesunde Heimatliebe." Noch in dieser Woche will er selbst "ein weiteres Zeichen setzen und erstmals an der Holocaust-Gedenkfeier teilnehmen". Dabei guckt er so seriös er kann - als verdiene er allein dafür Anerkennung.
Das Verdienst der drei ehemaligen NPD-Leute ist ein anderes: Ihre Entnazifizierung - ob mit oder ohne Hilfe des Verfassungsschutz - hat offenbart, dass es bei der sächsischen NPD auch nur zugeht wie seinerzeit bei der DVU in Brandenburg oder Sachsen-Anhalt: vorgefertigte Redebeiträge und westdeutsche Dominanz, dazu Streit um die Verteilung der Landtagsgelder oder wessen Lebensgefährtin einen Job in der Fraktion bekommt. Auch in anderen Landesverbänden rumort es.
"Halbwegs seriöse Mitglieder wehren sich auch dort gegen die Radikalisierung durch junge NS-Kameradschaften", sagt Jürgen Schön. Er rechnet mit weiteren Massenaustritten. Mit vielen ehemaligen Kameraden steht er noch in Kontakt, "auf deren Seite natürlich heimlich." Seinen langjährigen Freund Winfried Petzold, noch Landesvorsitzender in Sachsen, traf er am Dienstag auf der Landtagstoilette. Angeblich habe er nur hastig gezischt, er dürfe nicht mit ihm reden. Da hat sich Schön einmal mehr "befreit" gefühlt.