stern-Chefredakteur Wie geht es Deutschland? Gregor Peter Schmitz über den aktuellen stern

Das aktuelle stern-Cover: Wie Deutschland zu alter Stärke und neuem Mut findet und 75 Jahre Stern - 60 Seiten zum Jubiläum
Das aktuelle stern-Cover: Wie Deutschland zu alter Stärke und neuem Mut findet und 75 Jahre Stern - 60 Seiten zum Jubiläum
© stern
Ein Jubiläum, das Comeback zweier politischer Weggefährten und Wege, die das Land aus der Krise herausführen: stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz über das aktuelle Magazin.

Der stern begeht seinen 75. Geburtstag. Das feiern wir natürlich, auf 60 Seiten in diesem Heft und in einer großen Sonderausgabe, deren Titelbild Sie unten sehen und die ab Samstag am Kiosk erhältlich sein wird. Der stern ist damit noch etwas älter als die Bundesrepublik Deutschland, deren Auf und Ab, Wohl und Wehe, Tragik und Triumph unser Magazin immer eng begleitet hat. Darum haben wir uns in der Redaktion zu unserem Jubiläum gefragt: Wie geht es Deutschland?

Sonderheft stern
180 pralle Seiten mit den stärksten Bildern aus 75 Jahren: das Sonderheft zu unserem Jubiläum

Uns ist klar, dass eine missmutige Antwort darauf sehr "deutsch" ist. Die "German Angst" ist sprichwörtlich, und die tausendste Titelgeschichte über den Abstieg eines Superstars mag niemand lesen. Wir sind es ebenso leid wie Sie, wenn Unternehmerverbände so tun, als besiegelten um ein Cent höhere Steuern das Ende des Standortes Deutschland. Und doch ist da gerade ein Gefühl: dass es diesmal nicht nur Nörgelei ist, wenn die Sorge immer größer wird, dass wir abgehängt werden, dass wir nichts mehr richtig hinbekommen, dass uns die Zuversicht abhandenkommt.

Schlechte Stimmung

Ein Kollege schrieb mir am Wochenende, frisch traumatisiert vom grottigen Kick der DFB-Männer gegen Japan: "Mir scheint die allgemeine Stimmung im Land ihren absoluten Tiefpunkt erreicht zu haben. Nichts klappt mehr. Deutschland ist wieder der kranke Mann Europas, eigentlich des Westens. Die Bundeswehr kann uns nicht verteidigen, die Bahn kommt nicht, die Schulklos stinken, die Brücken bröckeln, die Energiewende dauert zu lange, die Autoindustrie ist im selben Zustand wie die Fußballnationalmannschaft, uns gehen die Arbeitskräfte aus, die Regierung streitet sich. Und alle anderen haben besseres Internet als wir."

Der Kollege riet, sofort dazu einen stern-Titel zu machen – der zum Glück schon in Arbeit war. Weil er im Herzen Optimist ist, fügte er hinzu, so ein Titel dürfe sich nicht im Jammern erschöpfen. Denn die Stimmung könne ja durchaus schlechter sein als die Lage. Und: Der Tiefpunkt sei der Punkt, von dem es aufwärtsgehe.

Auf geht’s, Deutschland, sagen wir daher in unserer Jubiläumsausgabe und diskutieren unter anderem mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und der Schriftstellerin Juli Zeh, wie so ein Ruck gelingen kann, ohne dass es unsere Gesellschaft zerreißt. Im Zweifel für die Zuversicht, das gilt auch im 76. stern-Jahr.

Comeback einer Männerfreundschaft

Der letzte Bundeskanzler übrigens, der sich einen Reform-Ruck getraut hat, hieß Gerhard Schröder. Das bleibt eine historische Wahrheit, auch wenn Schröder bis heute vieles falsch macht. Zu einem historischen Zerwürfnis hat sein wirtschaftsfreundlicher Kurs schon früh geführt. Am 11. März 1999 ließ Oskar Lafontaine einen Brief im Kanzleramt abgeben, mit dem Inhalt: "Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ich trete hiermit als Bundesminister der Finanzen zurück. Mit freundlichen Grüßen, Oskar Lafontaine." Schröder versuchte, Lafontaine anzurufen, doch ohne Erfolg, Oskar war für Gerd nicht mehr zu sprechen, 24 Jahre lang. Stattdessen machte er ihm von ganz links das Leben schwer, etwa mit der Gründung einer eigenen Partei (eine Tradition, die Lafontaines Ehefrau Sahra Wagenknecht bald fortführen könnte).

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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Nun aber kam es zwischen Schröder und Lafontaine zur Annäherung, wie meine Kollegen Nico Fried und Veit Medick recherchiert haben. Anfang Mai fuhr Schröder mit seiner Frau im saarländischen Merzig vor Lafontaines Haus vor. Fünf Stunden sollen sie zusammengesessen haben, mal zu zweit, dann wieder in größerer Runde, in wohl fast freundschaftlicher Atmosphäre. Viel ist von dem Gespräch nicht zu erfahren, Schröders Agenda-Politik sollen die beiden älteren Herren eher ausgespart haben. Ohnehin ist die große Nachricht des Treffens aber, dass es überhaupt stattgefunden hat. Einander verzeihen zu können ist keine Tugend in der Politik, auch nicht unter Genossen. Schröder jedenfalls gratuliert in dieser stern-Ausgabe Lafontaine zum 80. Geburtstag: "Lieber Oskar ..."

Erschienen in stern 38/2023

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