Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass der Bund zur Bekämpfung der Coronakrise gedachte Gelder nicht für den Klimaschutz nutzen darf. Die Änderung des Nachtragshaushalts 2021 sei verfassungswidrig, verkündete das höchste Gericht Deutschlands am Mittwoch in Karlsruhe. Es gehe um die Wirksamkeit der Schuldenbremse, sagte die Vorsitzende Richterin des Zweiten Senats, Doris König, bei der Verkündung. Die Unionsfraktion im Bundestag hat damit erfolgreich gegen das Umschichten geklagt. (Az. 2 BvF 1/22)
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat nach dem Urteil angekündigt, die neuen Vorgaben zur Haushaltsaufstellung "genau zu beachten". Es sei denkbar, dass das Urteil "eine sehr tiefgreifende Veränderung der Haushaltspraxis" zur Folge hat, sagte Scholz im Plenum des Bundestags. "Da gebietet sich kein Schnellschuss, sondern eine sorgfältige Prüfung." Auswirkungen auf den Zeitplan für die Verabschiedung des Bundeshaushalts 2024 habe das Urteil aber nicht.
Die Reaktionen auf das Urteil fallen gespalten aus. Während die Union sich zufrieden über die Nachricht aus Karlsruhe zeigt, äußern Klima- und Umweltschützer massive Kritik.
Reaktionen zum Haushaltsurteil: Zwischen "Erleichterung"...
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wertet das Urteil als eine "gigantische Klatsche" für die Ampel-Koalition. "Der Ampel fliegt ihre unseriöse Haushaltspolitik um die Ohren", sagte Dobrindt den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Die Regierung habe "Milliarden, die sie nicht hätten anrühren dürfen, genommen, um daraus ihre links-grünen Luftschlösser zu finanzieren", kritisierte Dobrindt weiter.
Noch deutlicher wurde CSU-Chef Markus Söder. Er sieht nach der schweren Pleite der Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht das Ende der Regierungszeit der Ampel gekommen. Es sei ein schlimmer Tag für die Regierungsfähigkeit in Deutschland und ein Desaster für die Koalition von SPD, Grünen und FDP, sagte der bayerische Ministerpräsident am Rande einer Landtagssitzung in München. "Und eigentlich ist damit jede Legitimation vorbei, weiter regieren zu können. Im Grunde genommen kann eine Regierung so nicht weitermachen."
Das Gericht habe deren "Schummel-Politik" nun beendet, sagte den Zeitungen CSU-Generalsekretär Martin Huber. Die ganze Haushaltsplanung der Ampel sei damit hinfällig, mahnte Huber. "Wer unfähig ist, einen verfassungskonformen Haushalt auf die Beine zu stellen, ist regierungsunfähig. Die Ampel ist auf ganzer Linie gescheitert", sagte der CSU-Politiker weiter.
Erleichtert über das Urteil äußerte sich auch der Parlamentsgeschäftsführer der Union, Thorsten Frei (CDU). "Karlsruhe fährt der Ampel in die Parade", sagte Frei dem "Spiegel". "Wäre die 'Ampel' mit ihrem Umgehungsmanöver durchgekommen, hätte das der Finanzverfassung einen schweren Schaden zugefügt", fügte er hinzu.

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...und deutlicher Kritik
Nach dem Urteil haben die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge die Bedeutung der betroffenen Programme unterstrichen. "Die Programme des Klima- und Transformationsfonds sind extrem wichtig für Klimaschutz, die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger und eine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik. Sie stehen im Kern der Politik dieser Koalition", erklärten die Politikerinnen am Mittwoch in einer gemeinsamen Mitteilung. Die Fraktionschefinnen kündigten eine sorgfältige Prüfung der Folgen des Urteils an, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werde man selbstverständlich beachten.
Die Grüne Jugend greift nach dem Urteil Finanzminister Christian Lindner (FDP) an. "Dieser Tag zeigt, dass Christian Lindners Kleben an der Schuldenbremse eine Gefahr für unsere Demokratie, aber auch den ganzen Planeten ist", sagte die Co-Vorsitzende Svenja Appuhn dem stern. "Eine gute Zukunft kann es nur ohne die Schuldenbremse geben.“ Appuhn fordert die Bundesregierung dazu auf, die Schuldenbremse jetzt kurzfristig auszusetzen und "massive Investitionen für Klimaschutz und in die Demokratie" auf den Weg zu bringen.
Massive Kritik kommt hingegen von Klima- und Umweltorganisationen. Nach Einschätzung der Umweltschutzorganisation Greenpeace ist das Urteil ein "herber Rückschlag für den Schutz des Klimas". "Nun rächt sich, dass die Ampel den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft von Anfang an mit finanzpolitischen Taschenspielertricks bezahlen wollte", beklagte der geschäftsführende Vorstand von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser. Kredite, neue Steuern und der Abbau klimaschädlicher Subventionen dürften nun keine Tabus mehr sein.
