Die Bundeskanzlerin geht in die Offensive. Angela Merkel (CDU) will sich beim Thema Gesundheitsreform Tempo und Inhalt der Debatte nicht mehr vorschreiben lassen. Nach Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) ließ die Regierungschefin in Berlin erstmals öffentlich Unmut über die Einwände vor allem unionsregierter Bundesländer durchblicken. Sie machte deutlich, dass der Konflikt auch erst nach Verabschiedung des Gesetzes im Vermittlungsausschuss beigelegt werden könnte.
Massive Kritik von CDU/CSU
In CDU-Kreisen hieß es zur Klarstellung Merkels, sie habe damit den Ministerpräsidenten demonstrieren wollen, dass sie die Grenzen der internen Diskussion überschritten sieht. Unionsgeführte Länder wie das Saarland, Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Sachsen hatten in den vergangenen Tagen massive Kritik an den Plänen für eine Gesundheitsreform geäußert.
"Das ist nicht dramatisch bei einem so großen Gesetzgebungsverfahren mit ganz unterschiedlichen Länderinteressen", sagte die CDU-Vorsitzende. Es gebe Felder, bei denen die Länder stark unterschiedliche Interessen hätten. Das gelte auch für die Frage der von Land zu Land unterschiedlichen Beitragshöhen. Sie sehe darin "klassische Bereiche", die in einem Vermittlungsverfahren zu klären seien.
Merkel verwies erneut auf die von den Koalitionsspitzen vereinbarten Eckpunkte zur Gesundheitsreform, die umgesetzt werden müssten. Es gebe "unterschiedliche Sorten von Einwänden", etwa zum Beitragseinzug oder zu den Zu- und Abschlägen. "Wir müssen natürlich eine praktikable Reform abliefern. Das ist keine Frage", sagte Merkel.
SPD-Chef Kurt Beck rief den Koalitionspartner zu mehr Geschlossenheit auf. Beck sagte, ihm erschließe sich nicht, was derzeit zwischen einigen Unions-Ministerpräsidenten und der Bundes-CDU vorgehe. Er warf Baden-Württembergs Regierungschef Günther Oettinger (CDU) vor, allein die günstigen Versicherungsbeiträge in seinem Land und damit "nur Pfründe" verteidigen zu wollen. Dies sei aber gegenüber den anderen Bundesländern "nicht solidarisch". Eine solche Politik mache er nicht mit.
Union sieht Nachbesserungsbedarf
Am Vorabend hatten die Gesundheitsminister der unionsregierten Länder bei einer Sondersitzung weiteren Nachbesserungsbedarf am Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform angemeldet, dabei aber Uneinigkeit in ihren Forderungen erkennen lassen. Es gebe in vielen Details Nachbesserungsbedarf, sagte etwa der saarländische Gesundheitsminister Josef Hecken (CDU) nach der Sondersitzung. Unions- Fraktionsvize Wolfgang Zöller (CSU) bekräftigte dennoch seine Hoffnung, die Expertengruppe von CDU, CSU und SPD könne ihre Beratungen an diesem Donnerstag abschließen.

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Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sagte dazu, dies sei "unser gemeinsam vereinbartes Ziel". Davon unabhängig werde die Reform aber in jedem Fall zum 1. April 2007 in Kraft treten. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sieht die Verhandlungen über die Gesundheitsreform "auf einem vernünftigen Weg". Dabei komme es "auf einen Tag mehr oder weniger nicht an".
Kritik auch von SPD
Änderungsbedarf meldete auch der SPD-Vize und Finanzminister von Sachsen-Anhalt, Jens Bullerjahn, an. Er forderte die Spitzen der Koalition auf, vertraulich eine Spitzenrunde zur Gesundheitsreform einzuberufen, um sowohl die Eckpunkte als auch den Gesetzentwurf noch einmal zu überarbeiten und "Korrekturen vorzunehmen, wo es besonders hakt", sagte Bullerjahn der "Leipziger Volkszeitung".
Das Bundesgesundheitsministerium wies eine Studie über eine sich abzeichnende Kostenexplosion bei Einführung der elektronischen Gesundheitskarte als "Schauermärchen" zurück. Die Berechnungen seien unvollständig und fehlerhaft, sagte der Sprecher des Ministeriums, Klaus Vater. Nach einem Zeitungsbericht kommt eine Studie zu dem Ergebnis, dass die Einführung der Karte statt der vom Ministerium veranschlagten 1,4 Milliarden Euro 3,9 Milliarden Euro, im ungünstigsten Fall sogar 7 Milliarden Euro koste. Laut Vater bleibt es beim geschätzten Kostenrahmen.