Hans-Jürgen Wischnewski Der "Feuerwehrmann der Nation"

Mit Pokerface und getönter Hornbrille erweckte er oft den Eindruck, in geheimer Mission unterwegs zu sein. SPD-Politiker Hans-Jürgen Wischnewski, der 82-jährig verstarb, war in heiklen Missionen der Ausputzer hinter den Kulissen.

Eine seiner letzten anstrengenden Reisen führte ihn noch einmal in jenen Teil der Welt, mit dem sein Name und seine politische Mission über Jahrzehnte verbunden waren. Hans-Jürgen Wischnewski, fast bekannter noch unter dem Spitznamen "Ben Wisch", den ihm einst Kanzler und SPD-Chef Willy Brandt gegeben hatte, begrub im November 2004 zusammen mit Spitzenpolitikern aus aller Welt in Ramallah Palästinenserpräsident Jassir Arafat, seinen alten politischen Weggefährten. Jetzt starb der SPD-Politiker, Nahost-Experte und Palästinenserfreund selbst im Alter von 82 Jahren in einer Kölner Klinik an den Folgen eines Infekts.

Wischnewski hatte möglicherweise recht mit seinem im Herbst 2003 geäußerten Eigenlob, nach der "es bis heute keinen Deutschen (gibt), der sich in diesen Ländern besser auskennt". Nahezu unumstritten ist aber die Tatsache, dass es in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten keinen deutschen Politiker gab, der sich mit größerem Engagement und Erfolg um eine Verbesserung der deutsch-arabischen Beziehungen kümmerte. Von seiner Kölner Heimat aus verwaltete der Jungsozialist schon während des algerischen Unabhängigkeitskrieges gegen Frankreich in den 50er Jahren die "Kriegskasse" der Befreiungsbewegung FLN. Und fast bis zuletzt empfing "Ben Wisch" in einer Suite des Berliner Nobel-Hotels Adlon wichtige Besucher aus Nahost, wobei er die Kosten dieser Kontakte mit Wirtschaftsberatung finanzierte.

Lautloser Ausputzer hinter den Kulissen

Von gesundem Selbstbewusstsein geprägt, erweckte Wischnewski fast immer den Eindruck, in geheimer Mission unterwegs zu sein: getönte Hornbrille, Pokerface, schweigsam. Sorgsam pflegte er sein Image als lautloser Ausputzer hinter den Kulissen. Er war der unerschrockene Mann für heikle Missionen, der auch schwierigste Situationen meisterte. Das trug ihm auch Namen ein wie "Bonner 007" oder "Feuerwehrmann der Nation". Im Gegensatz zu manch anderen wichtig dreinblickenden Politikern aber war der kleine rundliche Mann mit dem flinken Blick und der sonoren Stimme tatsächlich ein Schwergewicht, ein politischer Grandseigneur, in Deutschland wie auf internationaler Bühne. Dabei war ihm Selbstdarstellung immer fremd. Das schätzten seine Parteifreunde. Neben seinem diplomatischen Geschick und politischem Gespür konnte er dabei auf seine zahllosen Kontakte bauen.

Geboren wurde Wischnewski am 24. Juli 1922 als Sohn eines Zollbeamten aus dem Ruhrgebiet im ostpreußischen Allenstein. Nach dem Krieg war er kurz Metallarbeiter und 1946 Gewerkschaftssekretär der IG Metall in Köln. Im selben Jahr trat er in die SPD ein. Er war unter anderem Bundesgeschäftsführer, Schatzmeister und stellvertretender SPD-Vorsitzender. In der SPD war Wischnewski führend im eher rechts eingeordneten "Seeheimer Kreis". Im Streit um das Parteiblatt "Vorwärts" trat er 1985 als SPD-Schatzmeister ("Ben-Scheck") zurück. Dem Bundestag gehörte er mehr als 30 Jahre lang an.

