FDP-Parteitag "Rot-Grün richtet Deutschland zugrunde"

FDP-Chef Guido Westerwelle hat die Deutschen zur Abwahl der rot-grünen Regierungen im Bund und in Nordrhein-Westfalen aufgerufen. Auch die Gewerkschaften bekamen ihr Fett weg - den Parteitags-Delegierten gefiel's.

Rund zwei Wochen vor der Wahl im bevölkerungsreichsten Bundesland warf er SPD und Grünen am Donnerstag beim FDP-Bundesparteitag in Köln vor, Deutschland heruntergewirtschaftet zu haben. "Wir müssen Rot-Grün beenden, bevor unser Land am Ende ist. Rot-Grün ist ein historischer Irrtum", sagte Westerwelle. Deutschland habe eine Rekordzahl von Arbeitslosen, das geringste Wachstum in Europa, die marodesten Staatsfinanzen, die größte Pleitewelle, ein brüchiges Sozialsystem und sei reif für einen Politikwechsel. In den Umfragen zur Landtagswahl liegen CDU und FDP derzeit neun Prozentpunkte vor den Regierungsparteien SPD und Grüne.

"Gewinn ist nicht Unmoralisches"

Zugleich erneuerte Westerwelle seine Kritik an SPD-Chef Franz Müntefering, der Finanzinvestoren mit gierigen Heuschrecken verglichen hatte. "Wer Investoren, wer Unternehmer, wer Menschen, die Arbeitsplätze schaffen, so behandelt, darf sich nicht wundern, wenn diese Unternehmer und diese Investoren in andere Länder gehen", sagte der FDP-Politiker. Gewinn sei nichts Unmoralisches, sondern die Voraussetzung für die Zukunft eines Unternehmens. "Unverantwortlich ist ein Unternehmen nicht dann, wenn es nach Gewinn strebt. Unverantwortlich ist ein Unternehmen dann, wenn es nicht nach Gewinn strebt - denn dann geht es Pleite."

Auch Gewerkschaftsfunktionäre griff Westerwelle erneut an. Sie grenzten mit Tarifsteigerungen in den unteren Lohngruppen Schwächere und geringer Qualifizierte vom Arbeitsmarkt aus. "Ich habe nichts gegen Gewerkschaften. Ich bin sogar für starke Gewerkschaften", sagte Westerwelle bei dem Parteitag, der unter dem Motto "Arbeit hat Vorfahrt" steht. Er sei jedoch gegen Funktionäre, die Gewerkschaftspolitik nur noch als Vertretung eigener Interessen betrieben. In den vergangenen Tagen hatte er die Funktionäre als "eigentliche Heuschreckenplage unseres Landes" und "wahre Plage in Deutschland" bezeichnet und war deshalb vom Gewerkschaftskongress der IG BCE ausgeladen worden. Die FDP fordert gesetzliche Öffnungsklauseln für die Flächentarifverträge und die Umwandlung der paritätischen Mitbestimmung in eine Drittelmitbestimmung.

Niebel löst Pieper ab

Am Nachmittag wählten die Delegierten den Arbeitsmarktexperten Dirk Niebel zum neuen Generalsekretär. Der frühere Fallschirmjäger löst die umstrittene Amtsinhaberin Cornelia Pieper nach vierjähriger Amtszeit ab. Die Wiederwahl Westerwelles als Vorsitzender ebenfalls am Nachmittag war fast nur eine Formalität - sie galt ohnehin als sicher. Er erhielt 475 Ja-Stimmen, 90 Delegierte votierten mit Nein, fünf enthielten sich. Außerdem berieten die Liberalen über programmatische Korrekturen, die die FDP auf die Bundestagswahl 2006 vorbereiten und sie vom Image der Spaßpartei befreien sollen. So will sich die Partei, die in den vergangenen Jahren hauptsächlich für den Wirtschaftsliberalismus gestanden hatte, wieder verstärkt für den Schutz der Bürgerrechte einsetzen. Ein Leitantrag wendet sich gegen die zunehmende Einschränkung dieser Rechte im Kampf gegen den Terrorismus.

Westerwelle forderte auf dem Delegiertentreffen mehr Eigenverantwortlichkeit der Bürger und weniger staatliche Bevormundung. Er versprach, dass in einer neuen Regierung unter FDP-Beteiligung der Abbau der Bürgerrechte wieder rückgängig gemacht werde. Der FDP-Chef kritisierte ausufernde Telefonüberwachung, die seit 1994 um 500 Prozent zugenommen habe und verlangte die völlige Wiederherstellung des Bankgeheimnisses. Scharf wandte er sich zudem gegen das Luftsicherheitsgesetz, das den Verteidigungsminister zu Flugzeugabschüssen bei Verdacht von terroristischen Aktionen ermächtigt. "Es kann keine gesetzliche Abwägung über den Tod Unschuldiger geben", sagte Westerwelle.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Keine präventiven militärischen Alleingänge mehr

