So eine Gelegenheit will sich Philipp Rösler nicht entgehen lassen. Vor ihm sitzt die versammelte Schar seiner offenen Gegner und falschen Freunde: gewiefte Oppositionspolitiker, mächtige Lobbyisten, Krankenhausbosse, Ärztefunktionäre, Pharmahändler und Chefs der großen Krankenkassen. Eine gute Gelegenheit für den neuen und verdammt jungen Gesundheitsminister, einmal klarzustellen, dass er das Spiel durchschaut hat. Rösler hat sich dafür einen Witz zurechtgelegt.
Er habe kapiert, wie der Politikbetrieb in Berlin funktioniere, sagt Rösler. Wenn er im kleinen Kreis erzähle, er würde gern mal wieder ohne Anzug und Krawatte über die Friedrichstraße spazieren, dann machten die Medien daraus: "Rösler will nackt über die Friedrichstraße laufen." Daraufhin melde sich die SPD und erkläre, das sei die soziale Kälte der FDP. Auch CDU und FDP hauten umgehend eine Presseerklärung raus, Überschrift: "Wenn die Steuern sinken, hat Rösler bald auch wieder was zum Anziehen." Und wenn er schließlich die Sache richtigstelle, dann heiße es: "Rösler rudert zurück."
Da lachen die paar Hundert Männer in den teuren Anzügen im Ballsaal des Berliner Grand Hyatt zu seinen Füßen. Nur einer lacht nicht mit: Philipp Rösler. Er steht vorn auf der Bühne und mustert seine Zuhörer. Gut möglich, dass das Amüsement über und mit dem Neuen bald vorbei ist.
Der vermeintliche Lobbyisten-Freund
Es ist noch gar nicht lange her, da berichteten Ärztefunktionäre und Pharmahändler freudig erregt, endlich gebe mal einer der Ihren, ein Arzt und wirtschaftsfreundlicher Liberaler, die Richtung vor. Lobbyisten, die das milliardenschwere Gesundheitssystem über die Jahrzehnte wohlgenährt hat, unkten, des Ministers Anzüge schlackerten doch arg an ihm. Und Altvordere der Gesundheitspolitik, selbst aus der eigenen Koalition, lästerten, der Junge solle sich erst mal einarbeiten. Auch ein Spitzname war schnell gefunden: der Praktikant.
Fünf Monate hat Rösler die Lästereien laufen lassen. Hat sich eingelesen in die komplizierteste und umkämpfteste Materie der deutschen Politik. Hat sich eingenistet in seinem Ministerium, ein paar Vertraute installiert und die Kritik daran, er versorge vor allem liberale Klientellobbyisten, ausgesessen.
Um nun aufzudrehen: Am Mittwoch tagten erstmals unter seiner Leitung sieben Bundesminister, die Vorschläge für die Einführung der umstrittenen Kopfpauschale vorlegen sollen. Und voraussichtlich nächste Woche will Rösler Details seines Sparpakets für die Pharmabranche präsentieren.
Eine neue Schlüsselfigur
Gerade ein hartes Vorgehen gegen die Industrie könnte für Rösler den Durchbruch bringen. "Wenn er das Preismonopol der Pharmakonzerne bricht, hätte er mehr erreicht als alle seine Vorgänger", sagt ein Kassenfunktionär, der ansonsten überhaupt nicht auf Röslers Seite steht. Und selbst die Hersteller reiben sich verwundert die Augen, was "ihr Minister" da so anstellt. "Wir sehen natürlich, dass er damit die gesamte Klientelkampagne gegen die FDP umkehren kann", räumt ein Lobbyist zerknirscht ein.
Rösler schickt sich an, zur Schlüsselfigur der FDP zu werden - jung, mächtig und nicht belastet von den Querelen um Parteichef Guido Westerwelle. Und Rösler ist anders, selbstironisch und unprätentiös.