Wischnewskis spektakulärster Coup war ohne Zweifel das als Heldenstück gefeierte Krisenmanagement bei der gewaltsamen Befreiung der 86 Geiseln aus der Lufthansamaschine "Landshut" in Mogadischu im Oktober 1977, als er im fernen Somalia hinter den Kulissen die Schlüsselrolle spielte. Im Hochsicherheitstrakt von Stuttgart-Stammheim setzten führende Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) auf das Palästinenser-Kommando. "Eines war klar: Wir wollten niemals die Terroristen in Stammheim freilassen", sagte Wischnewski im Rückblick. Noch mehr als ein Vierteljahrhundert später bewegten die Vorgänge den "Helden von Mogadischu": "Ja, Angst habe ich gehabt - um die Menschen in der Maschine, aber nicht um mich."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Die Arbeit ist erledigt"

Wischnewski handelte damals als Staatsminister im Kanzleramt im Auftrag von Kanzler Helmut Schmidt (SPD), dessen Amt bei der gewagten Gewaltaktion mit der GSG 9 auf dem Spiel stand. "Ich hatte mich auch selbst im Austausch für die Geiseln angeboten." Kurz nach der Geiselbefreiung aus der Boeing übermittelte er Schmidt die erlösende Nachricht am Telefon: "Die Arbeit ist erledigt." Wischnewski galt als treuer Gefolgsmann Schmidts. 1982 gehörte er zu den 14 Genossen um den Kanzler, die für die Umsetzung des Nato-Doppelbeschlusses und damit die Stationierung neuer US-Atomraketen in Deutschland stimmte. "Er hatte einen guten Instinkt, war politisch und menschlich zuverlässig und hat mir immer seine Meinung gesagt", sagte Schmidt beim 80. Geburtstag seines Weggefährten.

Als eine der herausragendsten Leistungen des vielseitigen Politikers bewerten Zeitgenossen noch heute seinen unauffälligen, aber für seine Partei entscheidenden Beitrag zum ersten Machtwechsel in der Bundesrepublik: die Bildung der sozialliberalen Koalition im Jahr 1969. Schweißnass stürmte er in der Wahlnacht in das Zimmer des FDP-Fraktionschefs Wolfgang Mischnick und schrie: "Herr Mischnick, es reicht, es reicht!" Erfolgreich hatte er in vorderster Reihe mitgewirkt an der Eroberung der Macht, ohne die er selbst kaum so einflussreich hätte tätig werden können.

Viele andere seiner Aktivitäten sind dagegen zu Unrecht vergessen oder wurden von der Öffentlichkeit erst gar nicht wahrgenommen. Schon lange vor Mogadischu setzt sich Wischnewski 1970 in Amman erfolgreich für von Palästinensern genommene Geiseln ein, 1981 sondiert er in El Salvador eine politische Lösung im Bürgerkrieg, und in Nicaragua nimmt er 1987 an Verhandlungen mit den Contra-Rebellen teil, die nach Jahren blutiger Wirren zu freien Wahlen führen.

Bis ins hohe Alter aktiv

Der Vollblutpolitiker alter Schule und Vater dreier Kinder war noch bis ins hohe Alter rege. Selbst für die geliebte Briefmarkensammlung blieb da wenig Zeit. Trotz gesundheitlicher Probleme tauchte der "Kölsche Jung", umjubelt von den Genossen, immer wieder bei SPD-Veranstaltungen auf - zuletzt während des politischen Aschermittwochs der SPD im Kölner Gürzenich am 9. Februar - und meldete sich auch öffentlich zu Wort. Libyens Revolutionsführer Muammar el Gaddafi warnte den Raucher vor einem Jahr bei einem Besuch in Tripolis: "Natürlich können Sie in meinem Zelt rauchen. Aber ich muss Sie darauf aufmerksam machen: Rauchen ist ungesund."

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Dusko Vukovic mit Material von AP/DPA