In der Außenpolitik sprach sich Westerwelle für eine Politik der militärischen Zurückhaltung aus. "Ich habe die Befürchtung, dass der Einsatz der Bundeswehr nicht mehr das letzte, sondern zu einem nahe liegenden Instrument wird", sagte Westerwelle. Für jeden Bundeswehreinsatz werde ein klares UN-Mandat und ein Parlamentsbeschluss gebraucht. Präventiven militärischen Alleingängen erteilte er eine deutliche Absage. Hintergrund der Debatte war ein eingebrachter Antrag des Bundesfachausschusses Außenpolitik, der als "Ultima Ratio" präventive Militäreinsätze befürwortet hatte.

In der Bildungspolitik verlangte der FDP-Chef mehr Eigenverantwortung für Hochschulen und verteidigte das Recht auf Erhebung von Studiengebühren. "Die Finanzierung für ein Studium eines kleineren Teils eines Jahrgangs, die dann auch bessere Berufsaussichten haben, muss nicht vollständig von der Allgemeinheit finanziert werden", begründete Westerwelle. Als Armutszeugnis der Gesellschaft kritisierte er das fehlenden Angebot an Kinderbetreuung.

Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher ist nach seiner langen und schweren Krankheit erstmals wieder öffentlich aufgetreten. Die rund 600 Delegierten des FDP-Bundesparteitags in Köln empfingen den 77-Jährigen am Donnerstag mit herzlichem Applaus. Genscher kam allerdings mit blauem Auge und Pflaster auf der Stirn in die Kölner Messehalle. Auf besorgte Fragen antwortete er selbst nur mit den Worten, es sei "nichts Besonderes" gewesen.

Genscher tritt wieder öffentlich auf

Als Ehrenvorsitzender der Liberalen nahm Genscher im Präsidium Platz, wo er von Parteichef Guido Westerwelle und anderen führenden FDP-Politikern freundschaftlich begrüßt wurde. Eine kurze Umarmung gab es zwischen Genscher und dem langjährigen amerikanischen Außenminister Henry Kissinger, der als Gastredner zu dem Parteitag kam und am Vorstandstisch neben seinem langjährigen Amtskollegen saß.

In seiner Rede vor den Delegierten des FDP-Parteitags hat der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger die Bedeutung der transatlantischen Freundschaft hervorgehoben. Für jemanden aus seiner Generation mit den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges seien "die jüngsten Unstimmigkeiten zwischen den beiden Seiten des Atlantiks besondere schmerzlich", sagte der 81-jährige Kissinger. Außerdem würdigte er die engen Beziehungen zu seinem früheren Amtskollegen Hans-Dietrich Genscher.

Für Kissinger gab's eine Flasche Sekt

Kissinger forderte ein gemeinsames Vorgehen aller demokratischen Staaten gegen den Terrorismus. Bei der Schaffung einer neuen Weltordnung spiele die deutsch-amerikanische Freundschaft eine besondere Rolle, hob Kissinger hervor. Auch im Irak-Konflikt warnte er vor Alleingängen. "Keine Nation besitzt genug Macht oder Weisheit, um die globale Demokratisierung eigenständig herbeizuführen", sagte Kissinger. Nach seinem mit lang anhaltendem Beifall bedachten Auftritt überreichte FDP-Chef Guido Westerwelle dem Gast eine Magnum-Flasche Sekt der Marke Fürst Metternich. Kissinger habe über Fürst Metternich promoviert, begründete Westerwelle die Wahl des Geschenks.

Die finanzielle Situation der FDP ist trotz Schuldenabbaus weiterhin schwierig. Darauf machte Schatzmeister Hermann Otto Solms aufmerksam. "Der Sparkurs muss fortgesetzt werden", sagte Solms. Die Schulden seien hauptsächlich durch den Verkauf des Thomas-Dehler-Hauses in Bonn um 12,7 Millionen Euro auf 14 Millionen Euro reduziert worden.

FDP muss weiter sparen

Solms appellierte an die Delegierten, einem Antrag auf Erhöhung der Umlage an die Bundespartei zuzustimmen. Ein gleich lautender Vorstoß war auf dem Parteitag im vergangenen Jahr in Dresden knapp gescheitert. Um den Schuldenabbau weiter voranzubringen, rief Solms dazu auf, das Einwerben von Spenden zu forcieren. "Eine Partei die antritt, die öffentlichen Finanzen in Deutschland zu sanieren, muss erst die eigenen Finanzen in Ordnung bringen", sagte Solms. Der Schatzmeister machte deutlich, dass auch im Bundestagswahlkampf 2006 weiter an Mitteln gespart werden müsse. Das Wahlkampfbudget sei von 6,0 Millionen Euro auf 4,5 Millionen Euro reduziert worden.

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