Kaiser rief Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dazu auf, seine Richtlinienkompetenz angesichts der Klimakrise zu nutzen. "Denn wir sind bereits inmitten der Klimakrise. Kredite, neue Steuern und der Abbau klimaschädlicher Subventionen dürfen keine Tabus sein." Der Haushalt brauche eine bessere Balance zwischen militärischen Ausgaben und mehr Klimaschutz, sowie neue sozial-ökologische Instrumente in der Finanzpolitik.
Mach doch mal was mit Nachhaltigkeit

Wie entwickelt man Produkte, die in der Herstellung wenig Rohstoffe und Energie benötigen, in der Logistik die Umwelt gering belasten sowie gut recyclebar und langlebig sind? Das sind typische Fragen des Ecodesigners. Die Disziplin betrachtet den gesamten Lebenszyklus von Produkten. Von der Extraktion der Materialien, über die Weiterverarbeitung und Veredelung, die Logistik bin hin zur Nutzung und des Recyclings. Die Bachelor- und Masterstudiengänge laufen auch unter den Bezeichnungen Nachhaltiges Design und Ökodesign. Die älteste und immer noch einzige Akademie, die sich grundlegend und wissenschaftlich umfassend auf nachhaltiges Design spezialisiert hat ist die 1994 in Köln gegründete "ecosign". Seit 2022 kooperiert sie mit der Hochschule Fresenius. Hier geht es im Studium nicht ausschließlich um das schöne Äußere, es werden ebenso Nachhaltigkeit-Kompetenzen vermittelt. „Die beruflichen Perspektiven der Studierenden sind vielfältig. Die Nachfrage reicht von Design- oder Beratungsagenturen über wissenschaftliche Institutionen bis hin zur Industrie", sagt Professor Jörg Gätjens, zuständig für den Bereich des nachhaltigen Produktdesigns an der ecosign/Akademie für Gestaltung. Wie bei vielen privaten Hochschulen üblich, ist auch Ecosign nach eigenen Angaben sehr gut mit potenziellen Arbeitgebern vernetzt. Das BA-Studium kostet derzeit 685 Euro pro Monat bei einer Studienzeit von acht Semestern bis zum Bachelor. Darüber hinaus werden auch Masterstudiengänge sowie ein Studium des Nachhaltigen Design Managements angeboten. Hier werden Management-Kompetenzen vermittelt, um zum Beispiel in Unternehmen für die Einhaltung des neuen Lieferkettengesetzes zu sorgen oder EU-Richtlinien zur Nachhaltigkeit umzusetzen. Beispiele für gutes nachhaltiges Design gibt es auf der Homepage des "Bundespreises Ecodesign" zu sehen.
"Wirtschaftsweiser": Schadensbegrenzung möglich
Für Norbert Walter-Borjans zeigt das Urteil den "extremen Konstruktionsfehler der Schuldenbremse". Der frühere SPD-Chef und einstige NRW-Finanzminister sagte dem "Spiegel": "Sie ist eine Zukunftsbremse, weil sie nötige Investitionen verhindert. Wenn die Regierung versucht, das durch die Hintertür zu umgehen, macht sie die Haushaltslage unübersichtlich." Karlsruhe sorge nun für eine Klärung, das Urteil erfordere eine saubere Regelung. "Die Regierung muss hier aufräumen", so Walter-Borjans.
Der "Wirtschaftsweise" Achim Truger sieht hier jedoch auch Möglichkeiten zur Schadensbegrenzung. "Das Urteil ist ein Schlag ins Kontor für die Bundesregierung. Der Klima- und Transformationsfonds muss um 60 Milliarden Euro gekürzt werden", sagte der Sozioökonom Truger der Deutschen Presse-Agentur. "Es gibt aber immer noch pragmatische Möglichkeiten, den Schaden zu begrenzen."
Die sauberste, grundsätzliche Lösung sei eine Reform der Schuldenbremse. "Man könnte zum Beispiel regeln, dass nach einer Krise nur schrittweise zur Schuldenregel zurückgekehrt werden muss", schlug Truger vor. Möglich sei auch, die Ausnahmeregel der Schuldenbremse weiterhin in Anspruch zu nehmen und über mehrere Jahre eine Notlage auszurufen, weil die Haushalte weiterhin betroffen seien. Alternativ schlug Truger vor, fehlende Einnahmen im Haushalt durch einen befristeten Energie- oder Klima-Soli auszugleichen.
Notfall-Geld wurde in Klimafonds umgewandelt
Wegen der Notfallsituation während der Corona-Pandemie hatte der Bund den Haushalt 2021 nachträglich in Form einer Kreditermächtigung um 60 Milliarden Euro aufgestockt. In solch außergewöhnlichen Situationen ist es trotz Schuldenbremse möglich, Kredite aufzunehmen.
Am Ende wurde das Geld aber nicht für die Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen gebraucht. Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP wollte das Geld daher für den sogenannten Klima- und Transformationsfonds nutzen und schichtete es mit Zustimmung des Bundestages 2022 rückwirkend um. 197 Abgeordnete der Unionsfraktion im Bundestag klagten dagegen in Karlsruhe, weil aus ihrer Sicht auf diese Weise die Schuldenbremse umgangen wird.