Flüchtlingsschicksale 2015 Tränen der Hilflosigkeit

Flüchtlinge in Deutschland. Die Tränen einer 14-Jährigen rühren die Kanzlerin, die Tränen eines Vaters nach Überquerung der Ägäis gehen um die Welt. Ob die deutschen Behörden ein Einsehen haben?

Die Tränen der 14-jährigen Reem Sahwil rührten Millionen Menschen - und brachten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in eine unerwartete Situation. Die Palästinenserin hatte Mitte Juli Merkel bei einer Diskussion in einer Rostocker Schule die schwierige Situation ihrer vor vier Jahren aus dem Libanon geflüchteten Familie berichtet.

"Es ist wirklich sehr unangenehm, zuzusehen wie andere das Leben genießen können und man es selber halt nicht mitgenießen kann", war einer ihrer bewegenden Sätze. Als Merkel ihr erklärte, dass nicht alle Flüchtlinge bleiben können, weinte die teilweise gelähmte Reem. Merkel ging auf sie zu, streichelte sie und löste damit eine in dieser Heftigkeit nahezu einmalige Diskussion im Internet aus. Der Hashtag #merkelstreichelt war tagelang Forum für Tausende.

Situation von Reems Familie hat sich verbessert

"Sie hat richtig reagiert, an ihrer Stelle hätte ich genau das Gleiche gemacht", sagte Reem jüngst beim RTL-Jahresrückblick und gestand, dass sie damals sehr aufgeregt gewesen sei. Es sei gut gewesen, dass Merkel so ehrlich war. Inzwischen habe sich die Situation der Familie verbessert. Sie und ihr Vater haben eine bis März 2016 befristete Aufenthaltserlaubnis, für die Mutter und den Bruder würden noch weitere Dokumente aus dem Libanon benötigt. Spätestens Ende März 2017 folge die endgültige Klärung, hieß es von der Stadt. Ihr Vater habe sogar Arbeit bei der Flüchtlingshilfe gefunden und dolmetsche dort, berichtete Reem.

Das Foto hat sie zu einem Symbol der Angst und des Leids vieler Flüchtlinge gemacht: Der weinende Vater, der gerade mit seiner kleinen Tochter glücklich die Überfahrt über das Mittelmeer überstanden hatte. Dieses Bild aus dem vergangenen August, das als erstes die "New York Times" veröffentlichte, verbreitete sich im Internet und rührte zahllose Menschen.

Laith Majid Al-Amirij hatte sich mit seiner Familie auf die lebensgefährliche Bootsfahrt von der türkischen Küste zu der griechische Insel Kos begeben. Sie waren aus dem Irak vor Gewalt und Verfolgung geflohen. Als Sunniten hatten sie Morddrohungen erhalten, erzählten sie im September "Spiegel Online".

"Mein Mann will wieder Arbeit haben"

Ende August erreichte die sechsköpfige Familie Berlin und kam in einer ehemaligen Kaserne in Spandau unter. Kurz darauf habe man sie in eine Flüchtlingsunterkunft in Friedland bei Göttingen geschickt. Die sei völlig überfüllt gewesen, sagte Neda Al-Amirij der Deutschen Presse-Agentur. Die Englischlehrerin übernimmt die Kommunikation in der Familie. Ihr Mann spricht kein Englisch.

Seitdem die Familie im September nach Berlin zurückkehrte, lebt sie wieder in einem Raum in der zur Flüchtingsunterkunft umfunktionierten Schmidt-Knobelsdorf Kaserne in Spandau - und wartet. Darauf, dass sie wieder ein "normales Leben" führen könne, betonte die Irakerin. "Mein Mann will wieder Arbeit haben", sagte Neda Al-Amirij. Deshalb gehe der Kfz-Mechaniker zum Jobcenter. Auch die Englischlehrerin möchte arbeiten. Mit ihren Englischkenntnissen könne sie für Flüchtlinge aus dem Arabischen übersetzen, sagt sie.

Am meisten blickt die Familie der Entscheidung über ihren Asylantrag entgegen. Im Januar sollen sie erst einmal Ausweispapiere bekommen. Bis dahin heißt es: Weiter warten.

Von Joachim Mangler und Lukas Lorenz, DPA