Gastbeitrag Kurt Becks Strategie der Angst

Ein Gastbeitrag von Hubert Kleinert
Kurt Beck hat seine SPD in eine Sackgasse manövriert. Ängstlich drücken sich die Genossen vor einer offenen und ehrlichen Auseinandersetzung mit der Linkspartei. Stattdessen wollen sie sich verschämt dulden lassen. Gut gehen kann das nicht. Die SPD muss sich entscheiden: Für ein offenes Bündnis mit der Linken - oder für eine große Koalition.

Zu den vielen Problemen in der modernen Politik gehört, dass es ihr nie an Taktikern, oft aber an Strategen mangelt. Die neueste Wendung im hessischen Koalitionspoker offenbart das einmal mehr. Während die Sozialdemokraten in Berlin ein Bündnis mit der Linkspartei offiziell weiter kategorisch ausschließen, will sich Andrea Ypsilanti doch mit den Stimmen eben dieser Partei zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Anschließend soll das Ganze zur Zufallsmehrheit stilisiert werden, die an der Absage gegenüber der Linkspartei nichts ändere. So, meint man, ließe sich eine sozialdemokratische Ministerpräsidentin installieren und zugleich doch die Abgrenzungsstrategie der SPD-Bundespartei gegenüber den Linken fortsetzen. Ein Coup, mit dem man eine machtpolitische Zentralfunktion erobert, von der aus fleißig dementiert werden soll, dass man mit denen, auf deren Stimmen es doch ankam, auch nur das Geringste zu tun hat.

Riskantes Manöver nicht nachvollziehbar

Nun kann man ja Verständnis für die Schwierigkeiten haben, die die vertrackte Lage in Hessen für die Beteiligten mit sich bringt. Natürlich führt das dazu, dass vielerlei Planspiele ins Kraut schießen. Erst recht in der SPD, die sich als gefühlter wie moralischer Wahlsieger ärgert, dass sich die möglichen Varianten für Wiesbaden tatsächlich auf rot-rot-grün oder eine Große Koalition zu reduzieren scheinen. Dennoch ist nicht nachvollziehbar, was die Führung der Bundespartei dazu bewogen hat, einem derart riskanten, taktizistischen und absehbar mit dem Kainsmal des Tricksens versehenen Manöver seine Zustimmung zu geben, das, sollte es so kommen, eher an die Wahl eines Uni-Astas erinnern würde: Die Linkspartei wählte Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin, damit diese dann hinterher erklärt, es sei gar nicht sicher, ob die Stimmen nicht doch von der FDP gekommen sein könnten, während die Linkspartei unterdessen ihre neue strategische Schlüsselrolle herausstellt.

Wie soll das denn funktionieren? Und was passiert eigentlich danach? Die neue Ministerpräsidentin ernennt ein Kabinett aus roten und grünen Ministern, wobei man vermutlich ein oder zwei Plätzchen für die FDP freihalten würde – in der Hoffnung, dass die Freidemokraten früher oder später nach der Wurst schnappen würden, die ihnen vor der Nase baumelt. Freilich hätte deren Vorsitzender inzwischen das Vorgehen von rot und grün längst in scharfen Worten gegeißelt, was die Aussicht auf die nachträgliche Erweiterung der gebildeten Regierung gegen Null tendieren ließe. Entsprechend schnell wäre es mit den Chancen für die „wechselnden Mehrheiten“ vorbei.

Zur Person

Hubert Kleinert, 53, ist Politikprofessor an der Verwaltungshochschule Hessen in Wiesbaden. Zwischen 1983 und 1990 saß er für die Grünen im Bundestag, von 2000 bis 2002 war er Chef der hessischen Grünen. Eine Zeit lang war er ein enger Weggefährte Joschka Fischers.

Interpretation als Strategiewechsel

Vermutlich würde schon der atmosphärische Verlauf der konstituierenden Sitzung des Landtags so wahrgenommen werden, als ob es das offiziell wortreich dementierte Linksbündnis in Wahrheit längst gäbe. Parlamente haben nämlich auch ein Eigenleben und die Abgeordneten Emotionen, die in dieser Situation sehr deutlich zu spüren wären – auf der einen wie auf der anderen Seite. Der ganze Vorgang würde, bundesweit aufmerksam registriert, als Anfang eines Strategiewechsels der SPD interpretiert. Ein Strategiewechsel durch die kalte Küche, mit dem "Haut Goût" des Tricksens ausgestattet. Dagegen mit wortreichen Dementis anzuargumentieren, wäre völlig aussichtslos. Während Kurt Beck in Berlin den ganzen Vorgang herunterzuspielen bemüht wäre, hätte er sich in Wahrheit längst ein Glaubwürdigkeitsproblem eingehandelt, dass ihm im Bundestagswahlkampf schwer zu schaffen machen würde.

Es mag ja nachvollziehbare Gründe für die Sozialdemokraten geben, die Diskussion über rot-rot-grün schon vor der Bundestagswahl 2009 aufzumachen. Mag auch sein, dass die gesellschaftliche Stimmungslage nach dem Zumwinkel-Skandal da als Ermutigung wirkt. Aber wenn die SPD das macht, muss sie den Mut haben, das offen zu tun. Dann muss sie Gründe und Argumente nennen, inhaltliche Ziele und politische Projekte, muss den Linken Bedingungen stellen und über konkrete Formen von Kooperation diskutieren. Das ist sehr riskant, es würde zu innerparteilichen Verwerfungen führen und gewiss auch mehr Zeit brauchen, als bis Anfang April zur Verfügung steht. Aber einen anderen Weg gibt es nicht. Natürlich kann die SPD in Wiesbaden in den nächsten fünf Jahren nicht auf die Einbringung von Sachanträgen verzichten, bloß weil vielleicht auch die Linkspartei zustimmt. Aber es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen irgendeinem Sachantrag und einer machtpolitisch so entscheidenden und symbolisch aufgeladenen Frage wie der Wahl einer Ministerpräsidentin. Das weiß oder spürt doch jeder, selbst wenn er sich nur mäßig für Politik interessiert. Es ist unmöglich, Ministerpräsidentin zu werden und hinterher glaubwürdig zu sagen, dass man mit den Leuten, die einen gewählt haben, politisch nichts zu schaffen habe.

Deshalb muss sich die SPD entscheiden, ob sie die Risiken eingehen will, die mit einer Öffnung der Diskussion über Linksbündnisse verbunden sind, oder ob sie diese Risiken vermeiden will. Will sie es riskieren, darf sie keine Angst haben, das offen zu tun. Will sie das nicht oder jedenfalls nicht jetzt, dann bleibt ihr in Hessen wahrscheinlich nur der Weg, irgendwann mit dem Nachdenken darüber zu beginnen, unter welchen Bedingungen vielleicht doch eine Große Koalition in Betracht kommen kann. Einen Weg dazwischen gibt es vermutlich nicht. Ganz bestimmt aber gibt es nicht den, der in diesen Tagen durch die Öffentlichkeit geistert. Wer ihn doch gehen will, wird sich ein Glaubwürdigkeitsproblem einhandeln, das schwerer wiegt wird als der Vorteil, bei einer möglichen Neuwahl im Herbst mit dem Dienstwagen der Landesregierung vorzufahren.