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Gefährlich uneitel
Wie anders Rösler ist, zeigt sich am Montagabend dieser Woche bei einem Besuch in der Rettungsstelle des Klinikums Neukölln. Ein langer, schmaler Gang, kaltes Neonlicht. Am Rand stehen Betten, darin Patienten, Notfälle, mit dünnen Laken dürftig zugedeckt. "Herr Doktor, wann kommen Sie denn mal wieder?", ruft eine alte Frau den Männern im weißen Kittel hinterher, als sich der Tross des Ministers aus Ärzten, Managern, Journalisten und Fotografen an ihr vorbeizwängt. Doch keiner dreht sich um - auch nicht Rösler.
Vorgängerin Ulla Schmidt hätte in so einer Situation die Ärzte einfach stehen gelassen und jedem Patienten die Hand geschüttelt. Ein paar Fragen, ein paar aufmunternde Worte, das wird schon wieder. Auch Horst Seehofer oder Norbert Blüm hätten das so gemacht. Rösler, selbst einst Arzt in einem "Wald- und Wiesenkrankenhaus", wie er sagt, interessiert sich an diesem Abend eher für die Weglänge von der Rampe der Rettungswagen bis hin zur Aufnahme. Ansonsten ist ihm der Auftrieb an diesem Ort, an dem die Menschen gerade andere Sorgen haben, sichtlich unangenehm. Erschrocken zieht er den Kopf ein und reißt die Augen auf, als er den Gang betritt.
Das ist Röslers größtes Pfund: Für einen Politiker ist er ungewohnt uneitel. Das macht ihn gefährlich. Uneitle Menschen werden schnell unterschätzt. Und umgekehrt ist die Eitelkeit die größte Schwäche des Politikers. Hier kann man ihn provozieren, aus der Reserve locken und zu Schnellschüssen verleiten.
Mit der Kanzlerin gegen die CSU
Über Monate hat dies die CSU versucht: Rösler, der Naseweis, solle doch sehen, wo er mit seiner Kopfpauschale lande - in der Isolation. Die Reformkommission brauche kein Mensch, Rösler solle lieber sparen. Das war die Botschaft, jede Woche, jeden Tag.
Anfangs hat Rösler sich gewehrt, hat empört auf den Koalitionsvertrag verwiesen. Dies war sein bislang größter Fehler. Es sah so aus, als verbeiße sich da ein naiver Jungspund in einen aussichtslosen Kampf. Inzwischen hat er seine Taktik geändert, die Erwartungen gesenkt. Die Kopfpauschale komme, sagt er nun, aber ganz langsam. Jetzt gehe es um einen Einstieg, eine kleine Pauschale, eigentlich nur eine Weiterentwicklung des Status quo. Die CDU hat schon Zustimmung signalisiert, Kanzlerin Angela Merkel stärkt Rösler den Rücken - und inzwischen sieht es um die CSU ziemlich einsam aus. Egal, was die Koalition zur Kopfpauschale beschließen wird, gemessen am Widerstand der CSU wird es Rösler als Erfolg verkaufen können.
Rösler wird persönlich
Auch bei den Ärzten und Klinikbetreibern hat Rösler ein Thema gesetzt: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In Neukölln erzählt der Minister die Geschichte seiner Frau Wiebke. Die beiden haben Zwillinge, gerade mal ein Jahr alt. Nach der Elternzeit arbeitet Wiebke Rösler wieder, als Ärztin in einer Klinik. Sie hätte anfangs gern nur eine halbe Stelle gehabt, berichtet Rösler. Doch ihr Chefarzt habe ihr erklärt, halbtags zu arbeiten sei mit dem Alltag einer Klinik unvereinbar. "Das ist auch ein Thema, über das wir reden müssen, wenn wir den Ärztemangel beklagen", sagt er.
Da räuspert sich ein älterer Herr, er ist Mitglied der Geschäftsführung. "Daran arbeiten wir", sagt er eilig. Rösler strahlt. "Das gibt hier ja noch ein echtes Happy End." Es könnte nicht das letzte sein.