Deutschland wird voraussichtlich doch Häftlinge aus dem Gefangenenlager Guantanamo aufnehmen. Vergangene Woche habe eine deutsche Delegation in dem US-Militärgefängnis mehrere Gespräche mit Insassen geführt, die für eine Aufnahme in Frage kämen, berichtete das Magazin "Spiegel". Dem Bundesinnenministerium liege eine Liste aus Washington vor, die der US-Sondergesandte Daniel Fried Ende vergangenen Jahres in Berlin übergeben hatte. Ein Sprecher des Ministeriums bestätigte auf Anfrage die erneuten Gespräche mit den USA zu dieser Frage. Dabei gehe es "um einzelfallbezogene Prüfungen".
Dem Bericht zufolge verhandelten der US-Sondergesandte und das Berliner Innenministerium in monatelangen Geheimgesprächen über die Modalitäten der Aufnahme von Gefangenen. Zu den möglichen Kandidaten, die Deutschland aufnehmen könnte, gehört demnach ein Palästinenser aus dem Westjordanland, der der konservativen Predigervereinigung Tablig-i-Dschamaat angehört. Weiterhin stehen ein Jordanier, der im Sommer 2001 nach Afghanistan gereist war, sowie ein Syrer, der Ende 2001 in einem Krankenhaus in Kabul behandelt und kurz danach festgenommen wurde, in der Auswahl. Alle Gefangenen seien von der US-Regierung zur Freilassung vorgesehen.
Thomas de Maizière muss entscheiden
Die Delegation aus Berlin, der Beamte des Innenministeriums, des Bundeskriminalamts und des Bundesamts für Migration angehörten, habe nach den Gesprächen in Guantanamo eine Risikoprognose erstellt, berichtete das Nachrichtenmagazin weiter. Auf dieser Grundlage wolle Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) entscheiden.
Der Sprecher des Innenministeriums erklärte, die Bundesregierung bleibe bei ihrer Haltung, die Vereinigten Staaten bei ihren Bemühungen zur Auflösung Guantanamos zu unterstützen. Die Gespräche mit den USA seien mit dem Kanzleramt und dem Auswärtigen Amt abgestimmt.
Im vergangenen Jahr hatte Deutschland - auch aus Rücksicht auf China - eine Aufnahme von in Guantanamo einsitzenden Uiguren abgelehnt. Darüber war es zum Streit in der damaligen großen Koalition gekommen. Während seinerzeit Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) mit einer Aufnahme den Kurs von US-Präsident Barack Obama zur Schließung des Lagers unterstützen wollte, lehnte der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) dies ab.