Große Koalition Merkel greift durch

Nachdem ihre Führungsqualitäten wochenlang kritisiert worden sind, hat Bundeskanzlerin Merkel nun ein Machtwort gesprochen. Sie forderte die Ministerpräsidenten auf, sich konstruktiver einzubringen.

Die CDU-Vorsitzende forderte die Ministerpräsidenten der Union am Sonntag im ZDF auf, sich in der politischen Auseinandersetzung künftig konstruktiver zu zeigen. Auch den Koalitionspartner ging die Kanzlerin scharf an. Mit ungewöhnlich deutlichen Worten reagierte sie auf neuerliche Kritik aus der Spitze der SPD. Sie attackierte Fraktionschef Peter Struck, der der CDU-Vorsitzenden erneut Schwäche attestiert und den Unions-Ministerpräsidenten Störmanöver unterstellt hatte.

FDP-Chef Guido Westerwelle sprach von einem atemberaubenden Zerfallsprozess in der Regierung. CSU-Generalsekretär Markus Söder warnte nach den Angriffen aus der SPD vor einem Auseinanderbrechen der Koalition.

Merkel kritisiert Kurs der Ministerpräsidenten

Merkel sagte im ZDF, in den Debatten der Union über die Gesundheitsreform hätten die Menschen den Eindruck von Streit bekommen. Dies sei aber genau das, was die Union nicht gebrauchen könne. Die Ministerpräsidenten hätten zwar die Interessen ihrer Länder zu vertreten. Aus einem dauernden "Nein, aber" müsse aber jetzt ein "Ja, aber" werden. "Die Menschen müssen den Eindruck bekommen, wir agieren gemeinsam", sagte sie.

Struck löste mit seinen Aussagen einen offenen Schlagabtausch der Koalitionspartner aus. Schon in der "Bild am Sonntag" hatte Merkel die wiederholten Angriffe als Zumutung zurückgewiesen. "Es reicht jetzt mit den unaufhörlichen Attacken von Herrn Struck auf die Ministerpräsidenten der Union." Die Kanzlerin rief SPD-Chef Kurt Beck zum Einschreiten auf. Die Koalition könne nur gelingen, wenn die Sozialdemokraten Respekt vor der gesamten Union hätten.

Beck: Union war nicht auf das Regieren vorbereitet

Beck begab sich indes selbst auf Konfrontationskurs und schloss sich in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" Strucks Aussagen an. Merkel werde Mühe haben, die Machtfrage in ihrer Partei endgültig zu klären, sagte er. Es zeige sich, dass die Union nicht wirklich auf das Regierungshandeln vorbereitet gewesen sei. Die glänzende Anfangsphase in Merkels Kanzlerschaft habe Vieles überblendet.

Die beiden SPD-Politiker zeigten sich nach den zähen und kontroversen Gesundheits-Verhandlungen besorgt über den Fortgang der anderen Reformen. Als Beispiel verwies Struck in der "Welt am Sonntag" auf die Steuerreform. Dort seien die Länder unmittelbar betroffen, weil es um Steuereinnahmen gehe. Merkel werde erneut vor der Aufgabe stehen, die Zusagen an die Koalition auf bei den Ministerpräsidenten einzufordern.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Fachlicher Streit um Gesundheit und Arbeitsmarkt

Daneben flammte auch neuer fachlicher Zwist auf. Für Unruhe in der Koalition sorgte ein Reuters vorliegendes Positionspapier der Union zum Arbeitsmarkt. Darin fordern CDU und CSU Leistungskürzungen für arbeitsunwillige Hartz-IV-Empfänger. Sie sprechen sich für Kontrolle von Krankschreibungen aus. Langzeitarbeitslose sollten kein Auto besitzen, das mehr als 10.000 Euro wert ist. Struck und Arbeitsminister Franz Müntefering reagierten umgehend und wiesen das Ansinnen der Union entschieden zurück.

Auch beim Thema Gesundheit entfachte der erst am Donnerstag beigelegte Streit wieder. Die Koalitionspartner legten eine zentrale Vereinbarung über die Beitragszahlung unterschiedlich aus. CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer sagte der "Berliner Zeitung", auch Geringverdiener müssten einen Sockelbetrag von acht Euro zahlen, wenn die Kassen einen solchen zusätzlichen Beitrag oder mehr verlangten.

Das Gesundheitsministerium und SPD-Generalsekretär Hubertus Heil bestritten dies. Sie erklärten, dass der nach einer Einkommensprüfung fällige Betrag nicht über einem Prozent des Einkommens liegen dürfe. Nach Angaben aus Koalitionskreisen verständigten sich die Spitzen der Regierungsparteien im Verlauf des Wochenendes auf die Auslegung der SPD.

Böhmer: Gesundheitskompromiss verbesserungsfähig

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer nannte den Gesundheitskompromiss verbesserungsfähig. Lägen die Gesetzestexte vor, werde es noch Gesprächsbedarf geben, sagte er der "Bild am Sonntag". Dieser war auch aus Bayern und Nordrhein-Westfalen angemeldet worden.

Der brandenburgische Regierungschef und frühere SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck forderte seine Amtskollegen aus der Union auf, den Kompromiss nicht zu zerreden. "Ich bin der Meinung, die große Koalition kann solch klein kariertes Denken nicht gebrauchen", sagte er.

Westerwelle plädiert für Ende der Koalition

Auch außerhalb des Regierungsbündnisses riss die Kritik nicht ab. Westerwelle sagte dem "Tagesspiegel" (Montagausgabe), der innere Zustand der Koalition lasse eine mutige Politik zum Wohle Deutschlands nicht mehr zu. "Es gilt die alte Volksweisheit: Ein Ende mit Schrecken wäre besser als dieser Schrecken ohne Ende."

DGB-Chef Michael Sommer nannte die Gesundheitsreform einen Krüppel. Er empfahl dem Regierungsbündnis in der "Bild am Sonntag", noch einmal neu damit anzufangen. Die Pläne der Union zum Arbeitsmarkt umriss er als von Sozialneid geprägt.

Reuters
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